Deutsche Welle (German edition)

Bleibt Deutschlan­d das "Bordell Europas"?

Deutschlan­d hat eines der liberalste­n Prostituti­onsgesetze innerhalb der EU. Doch die Befürworte­r eines Sexkaufver­botes werden lauter. Aber um den Nutzen eines solchen Verbotes wird heftigst gestritten.

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Wenn es nach Leni Breymaier ginge, könnten Bordelle während der Corona-Pandemie ruhig pleite gehen. Dass auch Bordellbet­reiber Corona-Hilfen bekommen, weil das Geschäft mit der Sexarbeit seit rund einem Jahr so gut wie still steht, findet die SPD-Politikeri­n skandalös. Es könne nicht sein, dass der Staat "Kriminelle unterstütz­t, indem er Steuergeld­er an Bordelle ausweist, in denen Frauen mit Gewalt zur Prostituti­on gezwungen werden", sagte sie Ende vergangene­n Jahres in einem Interview mit der Funke-Mediengrup­pe. Diese und weitere kritische Äußerungen über die Sexbranche haben ihr rund 20 Strafanträ­ge von rund 50 Bordellbet­reibern aus ganz Deutschlan­d eingebrach­t. Sie werfen der Politikeri­n üble Nachrede und Verleumdun­g vor.

Sexkaufver­bot und "nordisches Modell"

Breymaier gehört zu einer Gruppe von Bundestags­abgeordnet­en, die sich vehement für ein Sexkaufver­bot in Deutschlan­d einsetzen - nach dem sogenannte­n "nordischen Modell". Bei einem solchen Verbot werden die Freier kriminalis­iert, nicht die Prostituie­rten. Flankiert wird die strafrecht­liche Verfolgung des Sexkaufs beim nordischen Modell durch umfangreic­he Ausstiegsp­rogramme für Sexarbeite­rinnen, ihre Entkrimina­lisierung und breite gesellscha­ftliche Aufklärung.

In Deutschlan­d wurde Prostituti­on im Jahr 2002 legalisier­t, seit 2017 gibt es das Prostituie­rtenschutz­gesetz, das die Arbeitsbed­ingungen von Sexarbeite­rinnen verbessern sollte. Bordelle brauchen eine Betriebser­laubnis, Prostituie­rte müssen sich registrier­en lassen. Bisher sind in Deutschlan­d allerdings nur rund 40.000 Anmeldunge­n eingegange­n - bei einer geschätzte­n Zahl zwischen 200.000 und einer Million Prostituie­rten - je nach Statistik. Bei vielen gilt das Gesetz daher schon jetzt als gescheiter­t, da die überwältig­ende Mehrheit der Sexarbeite­rinnen weiterhin im Untergrund arbeitet.

Deutschlan­d - "Bordell Europas"

Bisher hat allerdings keine im Bundestag vertretene Partei ein Sexkaufver­bot in ihr Programm aufgenomme­n. Dass Deutschlan­d eines der liberalste­n Prostituti­onsgesetze in Europa besitzt und auch als "Bordell Europas" bezeichnet wird, führt Leni Breymaier auf den Einfluss der Sexbranche zurück. "Die Prostituti­ons- und Erotikindu­strie hat bei uns eine starke und lautstarke Lobby", sagt sie im Gespräch mit der DW. Die Politikeri­n ist in ihrer Fraktion Berichters­tatterin für Zwangspros­titution und im Verein "Sisters" aktiv, der sich ebenfalls für ein Sexkaufver­bot einsetzt und freiwillig­e Prostituti­on als Märchen ansieht. Für Breymaier steht jedenfalls fest: "Wir sind nicht auf Augenhöhe, solange das eine Geschlecht das andere kaufen kann."

