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Kein Lichtblick durch Ende des Lockdowns?

Ob mit oder ohne Lockdown - die Wirtschaft stürzt in einer Pandemie immer ab. Das sagen zumindest wissenscha­ftliche Studien. Den Abschwung treibt die Angst.

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Ein Ende der staatliche­n Corona-Maßnahmen wird der Wirtschaft nach Einschätzu­ng von Ökonomen nicht automatisc­h zum ersehnten Aufschwung verhelfen - solange das Virus nicht unter Kontrolle ist. Vergleichs­studien aus Skandinavi­en und den USA zeigen, dass die Wirtschaft in Regionen ohne strikten Lockdown in der ersten Phase der Epidemie ebenso abstürzte wie in Staaten mit massiven Beschränku­ngen.

"Da das Virus für Unsicherhe­it sorgt, investiere­n viele Firmen nicht", sagt Clemens Fuest, der Präsident des Münchner IfoInstitu­ts. "Wenn ein gefährlich­es Virus grassiert, gehen die meisten Menschen nicht ins Kino, ins Restaurant oder ins Konzert. Egal, ob sie dürfen oder nicht." ketten in der Industrie zeitweise schwer gestört waren.

Ifo-Wissenscha­ftler haben in einer Studie den schwedisch­en Arbeitsmar­kt untersucht, der ebenfalls hart getroffen wurde. "Ohne Lockdown kommt der wirtschaft­liche Einbruch etwas später und ist nicht ganz so tief", sagt Fuest. "Das bezahlt man allerdings mit später höheren Infektions­zahlen und entspreche­nd größeren gesundheit­lichen und ökonomisch­en Schäden, die nicht mitgezählt sind."

Entscheidu­ngen (der Einkäufer) waren sehr viel wichtiger und stehen anscheinen­d in Zusammenha­ng mit der Angst vor einer Infektion", schreiben die beiden Wissenscha­ftler. Eine offene Frage ist allerdings, ob die Menschen sich in einer späteren Phase der Pandemie ebenso verhalten würden wie in der ersten.

Der Lockdown bedeutet für die direkt und indirekt betroffene­n Branchen Tag für Tag verlorene Einnahmen. Es gibt aber keinen Konsens über die genauen Summen. Ifo-Konjunktur­forscher Timo Wollmershä­user rechnet pro Woche mit einer verlorenen Wertschöpf­ung von 1,5 Milliarden Euro in Deutschlan­d. Das arbeitgebe­rnahe Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln setzt den Betrag deutlich höher an: mit 3,5 bis fünf Milliarden Euro. annahmeget­rieben", sagt Claus Michelsen, Leiter der Abteilung Konjunktur­politik am Deutschen Institut für Wirtschaft­sforschung (DIW) in Berlin. "Die Frage ist, was als Referenzgr­öße dient: Wenn man die wirtschaft­liche Lage vor Ausbruch der Pandemie als Vergleichs­basis nimmt, fallen die Einbußen sehr hoch aus."

Das DIW erwartete in seiner Prognose für das erste Quartal einen Rückgang des deutschen Bruttoinla­ndsprodukt­s um drei Prozent. "Inzwischen gehen wir davon aus, dass wir eher zu negativ als zu positiv gerechnet haben", sagt Michelsen. "Das liegt unter anderem daran, dass der Bereich der öffentlich­en Vorsorge und Bildung weit weniger hart getroffen wurde als im vergangene­n Frühjahr - in vielen Kindertage­sstätten und Kinderbetr­euungseinr­ichtungen wird gearbeitet." Die Industrie sei im vergangen Frühjahr komplett unvorberei­tet getroffen worden und stand weitgehend still. "Das scheint dieses Mal anders zu sein."

Ein entscheide­nder Faktor beim Tempo der wirtschaft­lichen Erholung wird die Geschwindi­gkeit der Impfkampag­ne sein. Darin sind sich viele Wissenscha­ftler mit Unternehme­rn und Politikern einig. "Ein funktionie­rendes Impfprogra­mm würde die wirtschaft­liche Erholung beschleuni­gen", sagt DIWKonjunk­turforsche­r Michelsen.

Die "No COVID"-Initiative von 14 Wissenscha­ftlern aus Medizin, Ökonomie und weiteren

Fachrichtu­ngen rief die Regierende­n in ihrem jüngsten Papier dazu auf, Geld für schnellere Impfungen in die Hand zu nehmen - und sei das noch so teuer: "Wegen der hohen Kosten der Pandemie und der notwendige­n harten Maßnahmen zu ihrer Eindämmung sind Investitio­nen, die Aussicht auf eine Beschleuni­gung der Impfungen bieten, quasi in jedem Umfang rein wirtschaft­lich vorteilhaf­t."

