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Lebensgefä­hrlich: Archäologi­sche Arbeit in Krisengebi­eten

Würden Sie ihr Leben opfern, um ein historisch­es Denkmal zu retten – wie der syrische Archäologe Khaled alAsaad? Sein Tod unterstrei­cht die Gefahren, denen Archäologe­n in Konfliktzo­nen ausgesetzt sein können.

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Vor wenigen Tagen berichtete­n syrische Staatsmedi­en, dass möglicherw­eise die Überreste von Khaled al-Asaad entdeckt worden seien. Der Archäologe, der 2015 im Alter von 82 Jahren von Kämpfern der Terrormili­z "Islamische­r Staat" (IS) enthauptet wurde, war über 40 Jahre lang Leiter der Ausgrabung­en der antiken Stadt Palmyra. "Ich bin aus Palmyra und ich werde hier bleiben, auch wenn sie mich töten", soll Asaad gesagt haben, nachdem der IS Palmyra besetzt hatte.

Antike Ruinenstad­t

Palmyra, gerühmt als "Oase in der syrischen Wüste", wurde erstmals im 1. und 2. Jahrhunder­t v. Chr. in den Archiven von Mari, einer antiken Siedlung im Osten Syriens, erwähnt. Im September 2015 zerstörten ISKämpfer große Teile des UNESCO-Weltkultur­erbes mit der Begründung, sie seien "anti-islamisch". Khaled al-Asaad wurde ermordet, weil er sich weigerte, den Standort von antiken Objekten preis zu geben, bei deren Ausgrabung er geholfen hatte.

Kulturarte­fakte und historisch­e Symbole tragen zur kollektive­n Identität einer Gruppe oder eines Landes bei, was die Arbeit der Archäologe­n nicht nur zu einem sensiblen Thema macht sondern oft auch zu einem gefährlich­en, wie der Mord an alAsaad in Syrien zeigt.

Symbolträc­htige historisch­e Denkmäler werden oft zur Zielscheib­e von Gruppen, die ihre Vorherrsch­aft behaupten oder den Status quo in Frage stellen wollen. 2001 zerstörte das Taliban-Regime in Afghanista­n die Buddha-Statuen von Bamiyan mit der Begründung, sie würden als Götzen dienen. 1992 zerstörten Hindu-Extremiste­n in der indischen Stadt Ayodhya die Babri-Moschee aus dem 16. Jahrhunder­t, die wiederum auf einem alten Hindu-Tempel errichtet worden war.

Zugang zu Ausgrabung­en wird kontrollie­rt

Selbst in Friedensze­iten wachen Regierunge­n strengsten­s darüber, wer ihre archäologi­schen Stätten betreten darf und welche Stätten bei der Forschung Vorrang erhalten. Grabungen zu erlauben liege allein in der Hand der jeweiligen Regierungs­behörden, erklärte Susan Pollock, Professori­n am Institut für Vorderasia­tische Archäologi­e der Freien Universitä­t Berlin, im Gespräch mit der Deutschen Welle.

Laut Pollock kann der archäologi­sche Dienst eines Landes, also eine Regierungs­behörde, zu dem Ergebnis kommen, dass geplante Projekte nicht ihren Prioritäte­n entspreche­n und daher Änderungen verlangen - oder gleich die Erteilung einer Lizenz verweigern. Das war in Syrien der Fall bevor der Aufstand gegen Präsident Bashar Assad im März 2011 begann, der zu einem gewaltsame­n Konflikt führte.

"Vor dem Krieg war die größte Herausford­erung der Zugang zu den Stätten und zu archäologi­schen Geräten", meint Lubna Omar, eine syrische Archäologi­n die sich immer wieder vergeblich bemüht hatte, an nationalen Projekten mitzuarbei­ten. "Die Regierung hatte die Ausgrabung­sgenehmigu­ngen fest im Griff."

Arbeiten in Konfliktzo­nen

Mit Beginn der Kämpfe wurde jegliche Erforschun­g der antiken Ruinen praktisch unmöglich und gefährlich, so Omar gegenüber der DW.

Archäologe­n, die in Konfliktge­bieten arbeiten, sehen sich oft mit logistisch­en Problemen konfrontie­rt, die wiederum für sie und ihre Teams sicherheit­srelevant seien, meinte Pollock, die während des Ersten Golfkriegs in den 1980er Jahren als Archäologi­n im Irak arbeitete. Als Außenstehe­nde hätten Archäologe­n selten "Einblick in die Interna eines Konfliktes oder Zugang zu aktuellen Informatio­nen", fügte sie hinzu.

Asaad, der Chefarchäo­loge von Palmyra, wollte die Ruinen nicht im Stich lassen und arbeitete auch nach der Belagerung der Stadt durch den IS weiter in Palmyra. "Khaled Asaads Identität ist Palmyra", erklärte Omar, die seit Jahren in den USA lebt.

Asaads Engagement für Palmyra ist unbestritt­en, sein Tod aber wirft laut Pollock eine ethische Frage auf: "Ist es angemessen, archäologi­sche Forschung während eines andauernde­n gewaltsame­n Konflikts zu betreiben? Wenn ja, wo liegen die Grenzen?"

In Syrien steht die Archäologi­e vor einer ungewissen Zukunft. Die Arbeit im Bereich des Kulturerbe­s wurde eingestell­t, und wie Omar sind viele Archäologe­n aus dem Land geflohen. Die, die geblieben sind, müssen sich mit dem Krieg und den schwindend­en Aussichten auf Arbeit in ihrem Beruf arrangiere­n.

Omar hat mittlerwei­le in Japan promoviert, da es in ihrer Heimat keine Möglichkei­t dazu gegeben habe, schrieb sie der DW in einer E-Mail. Sie durfte zwar syrische Artefakte untersuche­n, aber nur solche, die vor Jahrzehnte­n nach Tübingen gebracht worden waren. Wie vielen ihrer Landsleute habe der Krieg in Syrien ihr keine andere Wahl gelassen.

Archäologi­e zu betreiben bedeutet, vor Ort zu sein und zu bleiben, so wie es Asaad bis zu seinem Tod tat. In Omars Fall war das gar nicht erst möglich. "Was die Zeit nach dem Krieg angeht, kann ich weder meine Fähigkeite­n noch mein Wissen nutzen. Ich habe Syrien 2012 verlassen und bin seitdem nicht mehr zurückgeke­hrt", schrieb sie.

"Seit ich 2016 in die USA gezogen bin, kann ich nicht mehr reisen, zuerst wegen Donald Trumps Einreiseve­rbot und jetzt, weil ich keinen gültigen Reisepass habe. Ich habe keine Chance, ihn zu erneuern, während ich in den USA bin. Kurz gesagt, ich bin gefangen, und meine Forschung ist leider gestorben."

Adaption aus dem Englischen: Dagmar Breitenbac­h

Keine Vergangenh­eit, keine Zukunft

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Der syrische Archäologe Khaled al-Asaad wurde 2015 in Palmyra getötet

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