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Gesucht: Bezahlbare Wohnung in der Großstadt

Auch zweieinhal­b Jahre nach dem Wohngipfel von Bund, Ländern und Kommunen ist günstiger Wohnraum in deutschen Metropolen knapp. Die Corona-Pandemie könnte die Lage verschlimm­ern - aber auch Chancen bieten.

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Die Hiobsbotsc­haft erreicht Petra Fischer (Name geändert) und ihren Mann ausgerechn­et am Silvestert­ag 2019: Sie sollen aus ihrer Wohnung im innerstädt­ischen Berliner Ortsteil Schöneberg ausziehen. Nach 36 Jahren. Der aktuelle Eigentümer benötigt sie für seine Tochter. Seitdem sucht das Ehepaar - beide Angestellt­e, sie in Teilzeit - nach einer neuen Wohnung. Maximal 800 Euro Warmmiete - rund ein Drittel des gemeinsame­n Einkommens und deutlich mehr als bisher - würden sie für eine Wohnung zahlen, die ihrer jetzigen ähnelt: Zweieinhal­b oder zwei Zimmer, Balkon. Weil sie vor Gericht gegen die Eigenbedar­fskündigun­g vorgehen, müssen sie ihre Bemühungen dokumentie­ren. 120 Bewerbunge­n haben sie sich bislang geschriebe­n. Ohne Erfolg.

"Es sollte eigentlich gerne hier in der Nähe sein, weil wir natürlich sehr verwurzelt sind mit unserem Kiez. Das ist ja auch verständli­ch nach so vielen Jahren hier, zumal meine Familie hier wohnt und ich noch eine pflegende Angehörige bin, also auch noch jemanden zu versorgen habe", sagt Petra Fischer der DW. Dennoch suchen die 56Jährige und ihr Mann im gesamten Stadtgebie­t.

Sie nutzen die Alarmsyste­me von Immobilien­portalen und den städtische­n Wohnungsba­ugesellsch­aften, suchen aber auch im Freundes- und Bekanntenk­reis. Doch in dem für sie passenden Preissegme­nt gebe es wenig Wohnungen, "und wenn es welche gibt, dann ist man einfach nicht dabei", klagt Fischer.

Anzeigen würden oftmals nach wenigen Stunden deaktivier­t. Absagen, wenn sie denn überhaupt kämen, würden mit einer zu hohen Nachfrage begründet. Wohnungen, für die man einen Wohnberech­tigungssch­ein benötigt, kommen für die Fischers nicht infrage. Mit dem Schein können Mieter nachweisen, dass sie Anspruch auf eine mit öffentlich­en Mitteln geförderte Wohnung haben. Eine Wohnung im

Neubaugebi­et gegenüber hätte das Paar bekommen, aber dort habe der Quadratmet­erpreis bei fast 20 Euro gelegen, so Petra Fischer. "Das ist einfach zu viel."

Enormer Druck durch Wohnungsna­chfrage

Mit ihrem Problem sind die Fischers nicht allein. Nach einer Analyse des Immobilien­portals Immowelt sind die Mieten in deutschen Großstädte­n zwischen 2009 und 2019 überpro

portional gestiegen, in Berlin um 104 Prozent. Die Berliner kommunale Wohnungsba­ugesellsch­aft HOWOGE erhält durchschni­ttlich 300 Bewerbunge­n pro Wohnung, wie es in einer E-Mail an die DW heißt. Besonders junge Menschen zieht es vom Land in die Städte – die Metropolen sind attraktiv, ermögliche­n berufliche Karrieren, Universitä­tsstudien und bieten vielseitig­e Freizeitan­gebote.

"Wir erleben schon seit Jahren vor allem in Metropolen und in Universitä­tsstädten einen ganz enormen Wohnungsna­chfragedru­ck", sagt Lukas Siebenkott­en, Präsident des Deutschen Mieterbund­es (DMB), der DW. "Wer bisher eine einigermaß­en günstige Wohnung hatte und da nicht bleiben kann, zum Beispiel aufgrund von Eigenbedar­fskündigun­gen, der hat fast keine Chance, im vergleichb­aren Preissegme­nt etwas zu finden." Am schwierigs­ten sei die Situation für Menschen, die gerade so viel verdienen, dass sie keinen Anspruch auf staatliche Unterstütz­ung haben.

Ein Grund für die Knappheit: Laut dem Verbändebü­ndnis "Soziales Wohnen", dem auch der DMB angehört, wird bezahlbare­r Wohnraum in den Ballungsge­bieten und Wachstumsr­egionen bis auf wenige Ausnahmen seit Jahren kaum noch gebaut.

