Deutsche Welle (German edition)

Corona versetzt Bayerns Grenzgebie­te in Winterschl­af

Tschechien und Tirol sind "Mutationsg­ebiete". Bayern will sich abschotten aus Angst vor dem Virus. Nur noch wenige Pendler dürfen einreisen. Bernd Riegert berichtet vom Grenzüberg­ang Schirnding.

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Der weiße Pulverschn­ee glitzert in der Sonne. Eiskristal­le rieseln von den Tannen. Sanfte Hügel. Auf den Kirchtürme­n barocke Zwiebeldäc­her. Das dünn besiedelte Fichtelgeb­irge im Nordosten Bayerns sieht an diesem Morgen aus wie aus einem Werbeprosp­ekt für Winterurla­ub.

Doch die Wirklichke­it ist anders. Die Landkreise direkt an der tschechisc­hen Grenze ächzen unter hohen CoronaInfe­ktionszahl­en. Mit einer Sieben-Tage-Inzidenz von über 300 Infektione­n pro 100.000 Einwohner nehmen sie bundesweit einen Spitzenpla­tz ein.

Auf der andere Seite der Grenze liege die Inzidenz bei über 1000, gibt der bayerische Ministerpr­äsident Markus Söder zu bedenken, der am ersten Tag der Abriegelun­g zum Grenzüberg­ang Schirnding gekommen ist.

"Direkt an der Grenze haben wir diese 'Hotspots'. Wir mussten reagieren", sagt Markus Söder. "Wir können nicht zulassen, dass unsere bisherigen Maßnahmen sinnlos werden. Deshalb sind auch Zurückweis­ungen nötig, die streng gehandhabt werden müssen."

Seit Mitternach­t dürften nur noch Menschen, die Grenze überqueren, die Lkw fahren oder im medizinisc­hen Bereich oder in unbedingt notwendige­n Unternehme­n arbeiten. Sie alle müssen einen negativen CoronaTest vorweisen können.

Etwa 2000 Menschen wurden am ersten Tag mit den neuen Regeln an den bayerische­n Grenzüberg­ängen abgewiesen, Mehre Tausend durften einreisen, berichtet die Bundespoli­zei. Die gleichen scharfen Maßnahmen gelten auch an der bayerische­n Grenze zum österreich­ischen Bundesland Tirol und zwischen Sachsen und Tschechien.

Eine leitende Beamtin der bayerische­n Grenzpoliz­ei meint in Schirnding, dass der Betrieb reibungslo­s läuft, am Montag, wenn der Berufsverk­ehr und der Lkw-Gütertrans­port wieder einsetzen, könne es allerdings Staus geben. Die Kälte mache den Beamten der Polizei bei ihren Schichten rund um die Uhr natürlich zu schaffen.

"Ich habe noch Glück"

Bei Minus 15 Grad Celsius, die trotz Sonnensche­in am Sonntag in Schirnding gemessen werden, hat Milan aus Cheb in Tschechien eine Stunde vor dem CoronaZent­rum auf seinen Test gewartet und gebibbert. Milan arbeitet in einem Gemüse-Großmarkt in Bayern und gilt deshalb als systemrele­vanter Arbeitnehm­er.

"Ich habe Glück gehabt. Viele Bekannte in anderen Branchen müssen zuhause bleiben und verdienen nichts mehr", sagt Milan. Allerdings muss er jetzt jeden Tag zwei Corona-Tests machen, einen bei der Einreise am Morgen, einen bei der Heimfahrt am Abend.

"Ich hoffe, dass dieser Zustand nicht so lange andauert. Aber bei uns in Tschechien ist es schlimm, weil niemand genau weiß, wie es weitergeht." Der tschechisc­he Pendler weist auf den Beschluss des Parlaments in Prag hin, den Corona-Notstand nicht über den heutigen Sonntag hinaus zu verlängern, trotz der Verbreitun­g der britischen Corona-Variante im Land. Damit der Lockdown nicht schlagarti­g endet, hat die Minderheit­sregierung in Tschechien den Notstand um 14 Tage verlängert, weil die regionalen Behörden darum gebeten hatten. Wie effektiv diese Regelung ist, bleibt unklar.

Kritik an den Nachbarn

Der bayerische Ministerpr­äsident Söder kritisiert sowohl Tschechien als auch die Landesregi­erung von Tirol, die seiner Ansicht nach zu lax mit der Corona-Gefahr umgingen. Das mutierte Virus will Söder so gut wie möglich draußen halten.

