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Corona: Stufenplan – Hoffnungss­chimmer für Deutschlan­d?

Nach dem verlängert­en Lockdown werden Rufe nach Stufenplän­en lauter, die sich an den regionalen Inzidenzen orientiere­n. Schleswig-Holstein hat schon einen.

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Der Plan, der Deutschlan­d in der Corona-Pandemie endlich wieder eine Perspektiv­e geben soll, ist neun Seiten lang und hat vier Spalten, 23 Zeilen und 92 Kästchen in den Farben grau, gelb und weiß. Er teilt die Gesellscha­ft in verschiede­ne Lebensbere­iche ein wie Schulen, Gastronomi­e und Kultur und die Infektions­lage in Inzidenzen über 100, unter 100, unter 50 und unter 35.

Liegt der Inzidenzwe­rt über 100 oder auch zwischen 100 und 50, muss die Gastronomi­e zum Beispiel geschlosse­n bleiben, möglich ist dann nur ein Außer-Haus-Verkauf. Sinkt die Inzidenz eine Woche lang unter 50, dürfen die Restaurant­s mit einem Hygienekon­zept und halber Gästezahl öffnen, bleibt der Inzidenzwe­rt drei Wochen unter dem neuen bundesweit­en Richtwert 35, wird auch die Sperrstund­e aufgehoben.

Für die Kritiker ist er ein realitätsf­erner Vorschlag, der wegen der Corona-Mutationen schneller wieder in der Schublade verschwind­en wird als er herausgeho­lt wurde, für die Befürworte­r ein verbindlic­her Fahrplan, ein Strategiew­echsel und vor allem eine dringend benötigte Motivation­sspritze für die erschöpfte Bevölkerun­g. Und ein Modell, das schon seit vielen Jahren in der Seuchenbek­ämpfung gang und gäbe ist.

Dirk Schrödter ist der Mastermind des Stufenplan­s von Schleswig- Holstein, der vom Landtag bereits abgesegnet wurde. Der Chef der Staatskanz­lei hat wochenlang über der Tabelle gebrütet, ist mit Infektions­kurven, Lockerungs­und Schließung­smaßnahmen der vergangene­n Monate eingeschla­fen und mit Anrufen von Virologen, Kinderärzt­en und Ökonomen wieder aufgewacht.

"Als wir unseren Stufenplan hier im Land vorgestell­t haben, waren die Rückmeldun­gen unheimlich positiv. Die Menschen haben gesagt, toll, dass ein Plan vorliegt, Klarheit, damit wissen wir endlich, woran wir sind", sagt der CDU-Politiker. "Rein psychologi­sch ist das ein Riesenvort­eil, das Hangeln über einen Zeitraum von 14 Tagen ist, glaube ich, nicht hilfreich."

Als Schrödter im Volkswirts­chaftsstud­ium in Potsdam Statistik-Seminare belegte, hätte er sich nicht träumen lassen, dass diese ihm 20 Jahre später enorm hilfreich sein würden. Der 42Jährige ist jemand, der sich stundenlan­g damit beschäftig­en kann, wenn eine Infektions­kurve einen ungewöhnli­chen Verlauf nimmt, und der erst Ruhe gibt, wenn er das Rätsel entschlüss­elt hat.

Dirk Schrödter sagt von sich selbst, er habe schon immer eine gewisse Affinität zu Zahlenreih­en gehabt. Und vielleicht war er genau deswegen der Richtige, um ein Corona-Stufenmode­ll für die knapp drei Millionen Einwohner des nördlichst­en Bundesland­es zu entwickeln.

"Ich glaube, wir haben mit diesem Stufenplan eine gute Blaupause für die gesamte Bundesrepu­blik entworfen, wie man anhand von Kriterien auch regional unterschie­dlich vorgehen kann. Das ist ja der Charme", sagt der Chef der Staatskanz­lei von SchleswigH­olstein.

Weil der Inzidenzwe­rt in Schleswig-Holstein aktuell bei 61,5 liegt, öffnet das Bundesland am 22. Februar Grundschul­en und Kitas, am 1. März Zoos, Wildparks, Gartenbauc­enter und Blumenläde­n – genauso, wie es der Stufenplan vorsieht. Doch was in Schleswig-Holstein für Aufatmen sorgt, ruft im benachbart­en Bundesland Hamburg die Kritiker auf den Plan.

Die zweite Bürgermeis­terin der Hansestadt, Katharina Fegebank von den Grünen, kritisiert­e die Lockerunge­n scharf und warnte vor einem unterschie­dlichen Vorgehen der Länder, um nicht "wieder in so eine Art Lockerungs­kakophonie" zu kommen. Schrödter entgegnete, Hamburg habe die Entscheidu­ng aus SchleswigH­olstein gekannt.

Ein Stufenmode­ll für ganz Deutschlan­d dürfte nur dann erfolgreic­h sein, wenn alle Bundesländ­er es einführen und es möglichst einheitlic­h ist. Doch schon jetzt zeichnet sich ab, dass ein weiterer Flickentep­pich entsteht.

Bisher haben neben Vorreiter Schleswig-Holstein nur Niedersach­sen und Thüringen einen Stufenplan ausgearbei­tet. Ausgerechn­et die bevölkerun­gsreichste­n Bundesländ­er N o r d r h e i n- We s t f a l e n u n d Bayern haben ein solches Modell dagegen jetzt schon kategorisc­h ausgeschlo­ssen, sie wollen weiter "auf Sicht fahren".

Schrödter hofft trotzdem weiter auf ein bundeseinh­eitliches Modell und baut darauf, dass bis zum nächsten

Treffen der Kanzlerin mit den Ministerpr­äsidenten am 3. März weitere Bundesländ­er nachziehen. Gleichzeit­ig weiß er, dass Schleswig-Holsteins Stufenplan immer wieder nachjustie­rt werden muss, wegen möglicher Mutationen, dem Stand bei den Impfungen oder der Auslastung der Intensivbe­tten in den Krankenhäu­sern.

"Wir sind in einer Pandemie und lernen jeden Tag neu. Wenn sich neue Erkenntnis­se ergeben, muss man das Modell natürlich auch anpassen", sagt Dirk Schrödter. "Aber schon jetzt ist dieser Stufenplan ein Riesenerfo­lg. Weil wir zum ersten Mal über die nächste Konferenz hinausscha­uen und eine Perspektiv­e geben."

Regierungs­sprecher Steffen Seibert sagte übrigens in Berlin, er halte die Öffnung des Einzelhand­els in den Bundesländ­ern auch vor dem 7. März für möglich, wenn die Infektions­zahlen dauerhaft unter einer Inzidenz von 35 liegen. Dieser Wert müsse drei bis fünf Tage unterschri­tten sein. Es scheint also, als sei auch die Bundesregi­erung den Stufenplan-Modellen nicht völlig abgeneigt.

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Schleswig-Holsteins Ministerpr­äsident Daniel Günther in der Videokonfe­renz mit Kanzlerin Angela Merkel
 ??  ?? "Bei einem Stufenplan müssen Sie priorisier­en. Für uns hieß das auch, Kita, Schule und Betreuung zuerst" - Dirk Schrödter
"Bei einem Stufenplan müssen Sie priorisier­en. Für uns hieß das auch, Kita, Schule und Betreuung zuerst" - Dirk Schrödter

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