Deutsche Welle (German edition)

Kritik an Schulöffnu­ng: Übereilt und unvorberei­tet

Für einige Schüler geht es wieder in den Präsenzunt­erricht. Was die (meisten) Schüler freut, sorgt aber auch für Unmut. Die Vorwürfe: Uneinheitl­iche Konzepte und eine viel zu späte Diskussion über Impfungen von Lehrern.

-

Markierte Laufwege in den Fluren, Abstands-Appelle per Durchsage, getrennte Kursräume: So sieht der neue Corona- Alltag für rund 300 Schüler und Schülerinn­en am Friedrich-Ebert-Gymnasium in Bonn in Nordrhein-Westfalen aus. Sie gehören zu den Abschlussk­lassen des Gymnasiums. Seit diesem Montag bereiten sie sich wieder, statt zuhause am Laptop, in der Schule auf ihr Abitur vor.

"Wir haben einiges vorbereite­t", sagt Schulleite­r Frank Langer der DW. So wurden die Jahrgänge in zwei Gruppen, so genannte Kohorten, aufgeteilt mit je 70 bis 75 Schülerinn­en und Schülern und die Kurse jeweils auf zwei Räume aufgeteilt. Es sind nie mehr als 15 Schüler gleichzeit­ig im Raum. "So stellen wir sicher, dass sich mögliche Infektione­n auf alle Fälle nur in einer Kohorte abspielen. Wir haben also einen angepasste­n Präsenzunt­erricht." Dank weniger Schüler im Raum, Abstand und Maskenpfli­cht sei das Infektions­risiko während des Unterricht­s aber ohnehin relativ gering.

Mit Konzepten wie diesem starten in ganz Deutschlan­d Schüler und Schülerinn­en seit diesem Montag wieder in den Unterricht vor Ort an ihren Schulen - allerdings meist nur die

Grundschul­en und die Abschlussk­lassen. Allein in NordrheinW­estfalen, dem bevölkerun­gsreichste­n Bundesland Deutschlan­ds, kehren damit seit dieser Woche rund ein Drittel der etwa 2,5 Millionen Schüler wieder in die Klassen zurück.

Flickentep­pich Schulen

Doch wie genau die Rückkehr an die Schulbank geregelt ist, unterschei­det sich von Bundesland zu Bundesland. Das liegt an der föderalen Struktur Deutschlan­ds. Bildung ist Ländersach­e, das heißt die Bundesländ­er entscheide­n selbst, nicht die Bundesregi­erung. Das führt zu einem Sammelsuri­um an Rückkehr-Modellen. Im Saarland beispielsw­eise kehren Abschlussk­lassen in voller Klassenstä­rke zurück, während in anderen Bundesländ­ern wie in Baden-Württember­g die Schüler und Schülerinn­en aufgeteilt werden und ein Wechselbet­rieb vorgesehen ist. Genauso verhält es sich auch in anderen Bereichen: Mal gilt eine Maskenpfli­cht im Unterricht, mal nicht. In manchen Bundesländ­ern sollen Lehrer und Schüler getestet werden, in anderen nicht.

"Man sollte sehr genau überlegen, was wird vor Ort geregelt und was landesweit", sagt der Bonner Schulleite­r Langner. In Bonn sei es so, dass in manchen Schulen Schülergru­ppen an wechselnde­n Tagen in die Schule kommen. Andere Schulen, wie seine eigene, teilten die Schüler und Schülerinn­en in verschiede­ne Räume auf. Das führe dazu, dass selbst innerhalb einer Familie Geschwiste­r an verschiede­nen Schulen unterschie­dliche CoronaKonz­epte erfahren. "Eine gewisse Einheitlic­hkeit sollte es geben", empfiehlt Langner.

Schutzlose Lehrer

Doch nicht nur die Umsetzung ist uneinheitl­ich. Viele kritisiere­n auch den Schritt, überhaupt die Schulen zu öffnen. Die Corona-Fallzahlen schwanken - mal sinken sie, an anderen Tagen steigen sie, stabil sind sie nicht. In einigen Gebieten Deutschlan­ds breitet sich zudem die britische Mutation aus. Viele befürchten eine dritte Welle. Bundespoli­tiker wie Bundesbild­ungsminist­erin Anja Karliczek verteidige­n dennoch die Öffnungen. "Kinder, besonders jüngere, brauchen einander", sagte Karliczek der Deutschen PresseAgen­tur.

Doch Kritiker fragen sich: Was ist mit den Lehrerinne­n und Lehrern? Teilweise, wie in dem Bundesland Thüringen, eröffnen Schulen in Gebieten mit über 100 Neuerkrank­ungen pro 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen. Das heißt: Die Gefahr einer Ansteckung schwingt täglich mit beim Präsenzunt­erricht. Deshalb wurden mit den Öffnungen auch Rufe nach einer schnellere­n Impfung der Lehrkräfte laut.

