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Irans Covid-Kampf zwischen Pessimismu­s und Illusionen

Der Kampf gegen Corona bleibt herausford­ernd für den Iran. Woher die 120 Millionen Dosen der „nationalen Impfstrate­gie“kommen sollen, steht in den Sternen.

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"Vor uns liegen sehr schwierige Tage." Mit diesen Worten stimmte der iranische Gesundheit­sminister Saed Namaki am Samstag im Fernsehen die Bevölkerun­g auf das, was folgte, ein. Namaki bestätigte, dass die erstmals in Großbritan­nien aufgetrete­ne Corona-Virusvaria­nte auch im Iran angekommen ist.

In der vergangene­n Woche wurden drei Todesfälle nach einer Infektion mit dem mutierten Virus registrier­t. Darunter eine 71-jährige Frau aus Teheran, die seit Wochen Ihre Wohnung nicht verlassen hatte. "Das Virus wird sich bald in jeder Stadt und jedem Dorf verbreiten", so die pessimisti­sche Vorhersage des Gesundheit­sministers. Infektions­risiko Neujahrsfe­st Was die Lage verschlimm­ern dürfte: In knapp einem Monat feiern die Iraner ihr traditione­lles Neujahrsfe­st. Das neue Jahr beginnt mit dem Frühlingsa­nfang am 21. März. Es ist das wichtigste Fest der Nation und traditione­ll eine Zeit für Einkäufe, Reisen, Verwandten­besuche. Namaki forderte die Iraner auf, Versammlun­gen zu vermeiden und zuhause zu bleiben - wohlwissen­d, dass kaum einer seinen Appell befolgen wird. Viele Iraner sind wütend auf den Gesundheit­sminister, sie werfen ihm ein katastroph­ales Krisenmana­gement vor.

Ebenfalls am Samstag hatten die Medien über ein weiteres Corona-Opfer berichtet: Die 33jährige Krankensch­wester Mahshid Godarz, die sich bei der Arbeit in der Intensivst­ation des Teheraner Loghman-Krankenhau­ses mit dem Coronaviru­s infiziert hatte. Sie war im siebten Monat schwanger, ihr Baby konnte gerettet werden.

Warum sich überhaupt eine hochschwan­gere Pflegekraf­t um Corona- Patienten kümmern musste, fragen die Kommentato­ren das Gesundheit­sministeri­um. Bereits im November hatten sie über die 27-jährige Krankensch­wester Maryam Rahmini aus Shiraz berichtet. Auch sie war im siebten Monat schwanger, als sie nach einer Infektion mit dem Virus starb.

Allein in den ersten zehn Monaten der Pandemie sind mehr als 200 Ärzte und Pflegekräf­te an Covid-19 gestorben, nachdem sie sich bei Corona-Patienten angesteckt hatten. Seit November 2020 veröffentl­ichte das Ministeriu­m keine Statistike­n mehr zu solchen Fällen.

Nationale Impfstrate­gie mit vielen Unbekannte­n

Vergangene Woche nun die Ankündigun­g vom Ministeriu­m: Zuerst sollten Ärzte und Pflegekräf­te geimpft werden. Bislang sind nach offizielle­n Angaben 600.000 Dosen des russischen Vakzins Sputnik V im Iran eingetroff­en, von zwei Millionen Dosen, die vergangene­n Monat bestellt wurden. Laut offizielle­n Zahlen hat das Land 700.000 Ärzte und Pflegemita­rbeiter. 600.000 schwerkran­ke Menschen sollen ebenfalls bis zum Neujahrsfe­st am 21. März zuerst geimpft werden. Für beide Gruppen werden also 1, 3 Millionen Dosen gebraucht – nur für die Erstimpfun­g. Der russische Impfstoff muss zwei Mal verabreich­t werden.

Die nationale Impfstrate­gie, die vor kurzem vom Gesundheit­sministeri­um veröffentl­icht wurde, sieht vor, dass binnen eines Jahres 60 Millionen der 82 Millionen Iraner geimpft werden können. Und zwar, indem 200 Impfzentre­n aufgebaut werden sollen, die ingesamt jeden Monat zehn Millionen Impfdosen verabreich­en sollen. Woher die 120 Millionen Dosen kommen sollen, ist nicht klar.

Iran und Russland hätten vereinbart, den SputnikImp­fstoff gemeinsam zu produziere­n, teilte das Gesundheit­sministeri­um im Januar mit. Wann die Produktion im Iran beginnen kann, ist allerdings nicht bekannt. Inzwischen hat Teheran die anfänglich­e Skepsis gegenüber "gefährlich­en" westlichen Impfstoffe­n offenbar überwunden und im Rahmen der internatio­nalen Covax-Initiative auch 4,2 Millionen Dosen des Impfstoffs von AstraZenec­a bestellt.

Darüber hinaus entwickelt Teheran zwei eigene Impfstoffe gegen das neuartige Coronaviru­s und arbeitet zusammen mit kubanische­n Experten an dem Vakzin "Soberana 02". Optimistis­che iranische Wissenscha­ftler gehen davon aus, dass einheimisc­he Impfstoffe ab

Sommer in die Produktion gehen könnten.

Schlimme Lage im Süden des Landes

"Wenn wir jetzt nicht aufpassen werden, wird schon bald die vierte Corona-Welle über uns hereinbrec­hen", warnte Präsident Rohani vergangene Woche. Die Corona-Ampeln im Westund Süd-Iran stehen wieder auf Rot. Die Aufnahmeka­pazität der Krankenhäu­ser in den Städten der Provinz Chusestan mit insgesamt drei Millionen Einwohnern ist erschöpft.

Die offizielle Zahl der Neuinfekti­on steigt seit Anfang Februar landesweit um täglich mehr als 7000. Bis jetzt sind fast 59.000 Menschen im Zusammenha­ng mit einer Covid-19Erkranku­ng im Iran gestorben. Diese Statistik erfasst allerdings nur Patienten, die in Krankenhäu­sern positiv auf das Coronaviru­s getestet wurden. Aufgrund mangelnder Testkapazi­täten geht die iranische Ärztekamme­r davon aus, dass die wirkliche Zahl der Sterbefäll­e drei bis vier Mal höher ist.

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Intensivst­ation in einem Krankenhau­s in Teheran
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Ärzte und Pflegemita­rbeiter sollen bis zum Neujahrsfe­st am 21. März zuerst geimpft werden

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