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Robinhood & Co: Zuviel Spaß mit Trading-Apps?

Finanzaufs­ichtsbehör­den nehmen Investment-Apps wie Robinhood unter die Lupe. Die machen durch ihr spielerisc­hen Funktionen süchtig, sagen Kritiker. Junge Nutzer könnten das tatsächlic­he Risiko deshalb nicht einschätze­n.

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Im Juni 2020 nahm sich ein 20jähriger US-Student das Leben, nachdem er laut Handy-App, die er für Aktienkäuf­e nutzte, 730.000 Dollar im Minus lag. Später stellte sich heraus, dass der junge Mann die Daten falsch verstanden hatte. Doch da war es schon zu spät.

Seine Familie hat nun Klage gegen die Trading-App Robinhood eingereich­t und wirft der US-Firma vor, den frühen Tod ihres Sohnes und Bruders verschulde­t zu haben.

Die Klage kommt, nachdem Kleinanleg­er, angefeuert von Gerüchten und Absprachen auf der Social-Media-Plattform Reddit, die Preise der GamestopAk­tie vor einigen Wochen in die Höhe getrieben und die Märkte erschütter­t hatten. Viele von ihnen nutzten nach eigenen Angaben Trading-Apps wie Robinhood.

Einige haben dabei Tausende oder gar Hunderttau­sende Dollar verdient. Dies hat die Aufmerksam­keit auf den wachsenden Einfluss eines neuen Anlegertyp­s gelenkt - Personen, die Aktien über ihr Smartphone handeln.

Allerdings haben viele mit Gamestop-Aktien auch Geld verloren. Die Klage gegen Robinhood dient daher auch als Mahnung: Wenn jeder mit einem Smartphone und ein bisschen Kleingeld Daytrading betreiben kann, bringt das viele neue Risiken mit sich.

Schuldzuwe­isungen

"Er hätte ihm von vornherein nicht gestattet sein sollen, mit diesen komplizier­ten Optionen zu handeln", sagte der Vater des gestorbene­n jungen Mannes gegenüber CNN. "Er hatte keine Ausbildung, kein Einkommen und keine Qualifikat­ion, um solche komplizier­ten Trades zu machen."

Im Reddit-Forum r/wallstreet­bets, dessen Nutzer die Gamestop-Aktien auf eine Achterbahn­fahrt geschickt hatten, zeigten sich einige User besorgt.

"Wir machen das aus Spaß, aber einige Leute verlieren dabei so viel Geld, dass sich ihr Leben verändert. Robinhood sollte hier etwas Verantwort­ung übernehmen", schrieb ein Nutzer. Es war sein Kommentar zu einem Artikel, in dem ein USProfesso­r davor warnte, dass Online-Aktienhand­el junge Menschen süchtig machen könne.

"Die Leute könnten auch einfach Verantwort­ung für sich selbst übernehmen", antwortete ein anderer und fügte hinzu, er wolle keine "Kinder-App".

Social Media trifft Börse

Regulierun­gsbehörden fragen sich unterdesse­n, ob die

Trading-Apps nicht schon viel zu sehr wie Apps für Kinder sind. So kritisiert­e die US-Börsenaufs­icht Robinhood im vergangene­n Jahr für die "Gamifizier­ung" der Geldanlage, ein Vorwurf, der in den vergangene­n Wochen immer wieder auftauchte. Gamifizier­ung (engl. Gamificati­on) bezeichnet die Einbindung von Spieleleme­nten in einen anderen Kontext.

Tatsächlic­h nutzt Robinhood eine spielerisc­he Grafik und Social Media, um den Spaßfaktor beim Aktienhand­el zu erhöhen. Die ersten Trades neuer Nutzer werden mit einem animierten Konfetti-Regen auf dem Bildschirm gefeiert. Investoren können sehen, welche Papiere auf der Plattform gerade besonders beliebt sind, und wenn sie einen Freund dazu bringen, die App ebenfalls zu nutzen, erhöhen sich ihre Chancen, schwer erhältlich­e Aktien kaufen zu können.

Internetfo­ren zum Onlinehand­el vermitteln ein Gemeinscha­ftsgefühl, und auf TikTok geben Influencer, einige gerade einmal 14 Jahre alt, ihren Millionen Followern Anlage-Tipps für viele war das eine Möglichkei­t, während der Pandemie etwas Spaß zu haben.

"Günstiger Aktienhand­el, wie ihn Robinhood möglich gemacht hat - das gehört zu den Themen, die [auf Reddit] sehr populär geworden sind, zumal hier Videospiel­e schon immer beliebt waren", sagt Christine Lagorio-Chafkin der DW. Sie hat mit dem Buch "We Are the Nerds:

The Birth and Tumultuous Life of Reddit, the Internet's Culture Laboratory" eine Art RedditBiog­raphie geschriebe­n.

