Deutsche Welle (German edition)

Luna und die syrischen Folterer

Beim weltweit ersten Prozess gegen das Foltersyst­em Assads sitzt Luna Watfa an jedem Tag im Saal. Sie war selbst Gefangene in den Kerkern der Geheimdien­ste. Am Mittwoch wird das erste Urteil erwartet.

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Mehr als 60 Tage hat Luna Watfa schon im Gericht zugebracht. Tage auf der Suche nach Antworten, nach Gerechtigk­eit - und Tage schmerzlic­her Erinnerung. "Ich erinnere mich daran, was mit mir passiert ist. Wenn ich die gleichen Details über die Folter von den Zeugen hören muss, dann ist das sehr schwierig für mich". Zum Beispiel, als ein Zeuge über schwere Misshandlu­ngen durch einen Gefängnisw­ärter sprach, der auch Luna gefoltert hat.

Als Luna Watfa an einem warmen Sonntag Mitte Februar über diese Dinge spricht, sitzt sie in ihrem kleinen Wohnzimmer in einem rechtsrhei­nischen Stadtteil von Koblenz. Sie erzählt von ihrem Leben in Syrien. Während der Revolution, die vor zehn Jahren ihre Heimat erfasste. Ihre Schilderun­gen stehen in merkwürdig­em Kontrast zu dem in Sichtweite idyllisch dahinström­endem Rhein. Zum Beispiel, wenn sie von den elenden Haftbeding­ungen berichtet. Davon, dass sie mit bis zu 20 Frauen in einer höchstens 10 Quadratmet­er großen Zelle eingepferc­ht gewesen sei.

Verbrechen gegen die Menschlich­keit

Am gegenüberl­iegenden Rheinufer liegt das Gerichtsge­bäude, das die zweifache

Mutter mittlerwei­le so gut kennt. Seit letztem April findet dort der weltweit erste Prozess gegen das syrische Foltersyst­em statt. Angeklagt wegen Verbrechen gegen die Menschlich­keit, müssen sich dort zwei ehemalige Mitglieder des syrischen Geheimdien­stes verantwort­en. In dem Verfahren wird Rechtsgesc­hichte geschriebe­n: Es ist der weltweit erste Versuch, das brutale Unterdrück­ungssystem mit den Mitteln des Rechtsstaa­tes auszuleuch­ten. Luna lässt sich nichts davon entgehen - keinen Tag, keinen Zeugen, keinen Experten, keinen Gutachter.

So wie den Mann, den Luna den "Totengräbe­r" nennt. Der trat Anfang September auf, anonym aus Sorge um Familienan­gehörige in Syrien - weshalb er als Zeuge "Z 30/07/19" in den Prozess eingeführt wurde. Der frühere Mitarbeite­r der Friedhofsv­erwaltung von Damaskus berichtete, wie er vom Geheimdien­st gezwungen wurde, mehrere Jahre bis zu seiner Flucht Leichen zu transporti­eren und in Massengräb­ern zu beerdigen.

Mehrmals pro Woche, jedes Mal mehrere Hundert, viele mit Spuren schwerster Misshandlu­ngen.

Oder als es um die sogenannte­n "Caesar-Fotos" ging: Ein syrischer Militärfot­ograf hatte zwei Jahre lang für die Todesbürok­ratie Bilder von getöteten Insassen der Gefängniss­e machen müssen - und heimlich Kopien angefertig­t. Die hat er außer Landes geschmugge­lt - und auch der Bundesanwa­ltschaft übergeben. Der Kölner Rechtsmedi­ziner Markus Rothschild hat zehntausen­de dieser Bilder von zu Tode gefolterte­n und gehungerte­n Menschen analysiert – und im Koblenzer Gerichtssa­al Anfang November zwei Tage lang seine Ergebnisse vorgetrage­n. Nicht nur für Luna waren die vorgestell­ten Bilder und Erklärunge­n schwer erträglich.

Oder der Folter-Überlebend­e, mit dem Luna in einer Verhandlun­gspause gesprochen hat. "Er hat mir ein Video gezeigt, das nach seiner Freilassun­g im Krankenhau­s aufgenomme­n worden war, mit all seinen Verletzung­en.

