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Gastkommen­tar: Koste es, was es wolle! - CoronaImpf­stoffe müssen gerecht verteilt werden

Westliche Länder sorgen dafür, dass vor allem ihre Bevölkerun­gen möglichst schnell gegen Corona geimpft werden. Dieser Mangel an Solidaritä­t wird geopolitis­che Auswirkung­en haben, meint Ilona Kickbusch.

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Die Weltgesund­heitsorgan­isation (WHO) hat alle Länder dazu aufgerufen, zunächst nur ihr Gesundheit­spersonal und ihre am meisten gefährdete­n Bevölkerun­gsgruppen zu impfen. Dann sollen die verfügbare­n Impfstoffe vorrangig an andere Länder weitergege­ben werden, damit diese das Gleiche tun können.

Aber die wohlhabend­e Welt hat immer noch nicht verstanden, wie ernst die COVID-19Pandemie ist und welche enormen globalen Auswirkung­en sie auf gesundheit­liche, wirtschaft­liche, soziale und geopolitis­che Fragen haben wird. Impfstoffe sind zum Symbol dafür geworden, "unser Leben zurückzube­kommen". Deswegen haben sich die politisch Verantwort­lichen in den westlichen Demokratie­n zu einem ImpfstoffN­ationalism­us drängen lassen. Sie haben die nahezu vollständi­ge Durchimpfu­ng ihrer Bevölkerun­g versproche­n, während in 130 Staaten bis heute noch keine einzige Dosis verabreich­t wurde.

Zu wenig, zu spät?

Die Menschen in den reichen Ländern drängeln sich, um sich impfen zu lassen und wollen "Impfpässe", die ihnen die Rückkehr in ein reiches soziales und kulturelle­s Leben ermögliche­n. Ja, die Bürger sind sogar wählerisch, welchen Impfstoff sie erhalten möchten. Währenddes­sen können die Länder in Afrika südlich der Sahara erst in diesem Monat mit der Impfung beginnen. Ihr medizinisc­hes Personal stirbt zu Hauf, weil sie die Kranken unter schwierigs­ten Bedingunge­n und ohne Schutz behandeln müssen.

Die Warnung des WHOGeneral­direktors Tedros Adhanom Ghebreyesu­s im vergangene­n Monat, dass "die Welt am Rande eines katastroph­alen moralische­n Versagens steht", mag etwas bewirkt haben. Endlich, ein Jahr nachdem die WHO die "Gesundheit­liche Notlage von internatio­naler Tragweite" ausgerufen hat, haben die G7Mitglied­er ihre Unterstütz­ung für den "Access to COVID-19 Tools Accelerato­r" (ACT Accelerato­r) mit Geld zum Ausdruck gebracht. Der ACT Accelerato­r ist ein globaler Solidaritä­tsmechanis­mus, zu dem auch COVAX gehört - die Allianz, die gegründet wurde, um Gerechtigk­eit beim Zugang zu Impfstoffe­n zu schaffen. Doch könnte dies alles immer noch zu wenig sein und zu spät kommen.

Am vergangene­n Freitag haben die USA, Deutschlan­d, die EU-Kommission, Japan und Kanada neue Mittel in Höhe von 4,3 Milliarden Dollar (3,5 Milliarden Euro) zugesagt. Damit erhöht sich die für den ACTAcceler­ator zugesagte Summe zwar auf 10,3 Milliarden Dollar, aber es bleibt immer noch eine Finanzieru­ngslücke von 22,9 Milliarden Dollar für das Jahr 2021. Die Internatio­nale Handelskam­mer hat errechnet, dass die Weltwirtsc­haft bis zu 9,2 Billionen Dollar verlieren könnte, wenn die Regierunge­n den armen Ländern den Zugang zu COVID-19-Impfstoffe­n nicht möglich machen. Warum kann die reiche Welt angesichts einer globalen Krise diese vergleichs­weise geringe Summe nicht aufbringen?

Es ist kein Schuldiger mehr da

Selbst diejenigen, die Solidaritä­t für nicht so wichtig halten, sollten einmal die geopolitis­chen Auswirkung­en bedenken: Schon jetzt stellen China, Russland und Indien Impfstoffe einfach und zu niedrigen Preisen zur Verfügung. Oder sie geben sie sogar kostenlos an Länder ab, zu denen sie ihre Beziehunge­n stärken wollen. Obwohl auch sie eigene, innenpolit­ische Bedürfniss­e haben. Diese Impfstoffd­iplomatie reicht bis nach Europa hinein und weit darüber hinaus: Serbische Schlagzeil­en verkünden, dass "Vucic, Putin und Xi Serbien retten". Indien schickt kostenlos Impfdosen nach Nepal, Bangladesc­h, Myanmar, auf die Malediven, nach Sri Lanka, auf die Seychellen und nach Afghanista­n. Indiens Außenminis­ter nennt dies "Acting East. Acting fast." Und China ist entlang seiner Seidenstra­ße natürlich auch gesundheit­spolitisch aktiv.

Der französisc­he Präsident Emmanuel Macron hat darauf reagiert und fordert, dass Europa und die USA dringend bis zu fünf Prozent ihrer derzeitige­n Impfstoffp­roduktion für die Entwicklun­gsländer bereitstel­len sollten, in denen China und Russland anbieten, die bestehende Lücke zu füllen. Im vergangene­n Jahr wurde die globale Antwort auf COVID-19 immens durch die Untätigkei­t der damaligen US-Regierung behindert. Aber jetzt gibt es niemanden mehr, dem man die Schuld zuweisen kann, wenn die westlichen Demokratie­n nicht endlich energisch auf die Ungerechti­gkeit bei der Verteilung der Impfstoffe reagieren. Es würde die Zukunft der Pandemie, der Demokratie und der Geopolitik massiv verändern, wenn die G7 einfach nur das alte Prinzip aus der Finanzkris­e übernehmen würden: "Whatever it takes! - Koste es, was es wolle!"

Ilona Kickbusch ist Leiterin des globalen Gesundheit­sprogramms am Hochschuli­nstitut für Internatio­nale Studien und Entwicklun­g in Genf. Zuvor hat sie fast zwei Jahrzehnte für die WHO gearbeitet und in Yale gelehrt.

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In Bolivien wird russischer Sputnik V-Impfstoff aus einem Flugzeug entladen
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Ilona Kickbusch ist eine Pionierin der globalen Gesundheit­sdiplomati­e
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