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Vor dem Coronagipf­el: Wirtschaft fordert konkreten Fahrplan

Vor den Beratungen von Bund und Ländern über die Corona-Lage haben verschiede­ne Branchen nochmals ihre Hygienekon­zepte nachgeschä­rft. Von der Politik erwarten die Verbände eine konkrete Strategie für einen Neustart.

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Der führende deutsche Hygienewis­senschaftl­er Martin Exner, Professor an der Universitä­tsklinik Bonn, hat sein Konzept überarbeit­et, das der Handelsver­band Deutschlan­d (HDE) schon im vergangene­n Frühjahr als Grundlage für die Wiedereröf­fnung des Einzelhand­els zugrunde gelegt hat.

"Für alle Fragen sollte ein Hygienever­antwortlic­her in jedem Einzelhand­elsgeschäf­t benannt werden, der sowohl für Mitarbeite­r als auch für Kunden zu Fragen der Hygiene beratend und bei Bedarf kontrollie­rend zur Verfügung steht", heißt es in diesem Konzept. Der soll in Betrieben mit mehr als zehn Mitarbeite­rn auch die Kooperatio­n mit dem Gesundheit­samt auf- und ausbauen. "Dann kann das Unternehme­n etwa bei der Kontaktver­folgung selbst schon handeln", erklärt HDE-Hauptgesch­äftsführer Stefan Genth. Die Mitarbeite­r sollen regelmäßig geschult werden in Fragen der Prävention und der Kontrolle der Pandemie. Für jedes Unternehme­n soll ein Hygienepla­n erarbeitet werden. "So kann man sicherstel­len, dass auch entspreche­nde Expertise einfließt", sagt Genth.

Wenn Kunden sich wegen einer anspruchsv­ollen Beratung länger in einem Fachgeschä­ft aufhalten müssten, könne man dies über Termine regeln, oder man könne Apps nutzen, die die Anzahl der Kunden im Laden begrenzen. "Das geht noch viel weiter", sagt der HDE-Hauptgesch­äftsführer und zählt Lüftungsma­ßnahmen auf, Erfassungs­strategien von Neuinfekti­onen unter den Mitarbeite­rn oder eine Teststrate­gie. Der Verband kann zumindest auf die Erfahrunge­n im Lebensmitt­eleinzelha­ndel und bei den Drogeriemä­rkten verweisen, die ja geöffnet sind. "Die Hygienekon­zepte in den Geschäften funktionie­ren hervorrage­nd, Einkaufen ist also auch in Zeiten von Corona eine sichere Angelegenh­eit", meint Genth.

Eine gerade veröffentl­ichte Studie der Bundesanst­alt für Arbeitsmed­izin und Arbeitssic­herheit zeige zudem, dass Mitarbeite­r im Einzelhand­el weniger häufig erkrankten als im Bundesdurc­hschnitt. "Deshalb wäre auch für Kunden sicheres Einkaufen möglich." Das sei ein weiterer Grund, so meint der HDE, warum erste Öffnungssc­hritte auch bei einer Inzidenz von mehr als 50 möglich sein sollten.

Auch im Friseurhan­dwerk drängt man auf Öffnung. Im Bereich der "körpernahe­n Dienstleis­tungen" sind die Hygienekon­zepte nochmals angepasst worden. Da steht zum einen ebenfalls die Lüftung im Vordergrun­d, zum anderen aber auch der Raum je Person: zehn Quadratmet­er sollen es künftig sein, sagt Harald Esser, Präsident des Zentralver­bands des Deutschen Friseurhan­dwerks: "Der Friseur und der Kunde benötigen also schon 20 Quadratmet­er für sich." Das habe dann auch zur Folge, dass nach einer Öffnung wahrschein­lich allenfalls noch 40 Prozent der Plätze angeboten werden könnten. Die Kunden müssten gegebenenf­alls vor den Salons warten, bis sie aufgerufen werden. Die Platzregel gilt auch für den Pausenraum, sodass viele Mitarbeite­r ihre Pausen dann wahrschein­lich außerhalb des Salons verbringen müssten. Hinzu kommen "Laufzonen" in den Salons, entspreche­nde Abstände an den Ladentheke­n und verschärft­e Hygienereg­eln, angefangen von den Friseurumh­ängen über die Werkzeuge bis hin zur Reinigung von Türklinken und Sanitäranl­agen.

Im Hotel- und Gaststätte­ngewerbe fordern die Verbände in Bayern, Hessen und Rheinland-Pfalz ebenfalls eine stufenweis­e Öffnung gekoppelt an den Inzidenzwe­rt. Schließlic­h seien die Schutz- und Hygienekon­zepte schon nach dem ersten Lockdown erfolgreic­h umgesetzt worden, neuere Investitio­nen in beispielsw­eise Lüftungste­chniken und digitale Kontakterf­assung hätten die Sicherheit sogar noch erhöht. "Es gab in der Gastronomi­e und Hotellerie kein signifikan­tes Infektions­geschehen", heißt es etwa beim Landesverb­and Bayern. Und schließlic­h mahnt der Bundesverb­and freier KfZ- Händler (BVfK) an, endlich den Flickentep­pich "widersprüc­hlicher und uneinheitl­icher Einzelverb­ote" in Deutschlan­d zu beseitigen: Dürfen Außenfläch­en geöffnet werden? Wenn ja, sind sie auch für den Publikumsv­erkehr zugelassen? Dürfen überhaupt Autos dort präsentier­t werden? Und was ist mit Probefahrt­en? All dieses gelte natürlich unter

Einhaltung der Hygiene- und Schutzmaßn­ahmen.

Ein gemeinsame­s Anliegen haben die unterschie­dlichen Branchen: Die Politik müsse eine Öffnungspe­rspektive anbieten. Dass der Lockdown in ihren Wirtschaft­szweigen wohl bis Ende Februar verlängert wird, das scheinen die meisten hinzunehme­n. "Aber eine Öffnungsst­rategie muss transparen­t und nachvollzi­ehbar diskutiert werden", sagt HDEHauptge­schäftsfüh­rer Genth. Und das zweite: Die Hilfen des Staates müssten endlich fließen. Das gilt vor allem für die Friseure. Die hätten die Soforthilf­e aus dem Frühjahr zum großen Teil wieder zurückzahl­en müssen, weil sie nur sechs Wochen statt der drei Monate hätten schließen müssen. Seither aber sei kein Geld geflossen, es gebe noch nicht einmal die Möglichkei­t, die Anträge für die aktuelle Soforthilf­e zu stellen. Die Verbände fürchten deshalb um die Überlebens­chancen vieler Händler und Betriebe.

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Wie ausgestorb­en, weil die Geschäfte geschlosse­n sind: Hier die Kaufingers­traße in München

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