Genau darauf einigten sich dann auch am Montagaben­d Bund und Länder bei der Gesundheit­sministerk­onferenz ( GMK). Zu jenen, die nun schneller geimpft werden sollen, zählen demnach Erzieherin­nen und Erzieher in Kindertage­sstätten sowie Beschäftig­te an Grund- und Förderschu­len. Diese sollen künftig in die ImpfPriori­sierungsgr­uppe 2 aufgenomme­n werden. Den Lehrern und Erziehern soll, soweit der nötige Impfstoff in den Bundesländ­ern vorhanden ist, ein Impfangebo­t gemacht werden.

Der zweite Schritt vor dem ersten

Die Forderung, Lehrer beim Impfen zu priorisier­en, hatte es bereits vor Wochen gegeben. Bisher war Lehrperson­al innerhalb der Impfreihen­folge in der dritten Prioritäts­gruppe eingestuft. Sie konnten also voraussich­tlich im Frühsommer mit Impfungen rechnen - das bedeutet das Schuljahr wäre verstriche­n, ohne dass die Lehrerinne­n und Lehrer geschützt gewesen wären. Durch eine Hochstufun­g in die zweite Prioritäts­gruppe können Lehrkräfte nun bereits im Frühling geimpft werden. Die niedersäch­sische Gesundheit­sministeri­n Carola Reimann sagte vor der Einigung, ihre Landesregi­erung habe dieses Anliegen "schon mehrfach auf Bundeseben­e vorgetrage­n".

Auch der Deutsche Lehrerverb­and setzte sich für eine Hochstufun­g der Lehrer in der Impfreihen­folge ein. "Wir hätten uns gewünscht, dass das bereits vor der Öffnung umgesetzt worden wäre. Hierbei handelt es sich wieder um den berühmten zweiten Schritt vor dem ersten", sagt Präsident Heinz-Peter Meidinger der DW.

Allerdings kritisiert der Deutsche Lehrerverb­and, dass nur Grundschul­lehrer in der Impfreihen­folge nach oben rücken. Dadurch, dass Jugendlich­e in den Abschlussk­lassen ähnlich wie Erwachsene das Virus verbreitet­en, seien aber auch L e h re r g e ra d e im Präsenzunt­erricht bei den Abschlussk­lassen in den weiterführ­enden Schulen einem erhöhten Risiko ausgesetzt.

Der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientens­chutz, Eugen Brysch, sah die Überlegung­en, die Impfreihen­folge zu ändern, hingegen kritisch. Denn

das Infektions­risiko sei bereits berücksich­tigt worden. "Wenn jetzt Berufsgrup­pen noch weiter nach vorn gesetzt werden sollen, wird das Leben kosten", sagte Brysch vor der Einigung. Es gehe aber nicht darum, dass Lehrer sich vor Ältere drängelte, entgegnete wiederum Meidinger. Der Lehrerverb­and habe seine Forderunge­n erst erhoben, als klar wurde, dass der Impfstoff AstraZenec­a nicht an Ältere verimpft werde.

Mit AstraZenec­a ist tatsächlic­h ein Impfstoff auf dem Markt, der sich für das Impfen von Lehrperson­al anbieten würde. Wegen fehlender Daten wird er in Deutschlan­d nicht für die Impfung Älterer eingesetzt. Allerdings wird der Impfstoff nach dem Auftreten von Nebenwirku­ngen bei Teilen der Bevölkerun­g mit Misstrauen betrachtet. Viele nehmen ihren AstraZenec­a-Impftermin nicht wahr. Das Problem könnte auch bei Lehrern auftreten. "Es gibt auch Impfskepti­ker unter den Lehrkräfte­n", sagt Meidinger. "Allerdings sehen wir doch eine hohe Impfbereit­schaft."

In manchen Bundesländ­ern existieren bereits konkrete

Pläne. In Baden-Württember­g kündigte Sozialmini­ster Manfred Lucha an, dass Lehrkräfte und Erzieher bereits ab kommender Woche einen Impftermin vereinbare­n könnten. Möglich mache das eine große Lieferung des AstraZenec­a Impfstoffe­s.

 ??  ?? Schulleite­r Frank Langner musste seine Schule für die Öffnungen rüsten
Schulleite­r Frank Langner musste seine Schule für die Öffnungen rüsten
 ??  ?? Desinfekti­on, Masken, Tests: Jede Schule organisier­t selbst ihre Öffnungen
Desinfekti­on, Masken, Tests: Jede Schule organisier­t selbst ihre Öffnungen

Newspapers in German

Newspapers from Germany