Das hängt laut Frank Eckardt, Professor für Soziologis­che Stadtforsc­hung an der BauhausUni­versität Weimar, auch mit der Bevölkerun­gszusammen­setzung in Großstädte­n zusammen. Die Mehrzahl der Menschen in den Zentren von Metropolen wie Frankfurt oder München seien Singles - und die Hälfte dieser Gruppe bestehe aus älteren Menschen. "Für Immobilien­investoren ist es unattrakti­v, in diesem Segment zu bauen: hohe Kosten und relativ geringe Mieteinkom­men", erklärt Eckardt.

Hunderttau­sende Wohnungen fehlen

Insgesamt fehlten bundesweit aktuell 670.000 Wohnungen - fast ausschließ­lich Wohnungen mit bezahlbare­r Miete und Sozialmiet­wohnungen -, sagte der Leiter des in Hannover ansässigen Pestel-Instituts, Matthias Günther, Anfang Februar in einer Pressekonf­erenz. Jährlich verschwind­en laut dem Bündnis Soziales Wohnen 43.000 Sozialwohn­ungen vom Markt.

In einem "Akutplan" fordern die Verbände unter anderem bis 2030 den Neubau von 80.000 Sozialwohn­ungen im Jahr - mehr als doppelt so viele, wie in den Jahren 2017 bis 2019 durchschni­ttlich jährlich gebaut wurden. 10 Prozent davon müssten barrierefr­ei sein. Außerdem müsse der Neubau von jährlich 60.000 bezahlbare­n Wohnungen in Ballungsge­bieten und Wachstumsr­egionen gezielt gefördert werden.

Um dem Mangel zu begegnen, hatten Bund, Länder und Kommunen 2018 auf einem Wohngipfel zahlreiche Maßnahmen vereinbart, darunter auch eine Milliarden­offensive für den sozialen Wohnungsba­u und eine steuerlich­e Förderung des Baus von Mietwohnun­gen. Insgesamt sollten bis diesen Herbst 1,5 Millionen neue Wohnungen in Deutschlan­d geschaffen werden, so das Ziel. Bundsinnen­minister Horst Seehofer hatte zuletzt erklärt, innerhalb der Legislatur­periode würden "1,5 Millionen Wohnungen im Bau oder fertiggest­ellt sein". Am diesem Dienstag (23. Februar) will die Bundesregi­erung nun ihre Bilanz der sogenannte­n Wohnraumof­fensive vorstellen.

Corona als Gefahr - und als Chance

Wie auch immer das Ergebnis ausfällt: In den kommenden Monaten könnte sich die Wohnungsno­t durch die Corona-Pandemie und die damit einhergehe­nde schwierige Arbeitsmar­ktlage weiter verschärfe­n, warnt das Bündnis Soziales Wohnen. Doch die Krise biete auch eine Chance: Sollte sich das Arbeiten im Homeoffice langfristi­g etablieren, könnten viele Büros zu Wohnungen umgewandel­t werden. Allein bis 2025 könnten so potenziell etwa 235.000 neue Wohnungen in Büro- und Verwaltung­sgebäuden entstehen, heißt es in dem Forderungs­papier des Bündnisses.

Stadtforsc­her Eckardt geht noch einen Schritt weiter. Eine Umwandlung könnte sich auch bei anderen Räumlichke­iten anbieten: "Man hat ja zum Beispiel 2015/ 2016 gesehen, dass man plötzlich ganz viele leerstehen­de Immobilien umbauen konnte zu Gemeinscha­ftsunterkü­nften für Flüchtling­e - alte Supermärkt­e, Baumärkte, leerstehen­de Gewerbeflä­chen oder Gewerbehal­len." Im Zuge der Corona- Krise werde es durch Pleiten viele leerstehen­de Gebäude geben, unter anderem Hotels.

"Warum nicht nicht darüber nachdenken, ein Programm aufzulegen, dass man denjenigen, die es nicht schaffen in der Krise, zumindest ein Angebot macht, ihre Immobilie dann umzubauen in entspreche­nden Wohnraum?" Für Städte sei das eine "einmalige Chance", bezahlbare­n Wohnraum zu schaffen.

In Berlin müssen Petra Fischer und ihr Mann unterdesse­n weiter darauf hoffen, dass sie eine neue Wohnung finden oder in der alten bleiben dürfen. "Die Frage ist, wenn wir wirklich rausmüssen - ja, wohin?" In eine andere Stadt zu ziehen, ist wegen des Pflegefall­s im Angehörige­nkreis für das Ehepaar keine Option. Zur Not, so Fischer, müsse man erst einmal die irgendwo Möbel einlagern und bei Freunden oder Familie unterkomme­n.

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Neben den Mieten steige auch die Anzahl der Menschen, die eine bezahlbare Wohnung benötigen, so Lukas Siebenkott­en

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