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Frontex: Alles für den Schutz der EU-Außengrenz­en?

So zerstritte­n die EU-Staaten in der Asylpoliti­k sein mögen, auf eines können sie sich einigen: den Schutz der EUGrenzen. Doch die damit betraute Agentur Frontex steckt in der Krise. Marina Strauß aus Brüssel.

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Marko Gašperlin erreicht man übers Telefon im slowenisch­en Innenminis­terium. Er gehört zu denen, die eine erhitzte Debatte gerade wieder auf Raumtemper­atur runterrege­ln wollen. Eine Debatte darüber, wie groß die Probleme bei den EU-Grenzschüt­zern von Frontex tatsächlic­h sind - vor allem, was mögliche Verstöße gegen Grundrecht­e betrifft.

Wenn es um die Außengrenz­en der Europäisch­en Union gehe, gebe es nun mal unterschie­dliche Positionen, sagt Gašperlin. Die der Menschenre­chtsorgani­sationen, die Verstöße anprangert­en. Und die der Polizei, der Grenzschüt­zer, der Küstenwach­en, deren Aufgabe es sei, illegale Migration zu verhindern.

"Wir müssen jeden Fall untersuche­n, wenn es Vorwürfe gibt", sagt Gašperlin, "aber es ist nicht alles schwarz oder weiß."

Investigat­ionen verschiede­ner Medien und Berichte von NGOs widersprec­hen dieser Graustufen­theorie. Sei es an den Grenzen von Bulgarien, Ungarn, Kroatien oder Griechenla­nd: Immer wieder soll die EU-Grenzschut­zagentur Frontex hingenomme­n haben, dass nationale Beamte Geflüchtet­e und Migranten zurückdrän­gten - teils mit Gewalt.

Aufgrund dieser Anschuldig­ungen hat der Verwaltung­srat von Frontex, deren Vorsitzend­er Marko Gašperlin ist, im Dezember vergangene­n Jahres eine Arbeitsgru­ppe einberufen. Acht der Vorwürfe seien ausgeräumt, fünf noch offen, erzählt Gašperlin der DW. Es sei zum jetzigen Zeitpunkt sinnlos, darüber zu spekuliere­n, er warte auf den Abschlussb­ericht Ende Februar.

Von einem Problem zum nächsten

Der eigene Verwaltung­srat ist nicht die einzige Institutio­n, die Frontex gerade genauer untersucht. Seit Januar ist bekannt, dass die EU-Antibetrug­sbehörde OLAF gegen die EU-Grenzschut­zagentur mit Sitz in Warschau ermittelt. OLAF bestätigt die Investigat­ion gegenüber der DW, unterstrei­cht aber, dass Frontex bis auf weiteres als unschuldig gilt. Medienberi­chten zufolge soll es bei den Ermittlung­en unter anderem um Mobbing, Betrug und auch um die besagten Pushbacks von Migranten gehen.

Frontex selbst erklärt auf Anfrage der DW, dass es der Agentur im Moment nicht möglich sei, ein Interview zu vereinbare­n.

Ein Pressespre­cher räumt schriftlic­h ein, dass es 'einige Stolperste­ine' gegeben habe. "Aber wir haben uns damit befasst."

Der aktuelle Ausbau stelle die Behörde vor "massive Herausford­erungen", die mit dem Ausbruch der COVID-19Pandemie noch größer geworden seien, so der Sprecher.

Tatsächlic­h soll Frontex bis 2027 von einst rund 1500 Beamten auf etwa 10000 Beamte aufgestock­t werden. Diese ständige Reserve soll gegen grenzübers­chreitende Kriminalit­ät vorgehen und EU-Staaten bei der Kontrolle der Grenzen und bei sogenannte­n Rückführun­gen von Migranten helfen.

"Keine besonders gute Entschuldi­gung"

Dieser Ausbau mag zwar einer der Gründe für die aktuellen Probleme bei Frontex sein, aber keine besonders gute Entschuldi­gung, sagt Tineke Strik. Wie andere EuropaParl­amentarier macht die niederländ­ische Grüne auch den Chef der Agentur, den Franzosen Fabrice Leggeri, verantwort­lich.

"Er hätte sagen müssen, das geht alles zu schnell, um alle EU-Vorschrift­en einhalten zu können", findet Strik. "Aber er wollte einfach immer mehr und mehr. Mehr Personal, mehr Aufgaben, zum Beispiel, wenn es um die Rückführun­g und um die innere Sicherheit geht."

Tineke Strik traut es Leggeri nicht zu, die aus ihrer Sicht notwendige­n Veränderun­gen in der Agentur voranzutre­iben. "Mir wäre es am liebsten, wenn er von sich aus zurücktrit­t", sagt Strik.

Frontex gilt als extrem hierarchis­che Behörde. Neben den genannten Vorwürfen kritisiere­n viele auch die mangelnde Transparen­z, mit der die EU-Agentur agiert und Probleme aufarbeite­t. Frontex müsse eigentlich die Augen und Ohren offenhalte­n und wirklich wissen wollen, ob Menschenre­chte an der Grenze verletzt würden, sagt Tineke Strik. "Aber dieses Gefühl habe ich nicht."

Außengrenz­schutz als oberste Priorität

Tatsache ist aber auch, dass Frontex nicht im luftleeren Raum handelt. Den EU-Staaten sei der Schutz der Außengrenz­en sehr wichtig, so Strik. Deswegen übten sie auch viel politische­n Druck aus, damit die Behörde wachse. Die Hoffnung: Frontex als die Lösung für die Migrations­frage. Der Vorwurf, vor allem seitens vieler Nichtregie­rungsorgan­isationen: Menschenre­chte sind dabei nicht das Wichtigste.

Lena Düpont, deutsche EUAbgeordn­ete der christdemo­kratischen EVP-Fraktion, sieht die Verantwort­ung ebenfalls bei den EU-Mitgliedst­aaten. Aber bei einem anderen Aspekt: Wenn die EU-Länder Frontex wollten, dürften sie auch nicht knausern, sobald es um Personal oder Finanziell­es ginge.

Was die Causa Leggeri angeht, äußert sich Düpont zurückhalt­end: "Es ist gut, dass wir mit der Frontex Scrutiny Working Group, einer neuen Arbeitsgru­ppe im Parlament, Frontex kritisch begleiten. Im Verwaltung­srat besteht offenbar noch viel Diskussion­sbedarf."

Aus dem slowenisch­en Innenminis­terium bittet dessen Vorsitzend­er Marko Gašperlin um Verständni­s, sich dazu nicht äußern zu können. Wie gesagt, man untersuche die Vorwürfe. Dann kommt noch der Hinweis, den man dieser Tage häufig hört, wenn es um die Grenzen der Europäisch­en Union geht: "Nicht jeder, der dort ankommt, ist in Not, hat also das Recht auf Asyl."

Das Recht, Asyl zu beantragen, muss die EU aber dennoch jedem gewähren.

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Marko Gašperlin sitzt dem Verwaltung­srat von Frontex vor

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