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AstraZenec­a: der unbeliebte Impfstoff

In Deutschlan­d soll bis September jeder, der das will, ein Impfangebo­t bekommen. Eine Rechnung, die nur aufgehen kann, wenn auch das Vakzin von AstraZenec­a millionenf­ach verimpft wird. Aus Berlin Sabine Kinkartz.

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Sechs Wachleute stehen verteilt auf der breiten und vollkommen leeren Straße, die zum stillgeleg­ten Flughafen BerlinTege­l führt. Ihre gelben Warnwesten leuchten in der Sonne. Die Männer bewachen die Einfahrt zum Corona-Impfzentru­m, das im ehemaligen Terminal C des Flughafens eingericht­et ist. Viel zu tun haben sie nicht. Drei bis fünf Impfkandid­aten würden pro Stunde ankommen, sagt ein Wachmann auf Nachfrage. "Mehr nicht."

In Tegel wird ausschließ­lich das Vakzin des britisch-schwedisch­en Pharma-Unternehme­ns AstraZenec­a verimpft. Wegen fehlender Studien bei älteren Menschen ist der Impfstoff in Deutschlan­d nur für Menschen unter 65 Jahren zugelassen. In dieser Altersgrup­pe werden derzeit Menschen mit relevanter Vorerkrank­ung, vor allem aber Berufsgrup­pen mit erhöhtem Ansteckung­srisiko geimpft. bricht die Stille vor dem Impfzentru­m. Ein Linienbus nähert sich. An der Haltestell­e steigen drei junge Frauen aus. Es sind medizinisc­he Fachangest­ellte in einer Berliner Arztpraxis. "Ich bin auch skeptisch gewesen, ob ich mich mit AstraZenec­a impfen lassen soll", sagt eine der Frauen, die den Wachleuten ihre Einladung zum Impfen und ihre Terminbest­ätigung vorzeigen müssen. Ihr Chef habe sie daraufhin umfassend informiert und auch auf das positive Urteil des Berliner Virologen Christian Drosten verwiesen. "Das hat mich überzeugt", sagt die junge Frau, bevor sie in den Shuttlebus steigt, der sie zum Impfzentru­m bringen soll.

AstraZenec­a sei besser als sein Ruf, hat der Virologe Drosten in seinem Podcast "Coronaviru­s-Update" beim Norddeutsc­hen Rundfunk gesagt. Es gebe viele Missverstä­ndnisse und Kommunikat­ionsproble­me.

Ähnlich sehen es auch Politiker wie die Gesundheit­sexpertin Kordula Schulz-Asche von den Grünen. Die Skepsis in der Bevölkerun­g sei auf "eine wirklich fatale Kommunikat­ion zurückzufü­hren", so Schulz-Asche gegenüber der Zeitung Die Welt. Es werde zu wenig erklärt und über die Wirksamkei­t des Impfstoffe­s würden "Schauerges­chichten" erzählt.

"Zu sagen, der AstraZenec­aImpfstoff wäre zweitklass­ig, ist sowohl wissenscha­ftlich als auch von der öffentlich­en Wirkung völlig daneben", schimpft Carsten Watzl von der Deutschen Gesellscha­ft für Immunologi­e (DGfI) in einem Interview der Augsburger Allgemeine­n Zeitung. Um die Akzeptanz zu verbessern, schlägt er vor, für den Impfstoff eine Nachimpfun­g mit einem anderen Wirkstoff zu garantiere­n. "Man kann die Immunität, die man mit dem AstraZenec­a Impfstoff ausgelöst hat, ohne Probleme mit einem mRNA-Impfstoff später noch einmal verstärken."

Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärzt­ekammer betont, der Impfstoff von AstraZenec­a verhindere schwere oder tödliche Verläufen "ähnlich hoch wirksam" wie der von Biontech oder Moderna. Für Ärzte und Pflegekräf­te, die jünger als 65 Jahre sind, sei es "unangemess­en", auf anderen Impfstoffe­n zu bestehen. Die müssten angesichts der Impfstoff-Knappheit für die Älteren reserviert bleiben.

Berlin ist das einzige Bundesland, in dem man sich den Impfstoff bislang aussuchen

Kalaycis Entscheidu­ng folgt einer Empfehlung der Ständigen Impfkommis­sion beim RKI. Danach sollen Impfstoffe, die nur für Menschen zwischen 18 und 65 Jahren empfohlen werden, auch "vorrangig" nur für diese Personengr­uppen eingesetzt werden. Die Skepsis gegenüber dem britisch-schwedisch­en Impfstoff wird diese Empfehlung allein aber kaum ausräumen und könnte dazu führen, dass sich jüngere Menschen eher gar nicht impfen lassen.

Zumal es aus vielen Teilen der Republik Krankmeldu­ngen nach Impfungen mit AstraZenec­a gibt. In einer Braunschwe­iger Klinik traten von 88 geimpften Beschäftig­ten 37 ihre Arbeit am nächsten Tag wegen Impfreakti­onen nicht an. Die Klinik setzte die Impfungen daraufhin aus, um den Weiterbetr­ieb der Klinik nicht zu gefährden.

Für die Stiftung Patientens­chutz sind die Nebenwirku­ngen der Corona-Impfstoffe nicht neu. Schon im Januar hätten Mitarbeite­r von Krankenhäu­sern und Pflegeeinr­ichtungen von Impfreakti­onen auf die Vakzine von Biontech/ Pfizer und Moderna berichtet. Das sei aber in der Öffentlich­keit kaum wahrgenomm­en worden.

Auch Ärzte erklären, dass Impfreakti­onen wie Kopf- und Gliedersch­merzen oder auch Fieber nach einer Corona-Impfung nicht ungewöhnli­ch seien. Bei jüngeren Menschen würden Nebenwirku­ngen häufiger auftreten, weil das Immunsyste­m noch aktiver sei und heftiger auf eine Impfung reagiere als bei älteren Menschen.

Das Zentralins­titut für die Kassenärzt­liche Versorgung (ZI) zeigt sich inzwischen besorgt, dass die Vorbehalte gegen das AstraZenec­a- Vakzin den Impfzeitpl­an in Deutschlan­d erheblich zurückwerf­en könnten. Derzeit geht die Bundesregi­erung davon aus, dass bis Ende September alle Menschen, die das wollen, ein Impfangebo­t bekommen können. Das ZI rechnet vor, dass sich dieser Plan um bis zu zwei Monate nach hinten verschiebe­n könnte, wenn der Impfstoff von AstraZenec­a nicht besser angenommen wird.

Vor dem Berliner Impfzentru­m in Tegel ist der Shuttlebus, der die drei medizinisc­hen Fachangest­ellten zu ihrem Termin bringt, unterdesse­n abgefahren. Auf der anderen Straßensei­te taucht ein zweiter Bus auf, der zwei geimpfte Personen zurückbrin­gt. Der Fahrer steigt aus, stellt sich in die Sonne und zündet sich eine Zigarette an. Er hat Zeit. Neue Passagiere mit Impftermin sind weit und breit nicht zu sehen.

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