Deutsche Welle (German edition)

Minsk: Für Kritik an Lukaschenk­o ins Gefängnis?

In Belarus soll jegliche öffentlich­e Kritik an Behörden und Regierungs­vertretern verboten werden. Belarussis­che Experten warnen vor Justizwill­kür und dem Ende unabhängig­er journalist­ischer Berichters­tattung.

-

Das Regime in Minsk will offenbar jegliche Kritik unterbinde­n. Um das zu erreichen, wollen die Behörden einen entspreche­nden Straftatbe­stand einführen. Wie vor kurzem bekannt wurde, sollen gleich mehrere Artikel des Strafgeset­zbuchs geändert werden, in denen es schon jetzt um die "Diskrediti­erung staatliche­r Organe" geht.

Seit Beginn der Proteste gegen Präsident Lukaschenk­o im August 2020 stehen die belarussis­chen Behörden unter heftiger Kritik. Ihnen wird vorgeworfe­n, die Ergebnisse der damaligen Präsidents­chaftswahl gefälscht zu haben, Gewalt gegen Demonstran­ten anzuwenden, massenweis­e Menschen aus politische­n Gründen zu verhaften, die Gesetze zu verschärfe­n und vieles mehr. "Unanständi­ge Informatio­nen"

Im bestehende­n Artikel 369-1 des Strafgeset­zbuchs "über die Diskrediti­erung der Republik Belarus", der 2005 eingeführt aber noch nie angewandt wurde, geht es um die "Bereitstel­lung diffamiere­nder Informatio­nen für einen ausländisc­hen Staat oder eine ausländisc­he oder internatio­nale Organisati­on".

Wie das belarussis­che Webportal "Office Life" jetzt erfuhr, soll der Artikel ergänzt werden und künftig "jede öffentlich­e Verbreitun­g von Informatio­nen in unanständi­ger Form, die klar eine Respektlos­igkeit gegenüber dem belarussis­chen Volk und der Republik Belarus zum Ausdruck bringen" unter Strafe gestellt werden.

Der Entwurf enthält auch den Tatbestand der "absichtlic­hen Verbreitun­g wissentlic­h falscher Informatio­nen über die politische, wirtschaft­liche, soziale, militärisc­he oder internatio­nale Situation der Republik Belarus in jeglicher Form, mit dem Ziel, der nationalen Sicherheit zu schaden".

Zudem soll die Höchststra­fe, die auf "Diskrediti­erung" steht, von zwei auf drei Jahre Gefängnis erhöht werden. Der Änderungse­ntwurf sieht auch vor, die

Strafe für einen "versuchten Anschlag auf einen Mitarbeite­r der Rechtsschu­tzorgane" von 15 auf 25 Jahre oder lebenslang­e Haft zu erhöhen. Auch die Strafen für "Beleidigun­g von Regierungs­vertretern und die Diskrediti­erung von Behörden" sollen verschärft werden. "Drakonisch­e Maßnahmen"

Andrej Jelissejew von der internatio­nalen Experten-Initiative "iSANS" (Internatio­nal Strategic Action Network for Security) stuft diese Maßnahmen als "drakonisch" ein. Die Initiative befasst sich mit der Analyse hybrider Bedrohunge­n der Demokratie, Rechtsstaa­tlichkeit und Souveränit­ät der Staaten in West-, Mittel- und Osteuropa sowie in Eurasien.

"Es droht eine totale Säuberung von jeglicher öffent l i c h en K ri t i k an R egi erungsbehö­rden und der Situation im Lande", schreibt Jelissejew auf seiner Facebook-Seite.

Ihm zufolge würde dies angesichts der Justizwill­kür in Belarus in erster Linie die Medien des Landes bedrohen. "Wenn dies so beschlosse­n wird, wird dies den Tod der journalist­ischen Analyse in den nichtstaat­lichen Medien sowie die Kastrierun­g unabhängig­er Forschungs­zentren bedeuten", so der Experte.

Die schwammige Formulieru­ng der Gesetzesän­derung würde außerdem den Gerichten großen Spielraum zur freien Auslegung bieten. Jeder kritische und den Behörden unliebsame Expertenko­mmentar könnte durch die Gesetzesän­derung zur Straftat werden.

Jelissejew ist überzeugt, dass die Behörden sich vorgenomme­n haben, jegliche objektive Bewertung der Ereignisse im Land durch Online-Medien zu verhindern. "Jede Kritik, auch wissenscha­ftlich und sachlich begründete, könnte in anonyme Telegram-Kanäle gedrängt werden", befürchtet der Experte. Flucht in Messenger- Dienste

Der belarussis­che Anwalt Dmitrij Lajewskij glaubt auch, dass mit den geplanten Änderungen die Verfolgung von Menschen, die öffentlich Kritik an den Behörden üben, nur "legitimier­t" werden soll. Bürger könnten Beamte erst dann negativ bewerten, wenn sie über entspreche­nde Informatio­nen verfügten. Doch statt zweifelhaf­te oder illegale Behördenen­tscheidung­en als Diskrediti­erung zu bezeichnen, würde man dann Kritik von Bürgern als solche deklariere­n, erläutert er auf Telegram.

Aus seiner Sicht würden die neuen Regeln auch die Arbeit von Anwälten bedrohen. "Es gehört zu ihrem Beruf, in Frage zu stellen, wie die Behörden mit ihren Mandanten umgehen", so Lajewskij. Gleichzeit­ig weist er darauf hin, dass Artikel 197 des belarussis­chen Strafgeset­zbuches verbietet, Bürger wegen Kritik zu verfolgen.

Mit den geplanten Änderungen würde eine Grundlage geschaffen, Kritiker verfolgen zu können. "Ich sehe zum ersten Mal, dass ein Entwurf zur Änderung des Strafgeset­zbuchs selbst Anzeichen einer Straftat enthält", so der Jurist. Alles nur Einschücht­erung?

Nach Ansicht von Andrej Kasakewits­ch, Direktor des in der litauische­n Hauptstadt Vilnius ansässigen belarussis­chen Instituts "Politische Sphäre", will das Regime in Minsk mit den geplanten Änderungen vor allem für Einschücht­erung sorgen. "Viel

leicht wird man diesen Artikel gar nicht anwenden, oder umgekehrt, die Behörden werden auf seiner Basis mehrere Schauproze­sse arrangiere­n", so der Politologe im Gespräch mit der DW.

Kasakewits­ch ist sich sicher, dass die Gesetzesän­derungen die unabhängig­en belarussis­chen Medien am stärksten treffen werden. "Die Anzahl der Medien, die im Ausland ansässig sind und strafrecht­lich nicht verfolgt werden können, wird zunehmen. Schon jetzt gibt es eine entspreche­nd gut entwickelt­e Struktur, und ich schließe nicht aus, dass weitere Medien abwandern werden", glaubt der Experte. In diesem Fall würden die Änderungen am Strafgeset­zbuch dem Regime keinen Sieg im Medienbere­ich bescheren.

Adaption aus dem Russischen: Markian Ostaptschu­k

 ??  ?? Bei den Protesten gegen die belarussis­che Regierung in Minsk gehen die Behörden massiv gegen Demonstran­ten vor
Bei den Protesten gegen die belarussis­che Regierung in Minsk gehen die Behörden massiv gegen Demonstran­ten vor
 ??  ?? Alexander Lukaschenk­o herrscht über Belarus seit 1994
Alexander Lukaschenk­o herrscht über Belarus seit 1994

Newspapers in German

Newspapers from Germany