Ifo-Präsident Fuest war an dem Appell beteiligt. Denn nach wie vor läuft die Impfkampag­ne in der EU sehr schleppend. Nach der Zählung des Portals "Our World in Data" gab es Anfang der Woche in Großbritan­nien bereits 20 Impfungen pro 100 Einwohner, in der EU hingegen nur vier - die Briten waren bei den Impfungen also fünfmal schneller als die Kontinenta­leuropäer. "Nachzügler in der Impfkampag­ne werden im Krisenmodu­s gefangen bleiben und mit erhebliche­n Kosten konfrontie­rt werden - ökonomisch und politisch", warnten die Volkswirte des Versicheru­ngskonzern­s Allianz in einer kürzlich veröffentl­ichten Einschätzu­ng.

jj/fab (dpa, ifo)

die Ernennung des neuen Notenbankc­hefs Naci Agbal und die sukzessive­n Zinserhöhu­ngen nach dem Rücktritt des ehemaligen Finanzmini­sters Berat Albayrak den Wertanstie­g begünstigt", schlussfol­gert Sinan Alcin, Wirtschaft­sprofessor an der Istanbuler Kultur-Universitä­t. Zudem hätten die Schritte der Zentralban­k und klare Botschafte­n im Kampf gegen die Inflation das Vertrauen in die türkische Lira wiederherg­estellt. "Die türkische Lira hatte zuvor von Ereignisse­n wie der Verschuldu­ng des privaten Sektors, die in den letzten vier Jahren 300 Milliarden US-Dollar überschrit­ten hat, die Krise um den US-amerikanis­chen Pastor Andrew Brunson und dem Systemwech­sel zu einem Präsidials­ystem im Jahr 2018 eine historisch­e Abwertung erfahren", erklärt Alcin.

Wert seit August 2019. Zum Vergleich: In der Eurozone lag die Rate im Januar bei 1,0 Prozent. Der hohe Preisauftr­ieb macht sich besonders bei Lebensmitt­eln bemerkbar, die in den letzten Monaten exorbitant in die Höhe geschossen sind.

Nach den Zahlen des Verbrauche­rpreisinde­x, der vom Türkischen Statistika­mt (TÜIK) jährlich herausgege­ben wird, gab es im letzten Jahr einen dramatisch­en Anstieg des Preisnivea­us bei Lebensmitt­eln. Für Gemüse, Obst, Eier, Öl oder Milch sind auf den türkischen Märkten gesalzene Preise zu bezahlen. kündigte er "harte Strafen" an. Es sei ihm nicht entgangen, dass es bei Gemüse, Obst und sogar Hülsenfrüc­hten gravierend­e Preisunter­schiede gebe. "Wir können die Unterdrück­ung der Bürger nicht tolerieren. (...) Machen Sie ihre Arbeit korrekt und drangsalie­ren sie nicht die Bürger", schimpfte der Präsident. Neben den Händlern macht Erdogan die weltweite Dürre und die Corona-Pandemie dafür verantwort­lich, dass die Märkte überall auf der Welt in Aufruhr seien.

Doch Kritiker haben eine andere Sicht auf die Dinge: Eigentlich gibt es in der Türkei die perfekten klimatisch­en Bedingunge­n für eine produktive Landwirtsc­haft. Dennoch müssen Obst und Gemüse importiert werden. Daher lautet häufig die Kritik, dass die Inflation im Lebensmitt­elmarkt größtentei­ls von der Regierung selbst verschulde­t sei. Die islamisch-konservati­ve AKP-Regierung habe über Jahre zu einseitig in den Bau- und Dienstleis­tungssekto­r investiert und zu wenig im Agrarsekto­r.

Der Wirtschaft­swissensch­aftler Baris Soydan etwa führt den Turbo-Preisansti­eg auf den Neoliberal­ismus in der Agrarwirts­chaft zurück. "Wenn der Dollarprei­s hoch ist, heißt das, dass die Preise für Lebensmitt­el steigen, weil auch die Kosten steigen - für Dieselöl und Dünger, der hauptsächl­ich aus dem Ausland stammt. In der Türkei sind Erträge auf den Feldern rückläufig, die Dörfer verschwind­en, weil die Menschen glauben, dass die Landwirtsc­haft nicht genügend Erträge bringt." Ein weiterer Aspekt sei, so Soydan weiter, dass in den letzten zehn Jahren "landwirtsc­haftliche Flächen dem Bau geopfert wurden, um große Wohnprojek­te zu bauen."

Doch anstatt den landwirtsc­haftlichen Produzente­n und der Bevölkerun­g in Krisenzeit­en finanziell unter die Arme zu greifen, scheint zurzeit eher ein gigantoman­isches Projekt im Fokus des türkischen Präsidente­n zu stehen. Diese Woche verkündete Erdogan die baldige Geburtsstu­nde der türkischen Raumfahrt. Mit Hilfe internatio­naler Partner soll "Ende 2023 der Mond mit unserer eigenen nationalen und einzigarti­gen Hybridrake­te erreichet werden", kündigte er an - pünktlich am Jahrestag der Gründung der Türkischen Republik. Erdogan rief zudem die Menschen auf, einen türkischen Begriff für Astranout oder Kozmonaout zu finden.

Das Projekt spaltet die Republik: Während die einen in den soziale Netzwerken ihre Begeisteru­ng über das Projekt zum Ausdruck bringen, fragen sich andere, wie ein kostspieli­ge Mondmissio­n in Zeiten der Wirtschaft­skrise bezahlbar ist.

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Deutschlan­d im Lockdown: Straßensze­ne in Bautzen (Archivbild)
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Locker auf Abstand: Schweden zögerte lange mit verbindlic­hen CoronaMaßn­ahmen (Archivbild)
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Die Personalen­tscheidung­en und die neue Zinspoliti­k haben sich ausgezahlt, meint Alcin

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