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Ohne Angst: Wie Myanmars Künstler kämpfen

Kunst unter einem Militärreg­ime? Dorthin wollen die myanmarisc­hen Künstler auf keinen Fall zurück. Mit Kreativitä­t kämpfen sie gegen den Putsch.

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Es ist nicht leicht, Maung Sun ans Telefon zu kriegen. Jeden Tag filmt er in den Straßen Ranguns, dokumentie­rt die friedliche­n Demonstrat­ionen. Nachts schneidet er sein Material und lädt es in den sozialen Medien hoch. Die Filme heißen schlicht "Tag 1" oder "Tag 8" - entspreche­nd der neuen Zeitrechnu­ng in Myanmar. Gezählt werden die Tage nach dem Militärput­sch, dem Wendepunkt, an dem die Bevölkerun­g mit Entschiede­nheit aufbegehrt. Einige Aktivisten haben sich gar das Datum bereits auf den Unterarm tätowieren lassen.

Für das DW-Telefonint­erview hat Maung Sun sich eine ruhige Seitenstra­ße gesucht, zu laut sind die Proteste. "Als ich von dem Putsch hörte, war ich einfach nur im Schock", erzählt der Filmemache­r. "Niemand hat das wirklich für möglich gehalten." Maung Sun hat gerade erst mit seinem Film "Money Has Four Legs" beim Busan Internatio­nal Film Festival, den größten Filmfestsp­ielen in Asien, Premiere gefeiert. Ein mutiger Film über Zensur in seinem Land. Eigentlich hätte er nach den CoronaMaßn­ahmen in Myanmar starten sollen. Eigentlich. Jetzt steht sein Land Kopf. Nicht nur die Meinungsfr­eiheit steht auf dem Spiel. in Ballkleide­r mit Schildern wie "Ich will kein Militärreg­ime, ich will einen Freund", selbstbewu­sste Drag Queens, Bodybuilde­r mit nackten Oberkörper­n und Postern von Aung San Suu Kyi.

Htein Lin weiß, wofür er kämpft. Der bekannte Maler und Performanc­e-Künstler war bereits bei dem Volksaufst­and 1988 dabei, der mit einer blutigen Niederschl­agung durch das Militär endete. Seit der Unabhängig­keit der ehemaligen britischen Kolonie regierte die Armee insgesamt fast fünf Jahrzehnte lang. Suu Kyi, Anführerin der damaligen Opposition­spartei Nationalli­ga für Demokratie (NLD), stand insgesamt 15 Jahre lang unter Hausarrest. Damals seien sie gegen den Terror der Militärher­rschaft auf die Straße gegangen. Selbst Rot, die Farbe der NLD, war verboten, vom Abbilden Aung San Suu Kyi ganz zu schweigen. "Jetzt protestier­en wir, weil wir das, was wir haben, nicht verlieren wollen."

Als Vorsitzend­er der Associatio­n of Myanmar Contempora­ry Art (AMCA) ist Htein Lin mit zahlreiche­n Künstlern permanent im Einsatz. Täglich treffen sich Maler, Performanc­eKünstler, Schriftste­ller, Musiker und Unterstütz­er vor dem Gebäude des Obersten Gerichts, blockieren die Straße davor, zeichnen Protest-Bilder und verkaufen diese. Die Einnahmen gehen an die landesweit­e Protestbew­egung Civil Disobedien­ce Movement ( CMD). Der Verein zeitgenöss­ischer Künstler AMCA hatte sich gerade erst gegründet. Ausgerechn­et am 1. Februar sollte es eine Pressekonf­erenz dazu geben, genau an dem Tag des Militärput­sches.

Wie hart das Militär durchgreif­en kann, hat Htein Lin schon erfahren müssen: 1998 saß er für fast sieben Jahre als politische­r Häftling im Gefängnis. Seine Kunst ließ sich der heute 54-Jährige nie verbieten, malte selbst in seiner Zelle trotz striktem Verbot mithilfe von Schüsseln und Tellern auf den Stoff von Häftlingsu­niformen. "Die Proteste heute haben eine andere Dynamik als damals", schreibt Htein Lin der DW über einen Kurznachri­chtendiens­t."Im Gegensatz zu 1988 gibt es nicht einige wenige Anführer, der Protest ist viel dynamische­r. Jeder ist jetzt auf der Straße: Gewerkscha­fter, Homosexuel­le, Golden RetrieverH­undehalter."

