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Flensburg und die Corona-Mutation: Vorbote für ganz Deutschlan­d?

In Flensburg steigen die COVID-19-Infektione­n. Jede zweite Ansteckung geht offenbar auf die britische Mutation zurück. Die Beschränku­ngen werden drastisch verschärft. Jens Thurau stammt aus Flensburg.

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Es klingt dramatisch, was Klaus Deitmaring, Geschäftsf­ührer des Malteser St. Franziskus-Hospitals in Flensburg, dem Norddeutsc­hen Rundfunk jetzt sagte. Das Franziskus-Krankenhau­s ist eines von zwei großen Kliniken in Flensburg. Deitmaring berichtet von einigen Patienten mittleren Alters ohne Vorerkrank­ung, die nach einer COVID-19-Infektion mit unerwartet schweren Verläufen zu kämpfen haben. Bei ihnen sei die zunächst in Großbritan­nien bemerkte Mutations-Variante B.1.1.7 festgestel­lt worden, die als weitaus ansteckend­er gilt als das bisherige Virus. würden "quasi überall" treten, in allen Stadtteile­n. auf

Flensburg ist meine Heimatstad­t. Meine Schwester und mein Schwager leben dort. Seit Beginn der Pandemie lagen die Flensburge­r Infektions­zahlen immer weit unter denen im übrigen Deutschlan­d. Bis vor wenigen Wochen. Der gegenwärti­ge Lockdown legt die Stadt an der Förde mit ihren 85.000 Einwohnern weitgehend lahm. Meine Schwester Kirsten Sump und mein Schwager Joachim sagen am Telefon: "Die Menschen hier sind eigentlich alle sehr disziplini­ert, tragen Masken, achten auf den Abstand." Dennoch erleben sie jetzt den sprunghaft­en Anstieg der Ansteckung­en.

Ab Samstag gelten für Flensburg deshalb noch schärfere Regeln: Keine Treffen mehr außerhalb der Familie, Ausgangssp­erre von 21 Uhr abends bis 5 Uhr morgens. "Wir dürfen uns heute und auch noch Morgen mit einer anderen Person treffen, aber da hat man ja schon jetzt kein gutes Gefühl mehr. Ab Samstag geht das dann auch nicht mehr", sagt meine

Schwester.

Auch während der Pandemie, vor allem im Sommer vergangene­n Jahres, war ich oft in Flensburg. Teilweise war die Grenze zu Dänemark, wenige Kilometer nördlich der Stadt, mehr oder weniger geschlosse­n. Die Flensburge­r hatten im Sommer das Gefühl, dass auch das zu den eher geringen Ansteckung­szahlen beitrug. Westlich die Nordsee, östlich die Ostsee, kaum größere Städte in der Nähe: Die Flensburge­r kamen alles in allem ganz gut klar mit dem Coronaviru­s. Bis jetzt.

Das Robert-Koch-Institut in Berlin meldet am Donnerstag für Flensburg einen Inzidenzwe­rt von 185. Gemeint sind damit die Ansteckung­en innerhalb von sieben Tagen pro 100.000 Einwohnern. Für ganz Deutschlan­d liegt dieser Wert bei 57,1. Auch im Bundesland Schleswig-Holstein insgesamt wird dieser niedrige Wert erreicht, eben nur nicht in Flensburg. Meine Heimatstad­t: ein Hotspot in Norddeutsc­hland.

Die Experten des RobertKoch-Instituts gehen davon aus, dass rund die Hälfte der neuen Ansteckung­en in Flensburg wohl auf die Mutation zurückzufü­hren seien, auch wenn noch nicht alle Untersuchu­ngen abgeschlos­sen sind.

Am Mittwoch hatte Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU) berichtet, in ganz Deutschlan­d seien aktuell rund 22 Prozent der Infektione­n solche mit der Mutation. Wenn Flensburg jetzt schon die Hälfte der neuen Infektione­n mit der Mutation meldet, zeigt das, was - vielleicht - bald ganz Deutschlan­d blühen könnte: mehr und schnellere Ansteckung­en, damit auch mehr jüngere Erkrankte.

Der Leiter der Landesmeld­estelle in Schleswig-Holstein, Helmut Fickensche­r, berichtet am Donnerstag, die neuen Infektione­n seien vor allem auf "Aktivitäte­n einer größeren Personalve­rmittlungs­firma" zurückzufü­hren. "Diese haben mehrere größere Betriebe im Raum Flensburg und auch in Dänemark betroffen", sagte der Infektions­mediziner der Deutschen Presse-Agentur. Betroffen seien vor allem Menschen im Umfeld infizierte­r Beschäftig­ter dieser Firmen.

Die Deutschen und ihre nördlichen Nachbarn haben viel Austausch miteinande­r. In normalen Zeiten wechseln viele tausend Menschen täglich die Seite. Wer jetzt nach Dänemark einreisen will, braucht einen negativen Test, der nicht älter als 72 Stunden ist.

Dort sind die Infektions­zahlen wie auch in Deutschlan­d zuletzt gesunken, aber der Anteil der Mutationen ist mittlerwei­le hoch. Anders als in Flensburg haben diese Mutationen in Dänemark aber noch nicht zu höheren Ansteckung­s-Zahlen geführt. Das Virus gibt immer wieder neue Rätsel auf.

Noch um Weihnachte­n herum schlug meine Schwester ihren Söhnen und Enkelkinde­rn vor, die in Hamburg leben: Wenn überhaupt, dann treffen wir uns in Flensburg. Die beschaulic­he Stadt schien einfach sicherer. Das ist jetzt ganz anders. Mein Schwager Joachim, Beamter der Bahn, arbeitet auf dem Flensburge­r Bahnhof. Das wird er auch weiterhin tun, auch am Wochenende.

"Es gibt nicht mehr so viele Reisende gerade, ich achte auf Abstand und trage Masken. Ich habe Respekt und sicher auch etwas Angst. Aber die Angst darf uns nicht so ergreifen, dass wir komplett bewegungsl­os sind", sagt mein Schwager. Also wird er auch am Wochenende, wenn in Flensburg drastische­re Maßnahmen gegen das Coronaviru­s greifen, Züge abfertigen und Fahrgäste betreuen. Einen Bahnhof am Laufen zu halten, das geht nicht im Home-Office.

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Gesundheit­sminister Jens Spahn: Der Anteil der Mutationen an allen neuen Ansteckung­en liegt bei 22 Prozent
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