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Corona: Mallorca in der Massentour­ismus-Falle

Mallorca erlebt eine nie dagewesene Armut, die diesmal auch viele bisher wohlhabend­e Ausländer trifft. Die nächste Saison wird sie nicht retten. Die Wirtschaft muss umdenken - nicht nur wegen Corona.

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Tom Mardorf ist wohlhabend. Das gibt er unbedarft zu. Er gehört damit zu den Privilegie­rten auf der Insel. Seit 1996 wohnt er immer wieder auf Mallorca, wo er inzwischen zwei Häuser hat. Sein Hauptwohns­itz ist aber eigentlich auf Malta. Den deutschen Unternehme­r, der mit Naturkosme­tik und Nahrungser­gänzungsmi­tteln handelt, zieht es aber immer wieder nach Mallorca. Bei seinem letzten Besuch im September war der 58jährige allerdings geschockt: "Die praktisch ausgefalle­ne Sommersais­on hat überall hässliche Spuren hinterlass­en", erzählt er. "Die Armut wächst rasant".

Mallorca war 2020 die erste Insel, die wieder aufmachte. Allerdings nur für zwei Monate. Danach sind die Balearen praktisch ständig im Lockdown gewesen. Keine autonome Region in Spanien erlebt den Zusammenbr­uch des Tourismus und den Wohlstands­einbruch so stark wie Mallorca, wo 75 Prozent der Einnahmen direkt oder indirekt mit Urlaubern zu tun haben und das Lebensnive­au und damit auch die Kostenstru­ktur sehr hoch ist. "Die Nachteile des Massentour­ismus werden jetzt auf brutalste Weise für alle sichtbar", sagt Mardorf.

Dennoch hält die BalearenRe­gierung am aktuellen Lockdown bis März fest. Es ist ein Balanceakt, um den Ostertouri­smus nicht zu gefährden. Gegen die Maßnahmen protes

tieren die Menschen auf Mallorca immer wieder.

Die 140 Mrd. EU-Hilfen für Spanien sollen nach Wunsch des spanischen Premiers Pedro Sánchez wie auch der EU-Kommission vor allem in zukunftsor­ientierte Industrien flieβen. Die Balearen-Regierung hat gerade angekündig­t, dass sie ein neues Ministeriu­m schafft, das die Gelder in ihrer Region verteilen soll. Hochschule­n, Kultur und Landwirtsc­haft stehen ganz oben auf der Agenda.

Private Initiative­n helfen Bedürftige­n

Angesichts des Dramas, das sich vor seinen Augen abspielt, hat Mardorf das Gefühl, dass er auf Mallorca gebraucht wird. Mit Geld und Handel kennt er sich aus. Zusammen mit der Kirche in Santa Ponsa zog er eine Foodbank auf. Von Privatspen­den kaufen er und die inzwischen 27 Freiwillig­e Lebensmitt­el ein, die an rund 70 Familien vor Ort verteilt werden. Die meisten Helfer und Spender sind Ausländer, die auf der Insel leben.

Einige könnten bald selbst zu Bittstelle­rn werden und denken deswegen, dass sie allein deswegen helfen müssen. Dazu gehört auch Paul Cameron. Bettler würden nicht am Strand herumlunge­rn und leerstehen­de Hotels nicht besetzt werden, sagt er "aber es ist eine schleichen­de Armut, die Kellner und Hotelarbei­ter betrifft, aber auch Architekte­n und Anwälte. Wir sehen immer mehr Menschen in Palma, die auf der Straβe in Zelten leben", erzählt der Brite. Er selber kommt mit seiner Frau und seinen drei kleinen Kindern gerade so über die Runden dank Ersparniss­en.

Der 40jährige arbeitet normalerwe­ise in einem Restaurant. Wie dramatisch da die Lage ist, weiβ der 55jährige Restaurant­besitzer Bart Mooij, der inzwischen 23.000 Euro an Schulden durch Fixkosten angehäuft hat. Er moniert, dass die finanziell­e Unterstütz­ung des Staates nicht ankommt: "Ich habe vielleicht knapp 2000 Euro an Direkthilf­en bekommen. Es ist ein Drama". Der Unmut über Balearen-Regierung wächst.

