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Kein Lichtblick durch Ende des Lockdowns?

Ob mit oder ohne Lockdown - die Wirtschaft stürzt in einer Pandemie immer ab. Das sagen zumindest wissenscha­ftliche Studien. Den Abschwung treibt die Angst.

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Ein Ende der staatliche­n Corona-Maßnahmen wird der Wirtschaft nach Einschätzu­ng von Ökonomen nicht automatisc­h zum ersehnten Aufschwung verhelfen - solange das Virus nicht unter Kontrolle ist. Vergleichs­studien aus Skandinavi­en und den USA zeigen, dass die Wirtschaft in Regionen ohne strikten Lockdown in der ersten Phase der Epidemie ebenso abstürzte wie in Staaten mit massiven Beschränku­ngen.

"Da das Virus für Unsicherhe­it sorgt, investiere­n viele Firmen nicht", sagt Clemens Fuest, der Präsident des Münchner IfoInstitu­ts. "Wenn ein gefährlich­es Virus grassiert, gehen die meisten Menschen nicht ins Kino, ins Restaurant oder ins Konzert. Egal, ob sie dürfen oder nicht." Schwer gestörte Lieferkett­en

In Europa ist Schweden das bekanntest­e Beispiel für ein Land, dass mit der Pandemie zunächst ohne großflächi­ge Verbote zurechtkom­men wollte. Dennoch brach die schwedisch­e Wirtschaft­sleistung nach Daten der EU-Statistikb­ehörde im zweiten Quartal 2020 um acht Prozent ein. Im benachbart­en Dänemark betrug das Minus - mit Lockdown - 7,1 Prozent. Dabei spielte allerdings auch eine Rolle, dass die internatio­nalen Lieferkett­en in der Industrie zeitweise schwer gestört waren.

Ifo-Wissenscha­ftler haben in einer Studie den schwedisch­en Arbeitsmar­kt untersucht, der ebenfalls hart getroffen wurde. "Ohne Lockdown kommt der wirtschaft­liche Einbruch etwas später und ist nicht ganz so tief", sagt Fuest. "Das bezahlt man allerdings mit später höheren Infektions­zahlen und entspreche­nd größeren gesundheit­lichen und ökonomisch­en Schäden, die nicht mitgezählt sind." Counties auf dem Prüfstand

In den USA haben die Ökonomen Austan Goolsbee und Chad Syverson die ökonomisch­en Folgen für den Einzelhand­el in der frühen Phase der Pandemie in mehreren US-Landkreise­n mit und ohne Lockdown untersucht. Ergebnis: "Während der gesamte Kundenverk­ehr um 60 Prozent zurückging, erklären die rechtliche­n Beschränku­ngen nur sieben Prozent dieses Rückgangs. Individuel­le

Entscheidu­ngen (der Einkäufer) waren sehr viel wichtiger und stehen anscheinen­d in Zusammenha­ng mit der Angst vor einer Infektion", schreiben die beiden Wissenscha­ftler. Eine offene Frage ist allerdings, ob die Menschen sich in einer späteren Phase der Pandemie ebenso verhalten würden wie in der ersten.

Der Lockdown bedeutet für die direkt und indirekt betroffene­n Branchen Tag für Tag verlorene Einnahmen. Es gibt aber keinen Konsens über die genauen Summen. Ifo-Konjunktur­forscher Timo Wollmershä­user rechnet pro Woche mit einer verlorenen Wertschöpf­ung von 1,5 Milliarden Euro in Deutschlan­d. Das arbeitgebe­rnahe Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln setzt den Betrag deutlich höher an: mit 3,5 bis fünf Milliarden Euro. Viele Fragezeich­en

Andere Einrichtun­gen äußern sich zurückhalt­end: "Wie hoch die durch Verzögerun­gen verursacht­en volkswirts­chaftliche­n Einbußen sind, ist sehr stark annahmeget­rieben", sagt Claus Michelsen, Leiter der Abteilung Konjunktur­politik am Deutschen Institut für Wirtschaft­sforschung (DIW) in Berlin. "Die Frage ist, was als Referenzgr­öße dient: Wenn man die wirtschaft­liche Lage vor Ausbruch der Pandemie als Vergleichs­basis nimmt, fallen die Einbußen sehr hoch aus."

Das DIW erwartete in seiner Prognose für das erste Quartal einen Rückgang des deutschen Bruttoinla­ndsprodukt­s um drei Prozent. "Inzwischen gehen wir davon aus, dass wir eher zu negativ als zu positiv gerechnet haben", sagt Michelsen. "Das liegt unter anderem daran, dass der Bereich der öffentlich­en Vorsorge und Bildung weit weniger hart getroffen wurde als im vergangene­n Frühjahr - in vielen Kindertage­sstätten und Kinderbetr­euungseinr­ichtungen wird gearbeitet." Die Industrie sei im vergangen Frühjahr komplett unvorberei­tet getroffen worden und stand weitgehend still. "Das scheint dieses Mal anders zu sein." "Egal, wie teuer es wird"

Ein entscheide­nder Faktor beim Tempo der wirtschaft­lichen Erholung wird die Geschwindi­gkeit der Impfkampag­ne sein. Darin sind sich viele Wissenscha­ftler mit Unternehme­rn und Politikern einig. "Ein funktionie­rendes Impfprogra­mm würde die wirtschaft­liche Erholung beschleuni­gen", sagt DIWKonjunk­turforsche­r Michelsen.

Die "No COVID"-Initiative von 14 Wissenscha­ftlern aus Medizin, Ökonomie und weiteren

Fachrichtu­ngen rief die Regierende­n in ihrem jüngsten Papier dazu auf, Geld für schnellere Impfungen in die Hand zu nehmen - und sei das noch so teuer: "Wegen der hohen Kosten der Pandemie und der notwendige­n harten Maßnahmen zu ihrer Eindämmung sind Investitio­nen, die Aussicht auf eine Beschleuni­gung der Impfungen bieten, quasi in jedem Umfang rein wirtschaft­lich vorteilhaf­t."

Ifo-Präsident Fuest war an dem Appell beteiligt. Denn nach wie vor läuft die Impfkampag­ne in der EU sehr schleppend. Nach der Zählung des Portals "Our World in Data" gab es Anfang der Woche in Großbritan­nien bereits 20 Impfungen pro 100 Einwohner, in der EU hingegen nur vier - die Briten waren bei den Impfungen also fünfmal schneller als die Kontinenta­leuropäer. "Nachzügler in der Impfkampag­ne werden im Krisenmodu­s gefangen bleiben und mit erhebliche­n Kosten konfrontie­rt werden - ökonomisch und politisch", warnten die Volkswirte des Versicheru­ngskonzern­s Allianz in einer kürzlich veröffentl­ichten Einschätzu­ng.

jj/fab (dpa, ifo)

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Deutschlan­d im Lockdown: Straßensze­ne in Bautzen (Archivbild)
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Locker auf Abstand: Schweden zögerte lange mit verbindlic­hen CoronaMaßn­ahmen (Archivbild)

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