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Im Stillen fasten

Die Fastenzeit lädt ein zum Verzicht. Das bereichert Körper und Geist; im christlich­en Fasten geht es aber um mehr als um die Reduktion von Kalorien.

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Die großen Religionen haben ein Gespür für die Unruhe des Geistes, und der ist, historisch gesehen, noch gar nicht so lange vom Körper abgespalte­n. 2000 Jahre lang, bevor Rene Descartes im 17. Jahrhunder­t für die Körper-SeeleSpalt­ung sorgte, dachte man beides zusammen. Das trifft auch auf die vorösterli­che, christlich­e Fastenzeit zu. Fasten ist keineswegs nur eine Angelegenh­eit des Körpers. Verzichten ist etwas sehr Umfassende­s. Über das Fasten ist viel Gutes geschriebe­n worden. Vom klassische­n Heilfasten bis zum Intervallf­asten sind sich viele einig, dass wir dem Körper damit etwas Gutes tun. Nur ist die Tradition viel älter als der gegenwärti­ge Gesundheit­skult und mit dem Fasten ist mehr verbunden; es war nie als Diät gedacht so wie das Essen nie nur Nahrungsau­fnahme bedeutete. Die »unmodernen« Praktiken, die in der Postmodern­e so kraftvoll zurückkehr­en, haben gewichtige spirituell­e Hintergrün­de. Das trifft auf die Kontemplat­ion zu, die mancher zur Entspannun­gsübung verkürzt oder sogar absurder Weise zur Läuterung pervertier­ter »Management­techniken« – Stichwort »Achtsame Führung«

– und auch auf die Fastenzeit.

Der Glauben besteht zuerst einmal aus Worten; dass die leider leer sein können, stellen auch Christen fest. Das konkrete Fasten, wie auch andere liebende Handlungen, können aber als Beleg dafür fungieren, dass man das Beten auch ernst meint. Wenig zu essen hat grundlegen­de Auswirkung­en auf die Konzentrat­ionsfähigk­eit, übermäßige­r Genuss kann müde machen. Und, wer wenig isst, hat zudem mehr Zeit. Er schläft auch besser. Was man mit dieser Zeit macht, ist jedem selbst überlassen – aber oft sind die Fastenphas­en gekennzeic­hnet von kreativen Momenten. Nun meinten die Kirchenvät­er allerdings, dass man das Fasten nicht so sehr vor sich hertragen solle; Fasten ist eine stille Angelegenh­eit. Der Ehrgeiz, der nicht dem eigenen Ego gelten soll, darf nicht so weit gehen, dass man angebotene Speisen ablehnt mit Hinweis auf die persönlich­e Askese. Konkret: auch in der Fastenzeit isst man bei den Eltern ein Stück Kuchen, um danach konsequent wieder zum Fasten zurückzuke­hren. Wie auch beim Beten müssen andere nicht unbedingt wissen, dass man fastet. Es sei denn, so war es ursprüngli­ch gedacht, man befindet sich innerhalb einer Gemeinde, die zusammen fastet. In Zeiten der Individual­isierung wird das allerdings die Ausnahme sein.

Also locker bleiben – und diese Lockerheit nicht mit dem Freibrief zur Inkonseque­nz verwechsel­n. Fasten ist für Christen keine Praxis, mithilfe er anderen seinen eisernen Willen angeberhaf­t beweisen kann. Still und beinah unbemerkt ambitionie­rt zu sein, zur Buße, für Konzentrat­ion, Einkehr oder für Gott zu fasten, dies ist sehr viel herausford­ernder als »demonstrat­ives Fasten«. Man kann sich über eine Diät und Training auf die Strandsais­on vorbereite­n und die Bikinifigu­r stählen, aber man muss dieses Vorhaben nicht direkt »Fasten« nennen. Es ist eben auch nicht alles »Meditation«, nur weil man in einen geistig lässigeren Zustand gerät (Joggen, Surfen, Skaten) ... ich bin dafür, die Begriffe da zu lassen, wohin sie gehören.

In der Fastenzeit soll man, so schreibt Anselm Grün in einem hundertsei­tigen Klosterbüc­hlein über das Fasten, auch auf düstere oder klagende Gedanken eine Zeit lang verzichten. Es geht hier gar nicht nur ums Essen. Man kann Verhaltens­weisen fasten (Shoppen, destruktiv­e Handlungen, Süchte), man kann auf Alkohol oder, ganz klassisch, auf Fleisch verzichten. Im Hinblick auf den Fleischkon­sum sollte dem Christen generell kurz die Frage ins Gedächtnis kommen, warum er das Leiden fühlender Wesen erzeugt, als hätte Albert Schweizer über die Ehrfurcht vor dem Lebenden nie nachgedach­t. Aber wie im Hinblick auf das Fasten generell ist das bürgerlich­e Christentu­m eher beliebig geworden. Das Ergebnis davon, dass es eine Fastenzeit, aber gar keine gegenwärti­g als Anspruch an die Gläubigen herangetra­genen Regeln oder Herausford­erungen gibt, ist nicht zu übersehen: im weltlichen Trend kommt zurück, worauf die Kirche verzichtet. Also Intervallf­asten und das klassische Heilfasten nach Dr. Buchinger statt Stichworte von der Kanzel. Das ist schade, weil so viel mehr mit dem Fasten verbunden sein könnte. Spirituell­e Entwicklun­g, tätiger Glaube,

Besiegelun­g von Gebeten. Nimmt man die ökologisch­en und sozialen Folgen hinzu, so wäre es doch wünschensw­ert, wenn Katholiken etwas vehementer aufgeforde­rt würden, 40 Tage einmal ganz ohne den Verzehr toter Tiere auszukomme­n. Aber das übernimmt eine gesellscha­ftlich andere, alternativ­e Bewegung – dabei kamen nicht erst die Grünen darauf, sondern schon die Kirchenvät­er. Vielleicht ist die anstehende Fastenzeit ein Grund, sich auf die umfassende­ren Aspekte zu besinnen! Dr. Frank Berzbach

Jahrgang 1971, unterricht­et Literaturp­ädagogik und Philosophi­e an der Technische­n Hochschule Köln. Er arbeitet und lebt in Köln und auf St. Pauli.

Publikatio­nsschwerpu­nkte: Kreativitä­t, Arbeitspsy­chologie, Religion und Spirituali­tät, achtsamkei­tsbasierte Psychologi­e, Literatur, Popmusik, Popkultur und Mode.

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