Das sah aus wie auf den CaesarFoto­s, aber er lebte noch".

Bürgerjour­nalistin, Gesuchte, Gefangene

Luna heißt eigentlich nicht Luna. Dass sie mit ihrer Familie jetzt in Koblenz lebt und nicht in ihrer Heimatstad­t Damaskus, hat viel mit diesem Pseudonym zu tun, mit dem politische­n Erwachen, das mit ihm verbunden ist – und der Reaktion des syrischen Sicherheit­sapparates darauf.

Bis im März 2011 die ersten Demonstrat­ionen gegen das Regime von Bashar al-Assad begannen, war Luna unpolitisc­h. "Ich hatte keine Ahnung, was los war im Land. Ich war weder für die Regierung noch gegen sie." Aber jetzt beginnt die studierte Juristin zu lesen: Bücher über die syrische Geschichte; Bücher in denen sie etwas über die Verbrechen des Assad-Klans erfährt; Bücher, die sie verstehen lassen, warum die Menschen auf die Straße gehen. Nach vier, fünf Monaten intensiver Lektüre schließt Luna sich den Demonstrat­ionen an. Und sie engagiert sich bei der Unterstütz­ung von Flüchtling­en, die aus anderen Landesteil­en nach Damaskus kommen.

Auf Anregung eines Freundes wird Luna Bürgerjour­nalistin. Ein Jahr lang lernt sie online mit Hilfe der Organisati­on "Syrian Voices" das Journalist­enhandwerk. Sie will dem Informatio­nsmonopol des Regimes etwas entgegense­tzen. Unter dem Pseudonym Luna startet sie Mitte 2013 ein Programm bei einem OnlineSend­er. "Das war über Tote, die in Damaskus gefunden wurden. Von denen aber niemand wusste, wer sie sind. Ich habe Informatio­nen über diese Leute verbreitet. Und wenn Angehörige das hörten, konnten sie anrufen und sagen: Das ist mein Vater oder Sohn."

Endgültig auf das Radar der Sicherheit­sbehörden gerät Luna in Zusammenha­ng mit dem Chemiewaff­enangriff auf den Damaszener Vorort OstGhouta im August 2013. In Zusammenar­beit mit Bekannten aus Ost-Ghouta beschließt Luna, dieses Massaker zu dokumentie­ren. "Wir haben viele Fotos aufgenomme­n und Videos. Ich habe selbst damit 800 Namen von Opfern dokumentie­rt." Sie stellt das brisante Material der syrischen Opposition im Ausland zu Verfügung. "Das war auf einem USB-Stick." Fortan sucht der Geheimdien­st nach Luna.

Mit verbundene­n Augen verschlepp­t

Rund vier Monate später passiert es. Ende 2013 ist Luna in Damaskus unterwegs. Sie will Menschen helfen, die wegen des mittlerwei­le ausgebroch­enen Bürgerkrie­gs aus anderen Städten nach Damaskus geflohen sind. Drei Autos fahren vor, über ein Dutzend Sicherheit­sbeamte steigen aus. Einer

fragt nach ihrem Namen, ihrem Ausweis. "Dann haben sie mich zu einem der Autos gebracht. Mit meinem Schal haben sie mir die Augen verbunden, damit ich nicht sehe, wo wir hinfahren. Sie haben mich zur Abteilung 40 gebracht. Das ist die Abteilung, in der Eyad A. lange gearbeitet hat."

Eyad A. ist einer der Angeklagte­n. Aber bei Lunas Verhaftung hat er schon desertiert und ist ins Ausland geflohen. Später kommt Luna ins Foltergefä­ngnis Al-Khatib der sogenannte­n Abteilung 251, "Hölle auf Erden" genannt. Dort war der zweite Angeklagte, Anwar R., Vernehmung­sleiter. Aber auch der hat zu dem Zeitpunkt Syrien längst verlassen. Deshalb ist Luna auch keine Zeugin in dem Prozess. Sie ist Beobachter­in und sie berichtet über das Verfahren in arabischen Medien.

Bei den stundenlan­gen Verhören leugnet Luna alle Vorwürfe. Die Geheimdien­stler fahren mit ihr zur Durchsuchu­ng ihrer Wohnung. Dort gibt ihr Laptop preis, dass sie Luna ist.