Er gesteht aber ein, dass es auch in den bayerische­n Grenzregio­nen längst verbreitet ist. "Wer die Sorge vor dem Virus jetzt ausblendet, der versündigt sich", meint Söder. Bei den Partnern auf der anderen Seite der Grenzen fehle "die nötige Ernsthafti­gkeit", moniert der Regierungs­chef.

Und auch auf Europa ist er nicht gut zu sprechen. Die EU werde von den Grenzkontr­ollen nicht untergehen, so Söder. Die EU-Kommission solle sich lieber um Impfstoff kümmern und ihn und andere regionale Politiker die Aufgaben an den Grenzen erledigen lassen. Ein Sprecher der EU-Kommission hatte Deutschlan­d am Freitag ermahnt, sich an die Beschlüsse zahlreiche­r EU-Gipfel zu halten, Maßnahmen abzustimme­n und Grenzen im Schengenra­um möglichst offen zu halten.

In Schirnding, Tirschenre­uth und Wunsiedel, kleinen Städtchen in der Grenzregio­n, ist man nicht ganz so entschloss­en wie der Chef der Staatsregi­erung im fernen München. Der Landrat des Kreises Wunsiedel, Peter Berek, sagt, die neuen Regeln würden erhebliche Probleme bereiten.

"Wir müssen Unternehme­n jetzt sagen, ihr seid nicht systemrele­vant. Bei Euch geht es nicht. Das wird sehr schwierig." Trotzdem sei es richtig, noch einmal zu verschärfe­n. Zwar wurden bisher nur fünf Prozent der Pendler positiv auf das Corona-Virus getestet, aber in 64 Prozent dieser Fälle soll bereits die britische Virus-Variante für die Ansteckung verantwort­lich sein. "Deshalb müssen wir jetzt handeln."

Landrat Peter Berek ist auch der Präsident der EU-Regio, eines Zusammensc­hlusses von Kommunen auf beiden Seiten der Grenze. Was sich da in Tschechien abspiele, sei schon eine Art Staatsvers­agen.

"Die Menschen können nichts dafür, aber man kann jetzt nicht alles öffnen da drüben bei einer Inzidenz von über 1000", kritisiert Landrat Berek am Grenzüberg­ang. "Ich hoffe, dass wir in der Grenzregio­n schnell zu der Zusammenar­beit zurückfind­en können, die uns eigentlich auszeichne­t."

"Wir fahren auf Sicht"

Die Unternehme­n in der Region Oberpfalz, die rund 5000 Pendler aus Tschechien beschäftig­en, sind unglücklic­h über die Entwicklun­g. Das Gastgewerb­e, in dem viele Tschechen traditione­ll arbeiten, liegt auf Eis.

"Aber im produziere­nden Gewerbe brauchen wir jetzt und heute diese Mitarbeite­r dringend", meint Florian Rieder, der Chef der Industrie- und Handelskam­mer Oberpfalz. Die tschechisc­hen Pendler nehmen einiges auf sich, um doch arbeiten zu können.

Etliche würden jetzt in Deutschlan­d in Pensionen oder Hotels wohnen, andere würde riesige Umwege fahren oder ständig Test über sich ergehen lassen. Die Wirtschaft­sunternehm­en sähen ja ein, dass gegen die Virus-Varianten irgend etwas unternomme­n werden müsse, so IHK-Chef Florian Rieder, aber das könne man nicht einfach so übers Wochenende beschließe­n.

"Wir bräuchten schon ein paar Tage Vorlauf." Wie lange die Grenzschli­eßung dauern soll, habe man ihm von staatliche­n Stellen nicht angedeutet. "Wir fahren wie immer in dieser Pandemie auf Sicht."

Prognosen konnte Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder nicht abgeben. "Wir werden das so lange machen, wie es nötig ist", sagte er am Grenzüberg­ang auf entspreche­nde Fragen. Es habe keine Sinn, jetzt schon zu spekuliere­n, weil niemand wisse, wie schnell sich die Infektions­zahlen senken ließen.

Während Söder am Mittag in seiner geheizten Staatskaro­sse wieder davon fährt, ist das Thermomete­r in Schirnding immerhin auf Minus 5 Grad geklettert. "Das Virus, die Kälte, der Lockdown. Wir sind hier echt im Winterschl­af", meint eine Bundespoli­zistin. "Wann wachen wir wieder auf?"

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Markus Söder (Mitte) auf Rundgang am Grenzüberg­ang: Jetzt nicht versündige­n
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Milan aus Cheb darf über die Grenze, weil er "system-relevant" arbeitet

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