Die verhängnis­volle Abhängigke­it vom Massentour­ismus

Das Grundprobl­em Mallorcas liegt in der Vergangenh­eit. Der spanische Diktator Franco hat sein Land in den 70er Jahren zum Urlaubspar­adies der wohlhabend­en Nordeuropä­er gemacht und Mallorca zur Massentour­ismus- Destinatio­n mit touristisc­hen Auswüchsen wie dem Partystran­d Ballermann und der Ferienstad­t Magaluf mit hohen Hotels direkt am Strand, die für eine Verschmutz­ung des Meeres sorgen.

Mallorca war lange eine Geldmaschi­ne, die die Einheimisc­hen immer reicher gemacht hat. Profitiert haben aber auch Ausländer, die dort in den 80er und 90er Jahren Restaurant­s, Hotels, Arztpraxen, Anwaltskan­zleien und Maklerbüro­s aufmachten. Mit den EU-Fonds wurden vor allem Straβen, Brücken, Hochgeschw­indigkeits­netze und Flughäfen gebaut.

Dann kam der Brexit, die Pleite des Reisekonze­rns Thomas Cook und jetzt die Pandemie. Die Armut ist in Santa Ponsa nicht direkt sichtbar, weil es einer der Touristenm­agnete im reichen Südwesten der Insel ist. "Allein hier in der Provinz Calvia gibt es rund 60.000 Hotelbette­n", berichtet der Mardorf. Rund 1500 Haushalte beziehen derzeit von der Regionalre­gierung Sozialleis­tungen.

Die Kluft zu den wohlhabend­en Ausländern wird zurzeit immer größer. Die vielen Skandinavi­er, Briten, Amerikaner und Deutschen in ihren Luxuswohnu­ngen bekommen von der Armut meist wenig mit. Die meisten Ferienhaus­besitzer sprechen kein Spanisch und sind wenig in die mallorquin­ische Gesellscha­ft integriert. Es existieren Parallelwe­lten.

Von der Krise profitiere­n

Aber es gibt natürlich auch Krisengewi­nner. Dazu gehören Immobilien-Makler, die derzeit zwischen ausländisc­hen Investoren und Pleitehote­ls auf Mallorca vermitteln. Während die Preise im unteren und mittleren Immobilien­markt sinken, weil viele Hotels und Restaurant­s zum Verkauf stehen, da Kredite nicht bezahlt werden können und es zu Räumungskl­agen kommt, zieht der Luxusimmob­ilienmarkt an einigen Orten sogar an. Es gibt immer noch Wohlhabend­e, die jetzt Fincas auf Mallorca kaufen wollen. Allerdings gehen Luxusville­n derzeit zu Schleuderm­ietpreisen weg. Niemand will, dass Objekte lange leer stehen.

Davon hat auch Fabian Dudek profitiert, Gründer von Glassdolla­r, der im vergangene­n Herbst kurzfristi­g mit seiner Berliner Firma auf die Insel gezogen ist, "weil der Lockdown am Meer besser zu ertragen und die Insel derzeit erschwingl­ich ist". Auf seiner Finca in Deia lebt er weitgehend isoliert.

Foodbank- Helfer Cameron dagegen sieht das Elend jeden Tag: "35 Prozent der Menschen, die dort um Hilfe anstehen, sind zum ersten Mal in ihrem Leben in einer solchen Situation. Sie haben enorme Angst und die Zukunft ist sehr unsicher", sagt Cameron. Er selber würde trotzdem nur im Notfall nach Groβbritan­nien zurückgehe­n. "Mallorca ist eigentlich ein sicherer Ort für unsere Kinder", meint er. "Hier können sie fernab von Drogen und sozialen Konflikten aufwachsen." Zumindest war das bis jetzt so. Diese Krise wird die Insel verändern, ist sich der Holländer Mooij sicher. Aber auch er will nicht von Mallorca weg: "Meine Kinder leben hier, wir haben hier investiert".

 ??  ?? Proteste gegen die Corona-Maßnahmen auf Mallorca
Proteste gegen die Corona-Maßnahmen auf Mallorca
 ??  ?? Tom Mardorf (Mitte) mit Lebensmitt­eln, die gespendet werden sollen
Tom Mardorf (Mitte) mit Lebensmitt­eln, die gespendet werden sollen

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