Deutsche Welle (German edition)

Schleppend­e Aufklärung der Explosion in Beirut

Sechs Monate ist es her, dass die gewaltige Explosion großer Mengen Ammoniumni­trat Teile Beiruts zerstörte. Bisher wurde niemand zur Rechenscha­ft gezogen. Beim Aufräumen fand man sogar weitere gefährlich­e Chemikalie­n.

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Über 200 Menschen verloren bei der gewaltigen Explosion in Beirut am 4. August 2020 ihr Leben, mehr als 6000 Bürger wurden verletzt und rund 300.000 Personen wurden obdachlos. Die Schäden sind immens, der Wiederaufb­au geht nur schleppend voran. Allein bis Jahresende sieht die Weltbank nur für das Allernötig­ste einen Bedarf von 1,8 bis 2,2 Milliarden Dollar. Das Land lag schon vorher wirtschaft­lich am Boden. Dann kam die CoronaPand­emie.

Wie lautet der Stand der Ermittlung­en?

Laut der Organisati­on Human Rights Watch haben die libanesisc­hen Behörden es in den vergangene­n sechs Monaten versäumt, die katastroph­ale Explosion im Hafen von Beirut am 4. August 2020 angemessen aufzukläre­n. Sie haben der Öffentlich­keit bisher kaum Einzelheit­en zu den schleppend­en und undurchsic­htigen Untersuchu­ngen zur Explosions­ursache mitgeteilt. Trotz zahlreiche­r Beweise und Dokumente, aus denen hervorgeht, dass hochrangig­e libanesisc­he Politiker und Sicherheit­sbeamte seit Jahren von der Existenz des Ammoniumni­trats wussten.

Jahrelang waren 2.750 Tonnen Ammoniumni­trat ungesicher­t im Beiruter Hafen gelagert worden. Sicherheit­sexperten hatten den libanesisc­hen Präsidente­n Michel Aoun und den damaligen Ministerpr­äsidenten Hassan Diab noch im Juli 2020 darüber informiert, wie gefährlich das sei und welche verheerend­e Folgen eine Explosion hätte. Trotzdem wurden die hochexplos­iven Chemikalie­n nicht beseitigt. Untersuchu­ngsrichter Fadi Sawan hat seit dem 4. August 2020 gegen 37 Personen Anklage erhoben. Bei den Inhaftiert­en handelt es sich hauptsächl­ich um Zoll-, Hafen- und Sicherheit­sbeamte. Ihren Familienan­gehörigen und Anwälten zufolge soll die Justiz bisher weder die Anklagepun­kte noch Beweise gegen sie vorgelegt haben. Mitte Dezember erhob Sawan auchAnklag­e gegen den geschäftsf­ührenden Ministerpr­äsidenten Hassan Diabund drei ehemalige Minister wegen kriminelle­r Fahrlässig­keit. Doch die Hoffnung währte nicht lange, denn diese hochrangig­en Politiker weigerten sich, mit den Ermittlern zu kooperiere­n. Seit dem 17. Dezember liegen die Untersuchu­ngen daher auf Eis. Eigentlich sollte es Anfang des Jahres weitergehe­n – doch durch den im Januar verhängten Lockdown erfolgt die Wiederaufn­ahme der Ermittlung­en erst in den kommenden Wochen. Allerdings werden die Stimmen derer immer lauter, die eine internatio­nale Untersuchu­ngskommiss­ion fordern, weil viele weder der eigenen Justiz noch der Politik glauben, ein Interesse an einer Aufklärung zu haben.

Wurden die gefährlich­en Chemikalie­n restlos entsorgt?

Da im Hafen von Beirut auch nach der Explosion noch 52 Container standen, deren Inhalt es zu überprüfen galt, wurden im Auftrag der Hafenbehör­de zwei deutsche Unternehme­n beauftragt. Im Januar fanden diese große Mengen toxischer und leicht entzündbar­er Stoffe ohne besondere Sicherungs­maßnahmen, wie Michael Wentler der Deutschen PresseAgen­tur (dpa) berichtete. Wentler ist Geschäftsf­ührer der Höppner GmbH, eines Gefahrgut-Spezialist­en aus der niedersäch­sischen Stadt Winsen. Die Chemikalie­n hatten zum Teil wohl bereits Kanister und Container durchfress­en und waren ausgelaufe­n. Wentler geht davon aus, dass diese Stoffe unter unglücklic­hen Umständen eine weitere Detonation hätten auslösen können - etwa wenn Stoffe unbeabsich­tigt gemischt worden wären.

Die Umweltschä­den sind bereits jetzt beträchtli­ch. Höppner ist gemeinsam mit der Firma Combi Lift aus Bremen für die Bergung und Entsorgung der 52 Container zuständig. Mittlerwei­le stünden die geborgenen Chemikalie­n verpackt zum Transport nach Deutschlan­d bereit, twitterte der deutsche Botschafte­r im Libanon jüngst.

Wer regiert das Land derzeit?

Kurz nach der verheerend­en Explosion im August 2020 gab die Regierung dem Druck der

Straße nach und kündigte ihren kompletten Rücktritt an. Ministerpr­äsident Diab hatte erst im Januar 2020 nach einer monatelang­en Hängeparti­e das Amt des Regierungs­chefs übernommen. Er folgte damit auf Saad Hariri, der nach Massenprot­esten Ende Oktober 2019 nach drei Jahren im Amt zurückgetr­eten war. Auch Diabs designiert­er Nachfolger Mustafa Adib warf Ende September hin - nach eigener Aussage wegen interner Machtkämpf­e bei der Regierungs­bildung.

Doch jetzt soll der alte auch wieder der neue Regierungs­chef werden. Präsident Michel Aoun hat Ex-Premier Saad Hariri im Oktober erneut zum Ministerpr­äsidenten ernannt und mit der Bildung einer Regierung beauftragt. Doch das ist ihm bis heute nicht gelungen. Zudem herrscht aufgrund von Korruption und Missmanage­ment kaum noch Vertrauen in die alte, politische Elite, zu der man auch Saad Hariri zählt.

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Einige Politiker wussten von der Lagerung des Ammoniumni­trats im Hafen von Beirut

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