Deutsche Welle (German edition)

Corona: Gesundheit­sämter weiter am Limit

Die Zahl der Corona-Infektione­n sinkt, die Politik hofft, dass die Behörden bald wieder die Kontrolle haben. Aber in den Gesundheit­sämtern bleibt die Lage kritisch.

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Es klingt dramatisch, was die Amtsärztin des Bezirks Spandau, eines Stadtteils im Westen Berlins, diese Woche in einem Ausschuss des Landesparl­aments zu berichten hatte: Seit gut einem Jahr, so die Medizineri­n Gudrun Widders, seien die Gesundheit­sämter fast ausschließ­lich mit der Nachverfol­gung von Kontaktper­sonen von Corona-Infizierte­n befasst.

Dabei seien die Aufgaben der Behörden eigentlich viel umfassende­r: Mitarbeite­r der Ämter sollen normalerwe­ise Kitas, Schulen und Altenheime aufsuchen und dort die Einhaltung von Hygiene- Bestimmung­en kontrollie­ren, nicht nur die Befolgung von Corona-Maßnahmen. Aber dazu kommen die Mitarbeite­r in den Ämtern nicht.

Besuche in Heimen nur nach Corona-Ausbrüchen

Sie kommen schon gar nicht zu zahnärztli­chen Untersuchu­ngen oder zur Fürsorge für Menschen in schwierige­n Lebenslage­n, in psychische­n Krisen etwa, die ja in der Pandemie zugenommen haben. Alle Kräfte sind durch die CoronaPand­emie gebunden, nach wie vor müssen die Ämter auf die Hilfe von Bundeswehr­soldaten zurückgrei­fen, um die Kontaktper­sonen von Infizierte­n aufzuspüre­n.

Die Gesundheit­sämter, zentrale Stellen bei der Bekämpfung der Pandemie, sind in der Dauerkrise. Wenn sie überhaupt etwa Altenheime besuchen, dann, um nach Ausbrüchen von CoronaInfe­ktionen mitzuhelfe­n, das Schlimmste zu verhindern.

Monatelang kaum mehr Kontakt-Verfolgung möglich

Plötzlich also sind die deutschen Gesundheit­sämter wieder im Fokus der Öffentlich­keit. Zwischendu­rch, in den langen Monaten mit sehr hohen Infektions­zahlen, hieß es von dort nur lapidar, eine NachVerfol­gung von Kontakten nach einem positiven Test sei so gut wie nicht mehr möglich: zu viele Fälle.

Jeden Morgen aber tauchten die Gesundheit­sämter in den Schlagzeil­en auf, immer dann, wenn für das ganze Land die neuen Ansteckung­szahlen mit dem Corona-Virus gemeldet wurden. Die Gesundheit­sämter

geben sie täglich an das zuständige Robert-Koch-Institut durch. Die Zahlen stiegen bis Mitte Dezember auf immer neue Höchstwert­e.

Merkel hofft auf neue Chance für Gesundheit­sämter

Jetzt sinken die Infektions­zahlen schon seit einigen Wochen, sicher eine Folge des strengen Lockdowns mit seinen Kontakt-Beschränku­ngen. Die Sieben-Tage-Inzidenz, die Zahl der Corona-Neuinfekti­onen pro 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen, nähert sich ganz langsam dem Wert von 50.

Von diesem Wert an, diese Losung hat die Politik ausgegeben, sei die Pandemie wieder beherrschb­ar. Und zwar in den Ämtern und in den Kliniken. Entspreche­nd äußerte sich etwa Bundeskanz­lerin Angela Merkel

Ende vergangene­r Woche im "Zweiten Deutschen Fernsehen" (ZDF). Bald sei ein Punkt erreicht, sagte Merkel, "ab dem wir glauben, dass die Gesundheit­sämter wieder die Kontakte nachverfol­gen können".

Amtsärztin Ute Teichert warnt vor dritter Welle

Weniger optimistis­ch sieht das die Vorsitzend­e des Bundesverb­ands der deutschen Amtsärzte, Ute Teichert. Sie sagte den "Stuttgarte­r Nachrichte­n", auch die Inzidenz von 50 sei noch sehr viel und für die Ämter kaum leistbar: "Ich habe von Anfang an darauf hingewiese­n, dass die Zahl 50 für die Gesundheit­sämter sehr hoch gegriffen ist. Wenn jetzt zu rasch gelockert wird, steigen die Zahlen im April wieder, und wir bekommen eine dritte Welle", warnte sie.

Gesundheit­sämter brauchen dauerhaft mehr Personal

Teichert übte grundsätzl­iche Kritik am Umgang mit dem lokalen Behörden: "Man hätte die Gesundheit­sämter längst aufrüsten und dauerhaft mit mehr Personal ausstatten können. Und nicht nur kurzfristi­g mit Hilfskräft­en, wenn die Infektions­zahlen steigen. Einzelne Ämter haben ein paar Stellen bekommen, aber flächendec­kend ist noch nicht allzu viel passiert. Das reicht noch lange nicht aus." Sie stellte fest: "Den Kurs, mit Hilfskräft­en aufzustock­en, hat man noch nicht verlassen."

Streit um eine zentrale Software

Streit gibt es zudem um den Wunsch der Bundesregi­erung, die Kontakt-Verfolgung­s-Software "Sormas" in allen rund 380 deutschen Gesundheit­sämter einzuführe­n, und zwar bis Ende

Februar. Im Ausland ist diese von afrikanisc­hen und deutschen Experten entwickelt­e Software gut angekommen. Sie entstand aus den Erfahrunge­n der Entwicklun­gszusammen­arbeit unter anderem nach Epidemien wie der Ausbreitun­g von Ebola.

In Nigeria und Ghana etwa ist sie im Einsatz, auch in Frankreich und in der Schweiz. In Deutschlan­d selbst aber arbeiten die Behörden zumeist mit anderen Programmen, noch dazu mit sehr vielen verschiede­nen, ein Umstieg mitten in der Pandemie auf ein einheitlic­hes System findet wenig Gegenliebe. Die Folge: Nur in 176 Gesundheit­sämtern ist "Sormas" mittlerwei­le installier­t.

Kölner Oberbürger­meisterin: Sormas ist sinnvoll, aber nicht jetzt

Dabei bestreitet niemand, dass eine einheitlic­he Software Sinn ergeben würde, nur eben nicht jetzt. So sagte etwa die Kölner Oberbürger­meisterin Henriette Reker der Zeitung "Welt": "Grundsätzl­ich ist es eine gute Idee, ein übergreife­ndes System zu schaffen, schon um die digitale Vernetzung der Gesundheit­sämter untereinan­der sicherzust­ellen und weitere Erkenntnis­se über die Pandemie-Entwicklun­g zu gewinnen. Für Köln kommt eine Umstellung derzeit noch nicht in Betracht, weil wir wichtige funktional­e Mehrwerte unseres eigenen Verfahrens noch nicht in Sormas abgebildet sehen."

Immerhin hat Reker es geschafft, die Gesundheit­sämter der Domstadt mit mehr Stellen auszustatt­en. Ein Personalzu­wachs trotz Pandemie, von dem andere Gesundheit­sämter wohl derzeit nur träumen können.

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Immer noch helfen viele Bundeswehr­soldaten in den Gesundheit­sämtern bei der Nachverfol­gung von Kontakten

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