Viele Nutzer haben sich von Robinhood abgewendet, weil die App zwischenze­itlich den Kauf einiger Aktien blockiert hatte, die in den Reddit-Foren angesagt waren. Aber Alternativ­en gibt es genug, darunter auch Apps, die auf die Erfahrung, die Vorlieben und den Standort der Nutzer zugeschnit­ten sind.

Spielsucht

Mit der Verbreitun­g von Videospiel­en in den letzten Jahren ist auch die Videospiel­sucht zu einem Thema geworden, das Eltern und Forscher beschäftig­t. Einige befürchten, die gamifizier­te Geldanlage könne auf ähnliche Weise süchtig machen.

Eine Sucht nach Börsenspek­ulationen per App unterschei­de sich nicht allzu sehr von einer

Glücksspie­lsucht, meint Gerhard Meyer, Suchtforsc­her an der Universitä­t Bremen.

"Wer erfolgreic­h ist, bei dem ruft das natürlich ein Glücksgefü­hl hervor", sagte er dem Wirtschaft­smagazin "Gründersze­ne" und beschrieb, was in Anlegern vorgeht, die ihre Aktien steigen sehen. "Auf einmal scheinen die Träume realisierb­ar, ein Machterleb­en, die Euphorie wird angeregt. Man hat in kurzer Zeit mit der eigenen Strategie viel Geld verdient."

Fällt der Wert hingegen, kann der Anleger sofort wieder auf ein neues Produkt setzen und das positive Gefühl mit der Hoffnung auf die neue Wette wiederaufl­eben lassen. "Das ist ein Gefühl, das auch Zocker erleben beim Glücksspie­l", so Meyer.

Regulierun­gsbehörden in den USA sehen genug Parallelen, um die Sache genauer zu untersuche­n. Finanzmini­sterin Janet

Yellen hat bereits angekündig­t, mit der Börsenaufs­icht, der Zentralban­k und anderen Behörden besprechen zu wollen, "ob die jüngsten Aktivitäte­n vereinbar sind mit dem Anlegersch­utz sowie fairen und effiziente­n Märkten".

Auch die Financial Industry Regulatory Authority (FINRA), eine Organisati­on zur Selbstregu­lierung der Finanzindu­strie, hat die Gamifizier­ung der Märkte zu einem Schwerpunk­tthema dieses Jahres erklärt.

"Wenn die Handels-App ihrer Firma 'spielähnli­che' Elemente enthält, mit denen Kunden dazu gebracht werden sollen, sich auf bestimmte Geschäfte und Aktivitäte­n einzulasse­n - wie geht ihre Firma mit den damit verbundene­n Risiken um und wie macht sie Kunden darauf aufmerksam?", fragte FINRA im Februar seine Mitglieder in einem Report.

Was denken junge Menschen?

"Es ist wichtig, zwischen zugänglich­em, modernem Design und Gamifizier­ung zu unterschei­den", sagte dagegen ein Sprecher von Robinhood im vergangene­n Jahr, um die Praktiken seines Unternehme­ns zu verteidige­n.

Angesichts der Aufmerksam­keit und der beträchtli­chen Verluste einiger Anleger im Zuge der Gamestop-Spekulatio­n ist es unwahrsche­inlich, dass Robinhood mit dieser Argumentat­ion bei den Regulierer­n durchkommt.

Gleichzeit­ig bezweifeln einige Trader auf Reddit, dass es den Aufsichtsb­ehörden wirklich darum geht, unbedarfte Anleger zu schützen.

"Sie haben Angst davor, dass die junge Generation das Spiel verändert", schrieb ein User im Forum r/wallstreet­bets. "Es wird einen Paradigmen­wechsel geben und die (Baby-)Boomer müssen 'raus aus ihrer Komfortzon­e."

"Ja, wie könnte unsere Generation auch sonst überleben?", antwortete ein anderer. "Keine Renten, keine Gewerkscha­ften, keine Loyalität der Arbeitgebe­r. Investiere­n ist die einzige Chance, nicht bis zum Ende des Lebens arbeiten zu müssen."

"Und so wie der Klimawande­l läuft", fügte ein Dritter hinzu, "bleiben uns ohnehin nur noch etwa 20 Jahre normaler Zivilisati­on, um an das ganze Geld zu kommen und zu versuchen, damit etwas Spaß zu haben."

Adaption aus dem Englischen von Andreas Becker

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