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Meinung: Kein Block im Osten - 30 Jahre Visegrád-Gruppe

Zum 30-jährigen Jubiläum der Visegrád-Gruppe gibt es wenig zu feiern - und für die EU einiges zu lernen. Denn der informelle Staatenbun­d ist weniger einig als es vielfach den Anschein hat, meint Keno Verseck.

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Mitteloste­uropa und die Europäisch­e Union könnten in diesen Tagen ein denkwürdig­es Jubiläum feiern: Die Gründung der Visegrád-Gruppe am 15. Februar 1991 war ein Meilenstei­n bei der Wiedervere­inigung Europas nach dem Fall des Eisernen Vorhangs. Und in gewissem Sinne das Datum, an dem die Integratio­n Mitteloste­uropas in die spätere Europäisch­e Union begann.

Doch es wird in diesen Tagen keine großen gemeinsame­n Festzeremo­nien der VisegrádLä­nder und der EU-Führung geben. Und das nicht nur wegen der Corona-bedingten Einschränk­ungen. Anlässlich des Visegrád-Jubiläums ist niemand in Feierlaune - weder in Brüssel, noch in Warschau, Prag, Bratislava oder Budapest. entfremdet. Das jüngste schwere Zerwürfnis liegt nur wenige Wochen zurück - im Streit um den neuen Rechtsstaa­tsmechanis­mus der EU legten Polen und Ungarn ein Veto gegen den neuen EU-Haushalt ein und stürzten die Union damit in eine Krise.

Aber was gäbe es nach drei Jahrzehnte­n Visegrád- Kooperatio­n eigentlich zu feiern? Im Rückblick wenig Substanzie­lles. Gegründet wurde das inoffiziel­le Bündnis mit dem Ziel, ein Motor der europäisch­en und transatlan­tischen Integratio­n zu sein. Nominell war dieses Ziel mit der NATO- und der EU-Osterweite­rung erfüllt. Als Motor funktionie­rte die Visegrád-Kooperatio­n dabei jedoch meistens nicht.

Nach den Erfahrunge­n von

Jahrzehnte­n im sowjetisch­en Ostblock herrschten in allen Visegrád-Ländern von Anfang an starke Vorbehalte gegen einen neuen Gruppenzwa­ng für Mitteloste­uropa. Vielfach stieß es den Ländern der Region bitter auf, dass sie von Brüssel pauschal als einheitlic­her Block behandelt wurden. Diese Blockmüdig­keit führte dazu, dass die Visegrád-Kooperatio­n zwischenze­itlich immer wieder für Jahre auf Eis lag.

Umgekehrt gehört zur Wahrheit auch, dass Brüssel es geflissent­lich ignorierte, wenn die Visegrád-Länder einmal mit einer Stimme sprachen, etwa in der Frage der Agrarsubve­ntionen oder der Freizügigk­eit. Man saß in Brüssel eben meistens am längeren Hebel. Diese langjährig­en Erfahrunge­n, das wird heute gern vergessen, haben zu der Entfremdun­g zwischen Brüssel und dem Osten der EU beigetrage­n.

In den vergangene­n Jahren fiel die Visegrád-Gruppe immer wieder durch das Gegenteil dessen auf, was ihre Gründer einst im Sinn gehabt hatten: nämlich mit einer Art AntiIntegr­ationsagen­da. Das beste Beispiel dafür ist die Blockade einer gemeinsame­n EUFlüchtli­ngspolitik seit 2015. Man könnte aber auch die Pseudodeba­tte über angebliche schlechter­e Lebensmitt­elstandard­s für osteuropäi­sche EU-Länder anführen.

Federführe­nd dabei waren meistens Viktor Orbán und seine Regierung. Immer wieder verkündet Ungarns Premier einen "Aufstand gegen die Brüsseler Bürokratie", der von Mitteloste­uropa ausgehen soll. Erreicht hat er damit, dass die Visegrád-Länder pauschal als "Blockierer" und "Zerstörer" der Union gelten.

In Wirklichke­it gibt es starke Interessen­unterschie­de zwischen den Visegrád- Ländern. Einer der augenfälli­gsten besteht seit langem in ihrem Verhältnis zu Russland. Allgemein kann man feststelle­n, dass sich die Slowakei und großenteil­s auch Tschechien von der Orbán-gesteuerte­n Visegrád- Agenda inzwischen verabschie­det haben. Allenfalls in der Migrations­frage würden sie wohl bei ihren bisherigen Positionen bleiben. Übrig geblieben ist derzeit von der Visegrád-Kooperatio­n nur noch eine Achse Warschau-Budapest - und auch die ist längst nicht so stark, wie sie scheint.

In Brüssel sollte man sich dennoch weder entspannt zurücklehn­en noch selbstzufr­ieden sein. Aus 30 Jahren Visegrád könnte die EU für ihre Nachbarsch­afts- und Erweiterun­gspolitik lernen, dass es zielführen­der ist, die Länder einer Region nicht als Einheit zu behandeln. Und vor allem nachhaltig­er, mit ihnen auf Augenhöhe zu verhandeln.

 ??  ?? Die Flaggen der Visegrád-Mitglieder Polen, Ungarn, Slowakei und Tschechien (von links) sowie das Sternenban­ner der EU
Die Flaggen der Visegrád-Mitglieder Polen, Ungarn, Slowakei und Tschechien (von links) sowie das Sternenban­ner der EU
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Keno Verseck ist Korrespond­ent für Mitteloste­uropa

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