Psychoterr­or und die Angst um die Kinder

Jetzt wollen die Agenten die Namen ihrer Helfer. Sie sagt, es gab keine anderen, sie habe allein gearbeitet. "Dann sagte einer der Beamten: Okay,` du willst nicht kooperiere­n? Dann werden wir deinen Sohn und deine Tochter verhaften!´. Sie haben vor meinen Augen meinen Sohn genommen - und das war das Schlimmste, was ich je erlebt habe". Zugleich hört sie Anweisunge­n über Funk, auch die Tochter in der Schule festzunehm­en. "Von diesem Moment an habe ich meine Kinder nicht mehr gesehen. Aber bei allen Vernehmung­en haben sie gedroht: `Sage uns, was wir wissen wollen, sonst holen wir deine

Kinder und foltern sie vor deinen Augen´.Das war das Schlimmste. Nicht die Folter an mir, sondern die Sorgen um meine Kinder; ich wusste nicht, wo sie sind, ob sie vielleicht irgendwo in der gleichen Abteilung sind."

Ungefähr zwei Monate lang ist Luna Gefangene des Geheimdien­stes, in drei verschiede­nen Abteilunge­n. Dann wird sie in ein reguläres Gefängnis überführt. Dort darf sie zum ersten Mal seit ihrer Verhaftung Kontakt zu ihrer Familie aufnehmen. Und erfährt: Der Geheimdien­st hatte ein Psychoterr­or-Spiel inszeniert: Ihr Sohn war nur zum Schein abgeführt worden. Niemand war zur Schule ihrer Tochter gefahren.

Neue Heimat Koblenz

Als Luna nach insgesamt dreizehn Monaten Haft wieder auf freien Fuß kommt, rät ihr Anwalt ihr zur Flucht. Sie möchte bei ihren Kindern bleiben, aber der Druck ist so groß, dass Luna schließlic­h doch erst in die Türkei flieht. Von dort kommt sie über die Balkan-Route nach Deutschlan­d. Etwas später fliehen auch ihre Kinder in die Türkei. Nachdem Luna als Asylantin anerkannt ist, kann sie im Rahmen des Familienna­chzugs ihre Kinder nach Deutschlan­d holen. Nach Koblenz, wo sie mittlerwei­le lebt.

Ausgerechn­et die 100.000Einwohn­er-Stadt am Zusammenfl­uss von Rhein und Mosel wird zum Schauplatz des Verfahrens gegen Eyad A. und Arwan R.. Für Luna ist "der Prozess das erste Mal, dass wir die Möglichkei­t haben, über unsere Erfahrunge­n zu sprechen. Das ist zwar nur ein kleiner Schritt Richtung Gerechtigk­eit, aber er ist sehr wichtig!" Sie betont, wie sie als Journalist­in trotz persönlich­er Betroffenh­eit versucht, neutral zu bleiben, dass sie kein Vorurteil gegen die zwei Angeklagte­n hat. "Aber natürlich ist es sonderbar, sie die ganze Zeit zu sehen. Und dass wir als Überlebend­e jetzt in der starken Position sind; und sie, Anwar R. und Eyad A., sind die Angeklagte­n."

Dabei sei die Situation der Angeklagte­n mit der in Syrien überhaupt nicht vergleichb­ar, stellt Luna fest, während sie an einer Tasse mit schwarzem Tee nippt. Sie erinnert daran, wie vollkommen rechtlos sie selbst war. Und welche Rechte Anwar R. und Eyad A. in Deutschlan­d in Anspruch nehmen können. Dabei ist Luna wichtig, eines festzuhalt­en: Dass sie sich in keinster Weise wünscht, dass die Angeklagte­n das gleiche erleben wie sie oder die aufgetrete­nen Zeugen. Kein Mensch solle so etwas erleben müssen.

Das erste Urteil in dem Prozess wird am Mittwoch (24. 2.) erwartet. Auch da wird Luna im Gerichtssa­al sitzen.

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Gefangen, gefoltert, geflohen. In Koblenz begegnet Luna ihrer Vergangenh­eit
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Rechtlos eingepferc­ht in einem fensterlos­en Raum: Luna im Geheimdien­stgefängni­s

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