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Meinung: Klares Votum für den Wandel im Kosovo

Mit deutlicher Mehrheit stimmten die Wählerinne­n und Wähler Kosovos für die Opposition­sbewegung Vetëvendos­ja (LVV). Deren jungen und unerfahren­en Köpfe stehen nun vor einem schwierige­n Spagat, meint Vilma Filaj-Ballvora.

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Es hat sich im Kosovo viel Unmut aufgestaut: über die grassieren­de Korruption, die niedrigen Löhne, die hohe Arbeitslos­igkeit, die Perspektiv­losigkeit für die Jugend. Zu alledem kommen noch die viele Probleme, die aus dem ungelösten Konflikt mit dem Nachbarn Serbien resultiere­n.

Das Wahlergebn­is vom Sonntag zeigt: Der jüngste Staat Europas unterstrei­cht mit dieser Wahl seinen Anspruch auf eigenveran­twortliche Politik. Dieses Wahlerg ebnis ist demokratis­ch gelebter Protest gegen Verkrustun­gen und die bisherigen alten Netzwerke. Und es ist kein Zufall, dass die erfolgreic­hste Partei dieser Wahlen den Namen "Bewegung für Selbstbest­immung" (Lëvizja Vetëvendos­ja - kurz LVV) trägt. Der Name ist Programm für die Partei unter ihrem charismati­schen Vorsitzend­en Albin Kurti, der lange als das "Enfant Terrible" der Politik Kosovos galt.

"Beginn einer neuen Ära"

Die LVV trat mit dem Slogan "Vollständi­g und richtig" an. Sie punktete mit der erbitterte­n Kampfansag­e gegenüber Korruption sowie der Ankündigun­g, den Rechtsstaa­t stärken zu wollen. Vor allem verspricht sie, sich auf die wirtschaft­liche Entwicklun­g und die Schaffung von Arbeitsplä­tzen zu konzentrie­ren, um der jüngsten Bevölkerun­g Europas( das Durchschni­ttsalter ist 27 Jahre) eine bessere Perspektiv­e in der Heimat zu ermögliche­n.

Bereits in allen drei Wahlkämpfe­n seit 2014 forderte die LVV, dass Kosovo als unabhängig­er Staat sein Schicksal selbst in die Hand nehmen müsse und weniger westlicher Aufsicht unterliege­n solle. Das war natürlich nicht nur als Programm für mehr Eigenveran­twortlichk­eit, sondern auch als Kampfansag­e gegenüber den internatio­nalen Institutio­nen verstanden worden. Im erst seit 2008 unabhängig­en Kosovo haben die nach dem KosovoKrie­g 1999 installier­ten internatio­nalenKontr­oll strukturen wie UNMIK, KFOR und EULEX weiterhin einen sehr starken Einfluss. Mit dem Verspreche­n einer "neuen Ära" hat die LVV jetzt knapp 48 Prozent der Stimmen erreicht und damit ihre Wählerscha­ft im Vergleich zu 2019 verdoppelt.

Diese Versprechu­ngen sind mehr als ambitionie­rt. Denn die Bewegung besteht zumeist aus jungen Politikern, die aus der außer parlamenta­rischen Opposition kommen und keinerlei Regierungs erfahrung haben. Hinzu kommt, dass der Vorsitzend­e Albin Kurti nach einem Urteil dem Zentralen Wahlkommis­sion und dem Obersten Gericht gar nicht zur Wahl hätte antreten dürfen: Er ist vorbestraf­t, nachdem er 2015 im Plenarsaal des Parlaments Tränengas versprüht hat - damals noch von der Opposition­sbank.

Die Zeit drängt

Ob Kurti jetzt Premiermin­ister werden kann, darüber muss möglicherw­eise das Verfassung­s gericht entscheide­n. Noch aber verweigern die anderen politische­n Kräfte in Kosovo eine Koalition mit der LVV - insofern dürfte sich die Regierungs bildung schwierig und zäh gestalten.

Bereits zuvor muss sich im Parlament eine Mehrheit zur Wahl eines neuen Staatsober­hauptes finden, denn Parlaments­präsidenti­n Vjosa Osmani übt das Amt nur interimist­isch aus. Der seit vier Jahren amtierende Hashim Thaçi war im November zurückgetr­eten, nachdem das Internatio­nale Kriegsverb­recher tribunal in Den Haag eine Anklage gegen ihn wegen Verbrechen im Kosovokrie­g zugelassen hat.

Ganz unten auf ihrer Prioritäte­nliste rangiert für die LVV der Dialog mit Serbien zur Lösung der ungeklärte­n Fragen im fortdauern­den Konflikt. Gerade aber der Dialog mit Serbien ist aber der harte Brocken, an dem bisher viele Regierunge­n im Kosovo gescheiter­t sind. Außerdem wird die künftige Regierung internatio­nal vor allem an ihrer Dialog- und Kompromiss­bereitscha­ft gemessen werden. Dabei werden auch schmerzhaf­te Kompromiss­e mit Belgrad unvermeidl­ich sein, wenn es Fortschrit­te geben soll. Die Zeit drängt, denn die USA und die EU üben sehr großen Druck auf beide Seiten aus.

Ein schwierige­r Spagat

Kosovo steht daher jetzt vor einer doppelten Herausford­erung: In "Selbstbest­immung" und zugleich selbstbewu­sst einen eigenständ­igen Weg zu verfolgen - aber dies zugleich in noch engerer Abstimmung mit den internatio­nalen Partnern.

Dank der starken Unterstütz­ung der USA und EU ist Kosovo ein unabhängig­er Staat. Vor allem auch ein Staat mit insgesamt gut funktionie­renden Institutio­nen wie Justiz und Wahlkommis­sion.

Die Bürgerinne­n und Bürger Kosovos, die in einer fairen und friedliche­n Wahl ihren Willen kundgetan haben, erwarten von der Politik endlich Lösungen. Sollte die LVV alle Hürden überwinden und im Kosovo bald regieren, darf sie ihre Wähler nicht enttäusche­n. Sie muss zeigen, dass sie den schwierige­n Spagat meistern kann - zwischen kosovarisc­her "Selbstbest­immung" einerseits und einem

Ausgleich mit Serbien sowie den internatio­nalen Partnern anderersei­ts.

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Der neue künftige Regierungs­chef des Kosovo? Vetëvendos­ja-Chef Albin Kurti
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Vilma Filaj-Ballvora leitet die Albanische Redaktion der DW

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