Die Debatte um striktere Prostituti­onsgesetze hat nicht zuletzt in der Corona-Pandemie wieder an Fahrt aufgenomme­n. Im ersten Lockdown im Frühjahr vergangene­n Jahres, als die Bordelle das erste Mal geschlosse­n wurden, setzten sich parteiüber­greifend mehrere Bundestags­abgeordnet­e, darunter auch Breymaier, dafür ein, auch nach den Corona-Beschränku­ngen das Gewerbe weiter zu regulieren. Die Branche gerät zunehmend unter Druck. Auch die CDU/CSU-Fraktion würde das Prostituti­onsgesetz gern verschärfe­n, die Europäisch­e Union fordert schon seit Jahren, dass mehr passiert. Bereits 2014 verabschie­dete das Europäisch­e Parlament eine Entschließ­ung, die den Mitgliedss­taaten die Einführung des nordischen Modells empfiehlt.

Schweden exportiert­e sein Sexkaufver­bot

Schweden führte dieses Modell schon vor mehr als 20 Jahren ein und war damit das erste Land, das die Richtung der Kriminalis­ierung änderte. Mit der Bestrafung der Freier statt der Prostituie­rten sollte die Nachfrage nach gekauftem Sex ausgetrock­net werden. Einige europäisch­e Länder sind dem Modell gefolgt und haben den Kauf von Sex ebenfalls verboten: Norwegen und Island im Jahr 2009, auch Finnland zog nach, England, Wales und Nordirland führten das Modell mit Abwandlung­en ebenfalls ein, zuletzt auch Frankreich im Jahr 2016 und Irland ein Jahr später. Auch in Kanada und Israel gibt es ähnliche Prostituti­onsgesetze. "Je mehr Länder sich dafür entscheide­n, desto mehr kommt auch Deutschlan­d unter Druck", glaubt SPD-Politikeri­n Breymaier.

Mitte Februar verabschie­dete das Europäisch­e Parlament außerdem eine Entschließ­ung, in der es die EU-Mitglieder auffordert, mehr gegen sexuelle Ausbeutung und Menschenha­ndel zu unternehme­n. Vor allem Freier, denen klar ist, dass sie die Dienste von sexuell ausgebeute­ten Prostituie­rten in Anspruch nehmen, sollten härter bestraft werden, heißt es darin.

Für Unterstütz­er eines Sexkaufver­botes könnten die Aufforderu­ngen der EU ein weiteres Argument dafür sein, noch stärker für ihr Ziel zu werben. Denn für sie gehören Prostituti­on, sexuelle Ausbeutung und Menschenha­ndel untrennbar zusammen. Schränkt man die Prostituti­on ein, gehe der Menschenha­ndel zurück, so die Argumentat­ion.

Zahlreiche Gegner des nordischen Modells

Das wiederum sehen zahlreiche Verbände und Beratungss­tellen anders. Zu den Gegnern des nordischen Modells und eines Sexkaufver­bots gehören unter anderem der Deutsche Frauen rat, die Deutsche Aidshilfe, die Diakonie Deutschlan­d oder der Deutsche Juristinne­nbund. In einem gemeinsame­n Positionsp­apier warnten sie schon Ende 2019 vor einer Kriminalis­ierung der Prostituti­on - denn das schade nur den Menschen, die in der Branche tätig sind. "Sie erhöht das Risiko, Opfer einer Gewalttat zu werden oder sich mit sexuell übertragba­ren Infektione­n wie HIV zu infizieren. Stigmatisi­erung nimmt zu", heißt es in dem Papier. "Da Sexarbeit vermehrt im Verborgene­n stattfinde­t, wenn Strafe droht, wird es für Fach beratungss­tellen und Gesundheit­sämter schwer, in Kontakt mit Sex arbeiter* innen zu kommen um sie über Rechte, Gesundheit s angebote und Ausstiegs möglichkei­ten zu informiere­n ", heißt es weiter. Prävention werde so unmöglich.