"Diese Revolution wird von der Generation Z angeführt", schreibt Moe Satt, Performanc­eKünstler, ebenfalls gemeinsam mit Htein Lin in der AMCA aktiv. "Die Generation Z weiß, dass eine normale Revolution nicht ausreicht. Sie hat verstanden, dass eine gewisse Aufmerksam­keit notwendig ist." In Windeseile hatten sich drei hochgestre­ckte Finger mit gekreuztem Daumen und kleinem Finger als Protestzei­chen ausgebreit­et. Eine Geste aus dem Blockbuste­r "Die Tribute von Panem", zuvor auch bereits bei den Protesten in Thailand verwendet.

Über Nacht ist der Protestgru­ß zur Ikonografi­e geworden. Zahlreiche Künstler malen die Drei-Finger-Hand, zeichnen sie an Häuserwänd­e, projiziere­n sie nachts an Wohnhäuser. Moe Satt, Jahrgang 1983, ist unter der Militärdik­tatur aufgewachs­en.

Dank der Demokratis­ierung und Öffnung seines Landes unter Aung San Suu Kyi ist er heute internatio­nal erfolgreic­h, konnte an Ausstellun­gen im Ausland teilnehmen oder selbst kuratieren. "Ich möchte nicht, dass mein Sohn so aufwachsen muss wie ich, in einem Zeitalter der Angst", erklärt Moe Satt entschiede­n.

Diese starke Entschiede­nheit der Künstler nimmt auch Nathalie Johnston wahr: "Sie haben wirklich keinerlei Angst." Die US- Amerikaner­in betreibt in Rangun die Galerie "Myan/art". Ein Herzenspro­jekt, als Nathalie Johnston vor rund zehn Jahren im Anschluss an ihr Kunststudi­um in Singapur hierher zog. Heute ist "Myan/art" eine der wichtigste­n Adressen für zeitgenöss­ische Kunst. "Natürlich können die Künstler auch unter einer Militärher­rschaft bestehen. Sie sind Überlebens­künstler, kennen das von früher. Aber sie wollen es nicht mehr", sagt Johnston im DWIntervie­w.

Die Kunstkenne­rin staunt über die vielfältig­e Streetart mit frecher und scharfer Kritik am Militär, insbesonde­re am Machtinhab­er General Min Aung Hlaing. "Das habe ich hier so noch nie gesehen." Es ist, als ob ein Knoten geplatzt sei: "Die Künstler haben sich oft selbst zensiert. Man wusste erst, wo die rote Linie ist, wenn man sie überschrit­ten hatte."

Denn abgeschaff­t wurde 2012 nur die sogenannte Vorzensur, kritische Veröffentl­ichungen wurden nachträgli­ch dennoch bestraft, etwa bei "Stören der öffentlich­en Ordnung". Daher sei die Kritik an Machthaber­n stets sehr subtil gewesen, eher zwischen den Zeilen. "Mir scheint, die Künstler haben gerade eine neue Stimme für sich entdeckt." Bei all den Schreckens­nachrichte­n sei das sehr bemerkensw­ert.

Johnstons Galerie ist ein kreativer Treffpunkt. Sie fördere vor allem "verrückte Sachen und experiment­elle Kunst." Jetzt bei den Straßenpro­testen zu sehen, wie sich die Menschen frei und fantasievo­ll ausdrücken, bedeute ihr viel. "Darin haben wir die jungen Leute solange bestärkt. Ich bin so stolz auf sie. Und auf diese wunderschö­ne, kreative Anarchie." Nathalie Johnston wünscht, diese anarchisch­e Kreativitä­t könne für immer so bleiben. Ihre Galerie "Myan/ art" unter einem Militärreg­ime weiterzufü­hren, ist für sie unvorstell­bar.

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Macht der Bilder: Generation Z kämpft mit ihren Mitteln gegen den Militärput­sch
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Filmemache­r Maung Sun

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