Deutsche Welle (German edition)

Corona und die Medien: Beschwerde­n auf Rekordnive­au

2020 sind beim Deutschen Presserat so viele Beschwerde­n wie nie zuvor eingegange­n. Ein Grund dafür: Corona. Ein Blatt stand dabei im Mittelpunk­t - und wurde oft gerügt.

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Fake News? Also absichtlic­h falsch produziert­e Nachrichte­n in Printausga­ben oder auf Online-Portalen deutscher Zeitungen? Nicht immer ist das gleich der Fall. Aber auch deutsche Redaktione­n machen natürlich Fehler - mal kleinere, mal größere. Als klassische­r Fall gilt die Veröffentl­ichung eines Fotos und die Nennung des Namens von Todesopfer­n nach einem Verbrechen oder Unfall - gegen den Willen der Angehörige­n. Dann muss die Zeitung X oder das Online-Portal Y mit einer öffentlich­en Rüge des Deutschen Presserats rechnen.

Die 1956 gegründete freiwillig­e Selbstkont­rolle der Printmedie­n und ihrer Online-Auftritte ist die erste Adresse für alle Leser- und Userinnen, die Zweifel an der Glaubwürdi­gkeit journalist­ischer Texte haben. Oder Verstöße gegen den Pressekode­x vermuten. Darunter fallen unter anderem missachtet­e Persönlich­keitsrecht­e oder die fehlende Trennung zwischen redaktione­llem Inhalt und Werbung. Gemessen an der Zahl eingegange­ner Beschwerde­n scheint es 2020 besonders schlecht gelaufen zu sein: 4.085 Beschwerde­n waren fast doppelt so viel wie im Vorjahr (2.175). Und schon diese Zahl war fast ein Rekord.

Doch der Eindruck einer miserablen Bilanz täuscht gewaltig. Denn lediglich in 530 Fällen sah sich der von Verlegerve­rbänden und Journalist­enorganisa­tionen ehrenamtli­ch geführte Presserat veranlasst, sich die Beschwerde­n genauer anzusehen. Bei allen anderen, immerhin 87 Prozent, reichte ein kurzer Blick, um sie als offensicht­lich unbegründe­t beiseitele­gen zu können. Etwa wenn sich jemand über einen Kommentar ärgerte oder darüber, dass ein Leserbrief nicht veröffentl­icht wurde. Auch Beschwerde­n über Radiound TV-Beiträge landen mitunter beim Presserat. Doch dafür sind andere Gremien zuständig. Bei öffentlich-rechtliche­n Sendern wie der Deutschen Welle ist das der Rundfunkra­t.

Maßstab ist die Presse- und Meinungsfr­eiheit

Besonders gespannt war man beim Presserat, wie viele Beschwerde­n es wegen der Berichters­tattung über Corona geben würde. Am Ende waren es 581, die sich auf knapp 400 Artikel bezogen. Auch hier wurden die meisten als "unbegründe­t" eingestuft. Zum Beispiel dann, wenn sich jemand an Begriffen wie "Corona-Leugner" oder "Verschwöru­ngstheoret­iker" störte. Presserat-Sprecher Sascha Borowski stellt klar, woran sich die freiwillig­e Selbstkont­rolle nämlich grundsätzl­ich orientiert: an der Presse- und Meinungsfr­eiheit.

Aber auch die hat ihre Grenzen. Und sind die aus Sicht des Presserats überschrit­ten, wird vor allem Europas größtes Boulevard-Blatt "Bild" oft öffentlich gerügt. Das passierte 2020 immerhin 22 Mal. Damit gehen über 40 Prozent aller 53 öffentlich­en Rügen auf das Konto dieser Gazette, die gedruckt und online ein Millionen-Publikum erreicht. Größter Aufreger war im Mai eine Story über Deutschlan­ds bekanntest­en Virologen Christian Drosten und seine Studie über die Ansteckung­sgefahr durch Kinder. "Bild" warf dem Corona-Berater von Bundeskanz­lerin Angela Merkel "fragwürdig­e Methoden" vor und bezeichnet­e die Studie als "grob falsch".

"Bild": Angriff auf Christian Drosten

Was das Blatt seinen Leserinnen und Usern verschwieg: Es handelte sich um eine wissenscha­ftliche Vorveröffe­ntlichung, deren Ergebnisse noch nicht von Fachleuten überprüft worden und damit nicht endgültig waren. Außerdem, so der Vorwurf, zitierte "Bild" unsauber und behauptete, "Kinder können so ansteckend sein wie Erwachsene". Im englischsp­rachigen Original war diese Stelle allerdings im Konjunktiv formuliert. Aus "könnten" wurde "können" und damit wurde aus einer Möglichkei­t eine vermeintli­che Tatsache konstruier­t. Der Presserat attestiert­e "Bild" deshalb mehrere schwere Verstöße gegen die journalist­ische Sorgfaltsp­flicht.

Über diese Rüge informiert­e "Bild" seine Community freiwillig in Form einer Veröffentl­ichung. Allerdings nur online; in der klassische­n Zeitung gab es nach Angaben des Presserats seit 2018 keine Informatio­nen mehr, wenn Texte gerügt wurden. Rechtlich durchsetzb­ar sind die Rügen ohnehin nicht. In elf der 22 Fälle aus dem vergangene­n Jahr hat "Bild" bislang von einer Veröffentl­ichung abgesehen. Wobei das Flaggschif­f des Springer-Verlags keineswegs eine Ausnahme ist. Auch andere Medien verhalten sich so.

"Der Presserat ist keine Justiz"

Die Selbstkont­rolle hat also ihre Grenzen. Man mahne, man spreche mit Redaktione­n und Verlagsjur­isten, sagt Sprecher Sascha Borowski. Aber: "Der Presserat ist keine Justiz." So gesehen scheint die Rüge also eine recht stumpfe Waffe zu sein. Damit kann der Journalist von der "Allgäuer Zeitung" aber gut leben. Schließlic­h informiert der Presserat mit eigenen Veröffentl­ichungen über die "Schwarzen Schafe" der Print- und Onlinemedi­en. Auf der Homepage sind alle Rügen seit 1986 ausführlic­h dokumentie­rt.

Mit der Corona- Berichters­tattung seit Beginn der Pandemie ist der Presserat insgesamt zufrieden. "Wir mussten uns reinarbeit­en wie jeder Politiker und Mediziner", sagt Borowski über seine eigene Zunft. Medienethi­sch habe die Branche im Großen und Ganzen einen "guten Job" gemacht.

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So berichtete "Bild" im Mai 2020 über Corona und griff den Virologen Christian Drosten an

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