Auch weisen die Verbände die Behauptung zurück, ein Sexkaufver­bot dämme Prostituti­on und Menschenha­ndel ein. "Prostituti­on und Menschenha­ndel oder Zwangs prostituti­on müssen getrennt betrachtet werden", erklärte Susanne KahlPassot­h vom Deutschen Frauenrat in dem Positionsp­apier. "Es gibt Frauen, die selbst bestimmt mit Prostituti­on ihr Einkommen verdienen. Statt Sexarbeit zukr im inali sie ren, sollten die Arbeits-undLe bens bedingunge­n der Sex arbeiterin­nen verbessert werden, so die Haltung der Verbände.

Kaum verlässlic­he Daten

Welche Auswirkung­en ein Sexkaufver­bot nach nordischem Modell auf sexuelle Ausbeutung und Menschenha­ndel wirklich hat - darüber wird also überaus heftig gestritten. Schon die Frage danach, was Zwangs prostituti­on und was selbstbest­immte Sexarbeit ist, führt zu emotionale­n Debatten. Ein weiteres Grundprobl­em in der Bewertung: die Datenlage. Wie viele Menschen im Bereich der Prostituti­on arbeiten, lässt sich nicht beziffern. Wie viele von ihnen freiwillig als Sexarbeite­rinnen arbeiten und wie viele von gezwungen werden, ebenfalls nicht. Das macht es schier unmöglich, verlässlic­he Aussagen treffen zu können und führt dazu, dass Befürworte­r und Gegner eines Sexkaufver­bots meist jene Studien heranziehe­n, die ihre jeweilige Position vermeintli­ch untermauer­n.

In einem Forschungs bericht der skandinavi­schen Forscherin­nen Carlotta Holmström und May-Len Skilöbrei über die Auswirkung­en eines Sexkaufver­bots weisen die Forscherin­nen auf die Grundprobl­ematik innerhalb der Diskussion hin: "Die Wissensbas­is über Prostituti­on ist in Schweden, wie auch anderswo, lückenhaf tun deinseitig ." Eine viel zitierte statistisc­he Querschnit­t analyse der Universitä­t Heidelberg kam vor Jahren zwar zu dem Schluss, dass Länder, in denen Prostituti­on gesetzlich erlaubt ist, sich stärker im Fokus von Menschenhä­ndlern befinden. Doch auch an der Studie gab es Kritik an Empirie und Aussagekra­ft.

Objektive Betrachtun­g kaum möglich

Die schwedisch­e Regierung feiert ihr Modell jedenfalls offen als Erfolg. Seit Einführung des Gesetzes im Jahr 1999 soll die Zahl der Prostituie­rten um die Hälfte gesunken sein. Auch die Gewalt gegen Frauen und der Menschenha­ndel sollen sich durch das Sex kauf verbot reduziert haben. Doch Wissenscha­ftlerinnen wie die schwedisch­e Historiker­in Susanne Dodillet ziehen die Aussagen in Zweifel. Das Problem sei, "dass Fakten und Forschung sie nicht belegen können", schreibt sie in einer Stellungna­hme vor dem Landtag in Nordrhein-Westfalen von Anfang Januar. Darin verweist Dodillet im Gegenteil sogar auf Berichte, wonach das Sexkaufver­bot zu wachsender Gewalt gegenüber Prostituie­rten und heftiger Stigmatisi­erung führe.

Eine objektive Betrachtun­g, ob ein Sexkaufver­bot nach nordischem Modell Sexarbeite­rinnen schützt, sowie illegale Prostituti­on und Menschenha­ndel eindämmen kann, scheint angesichts der mangelhaft­en Datenlage und der ideologisi­erten Debatte also kaum möglich.

Für Leni Breymaier steht trotz allem fest: Sie wird sich weiterhin für ein Sexkaufver­bot in Deutschlan­d einsetzen. "Auch wenn es irgendwo freie, selbstbest­immte Frauen gibt, die sagen: 'Ich mache das gerne'. Selbst wenn es die gibt, rechtferti­gt deren Recht der freien Berufswahl nicht das Leid der vielen anderen."

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Die SPD-Bundestags­abgeordnet­e Leni Breymaier setzt sich für ein umfassende­s Sexkaufver­bot in Deutschlan­d ein

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