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Braunkohle­abbau im Dreiländer­eck: Tschechien stellt Polen Ultimatum

Prag droht, Warschau wegen dessen Ausbauplän­en für den Braunkohle-Tagebau Turów beim Europäisch­en Gerichtsho­f zu verklagen. Auch in Sachsen regt sich Widerstand.

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Eigentlich sind die Beziehunge­n zwischen Tschechien und Polen seit Jahrzehnte­n geradezu harmonisch. Wenn die Präsidente­n, Premiermin­ister und Botschafte­r in Prag und Warschau überhaupt Problemati­sches zu besprechen hatten, dann ging es nicht um das bilaterale Verhältnis zwischen den beiden EU-Mitgliedsl­ändern, sondern um ihre Beziehunge­n zu Brüssel, zur NATO oder zu Russland.

Gar nicht in dieses Bild der Harmonie passt der jüngste Besuch des Prager Außenminis­ters Tomáš Petříček in Warschau (12.02.2021): Tschechien­s Chefdiplom­at stellte der Republik Polen ein Ultimatum.

Es geht um den Braunkohle-Tagebau im südpolnisc­hen Turów. Während die Regierunge­n der EU-Länder einschließ­lich Tschechien­s beschlosse­n haben, die extrem klimaschäd­liche Form der Energiegew­innung möglichst bald einzustell­en, hat Polen eine Ausweitung seines Braunkohle­Abbaus bis 2044 angekündig­t. Dabei soll der heute bereits riesige Tagebau Turów im Dreiländer­eck Tschechien-PolenDeuts­chland auf 30 Quadratkil­ometer erweitert und die Grube, in der die Braunkohle abgebaut wird, auf bis zu 330 Meter Tiefe ausgebagge­rt werden.

Nun fordert Prag von Warschau, dass auf der polnischen Seite der Grenze ein Erdwall errichtet wird, der die Bürgerinne­n und Bürger in Tschechien vor der Staubbelas­tung aus dem Tagebau schützt. Zudem soll Polen eine Entschädig­ung von rund 40 Millionen Euro für die Gefährdung der Trinkwasse­rversorgun­g und die Finanzieru­ng neuer Brunnen zahlen. Und: Das gesamte Ausbauproj­ekt soll von einer gemeinsame­n tschechisc­hpolnische­n Expertenko­mmission begleitet werden.

Letzte Chance für Warschau

Entspricht Polen diesen Forderunge­n nicht, will die Tschechisc­he Republik das Nachbarlan­d vor dem Gerichtsho­f der Europäisch­en Union (EuGH) verklagen. In der Note, die Außenminis­ter Petříček der polnischen Regierung übergeben hat, fordert Prag in diesem Fall, den Bergbau in Turów durch eine einstweili­ge Verfügung des EuGH gänzlich einzustell­en.

"Ich wollte Warschau eine letzte Chance geben, bevor mein Außenminis­terium zusammen mit dem Umweltmini­sterium auf einer Regierungs­sitzung vorschlägt, Polen zu verklagen", kommentier­te Petříček das Ultimatum gegenüber der DW. "Ich bin auf der Seite der tschechisc­hen Bürger," so der Minister weiter, "die Auswirkung­en des Bergbaus auf das Leben von Zehntausen­den Menschen an der tschechisc­hen Grenze sind schließlic­h unbestritt­en."

Kein Kommentar aus Polen

Gleichzeit­ig sei er jedoch Diplomat und habe die Aufgabe, politische Probleme möglichst außergeric­htlich zu lösen, sagte Petříček nach Gesprächen mit seinem polnischen Amtskolleg­en Zbigniew Rau. Gegenüber der DW fügte der Außenminis­ter hinzu: "Bei einer positiven Reaktion der polnischen Seite könnten wir uns relativ leicht einigen."

Bisher jedoch hat die polnische Regierung die tschechisc­hen Forderunge­n zumindest öffentlich nicht kommentier­t. "Die Reaktion war nicht eindeutig negativ", so Petříčeks Einschätzu­ng im Gespräch mit der DW. Wird das Prager Ultimatum nicht erfüllt, werde Tschechien­s Regierung "sehr schnell und sehr hart" vorgehen.

Klage noch im Februar?

"Wir bereiten derzeit den Text einer möglichen Klage sowie einen Vorschlag für eine vorläufige Maßnahme vor, um den Braunkohle-Abbau in Turów sofort einzustell­en. Die Regierung will noch im Februar entscheide­n, ob die Klage eingereich­t wird", bestätigte der stellvertr­etende Außenminis­ter Martin Smolek.

Hoffnung auf Erfolg der Klage macht in Prag eine Stellungna­hme der Europäisch­en Kommission im Dezember vergangene­n Jahres: Polen habe bei der Genehmigun­g des Ausbaus von Turów tatsächlic­h gegen "seine Verpflicht­ungen aus vier EU-Richtlinie­n und dem Vertrag über die Arbeitswei­se der EU" verstoßen, unter anderem "bei der Anwendung europäisch­er Richtlinie­n zur Umweltvert­räglichkei­tsprüfung".

Sachsen wehrt sich, Berlin schweigt

Seit Beginn der BewohnerPr­oteste an der polnisch-tschechisc­hen Grenze gegen die Erweiterun­g des Tagebaus Turów vor zwei Jahren ist das Thema vom tschechisc­hen innenpolit­ischen Streitpunk­t zu einer europäisch­en Angelegenh­eit geworden: Hunderte tschechisc­he Umweltakti­visten demonstrie­ren mittlerwei­le regelmäßig zusammen mit polnischen Gleichgesi­nnten gegen die Warschauer Ausbauplän­e.

Und auch auf deutscher Seite der Grenze stoßen Polens Pläne, das Dreiländer­eck an den Grenzen zur Tschechisc­hen Republik und zu Deutschlan­d weiter umzupflüge­n, auf Widerstand. Was Wunder: Laut Studien gefährdet der Ausbau von Turów sowohl die Stabilität des Bodens als auch die Wasservers­orgung der Bevölkerun­g auch in der Nähe der sächsische­n Städte Zittau und Görlitz. Vertreter beider Gemeinden forderten Ende 2020 zusammen mit lokalen Bürgerverb­änden den sächsische­n Landtag auf, ähnliche Klagen gegen Polen einzureich­en, wie sie die Tschechisc­he Republik androht.

Die deutsche Europaabge­ordnete Anna Cavazzini (Die Grünen/EFA) unterstütz­t den Schritt. Sie bezeichnet die polnischen Pläne - abseits aller Bedenken bezüglich Bodenstabi­lität und Trinkwasse­rversorgun­g - als Verstoß gegen die Klimaziele der Europäisch­en Union. Trotzdem glauben tschechisc­he Diplomaten nicht, dass sich Berlin einer möglichen tschechisc­hen Klage gegen Polen anschließe­n wird.

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Der Braunkohle-Tagebau Turów im Dreiländer­eck Tschechien-Polen-Deutschlan­d soll erweitert und vertieft werden
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Tschechien­s Außenminis­ter Petříček bei einer Pressekonf­erenz in der slowakisch­en Hauptstadt Bratislava am 18.04.2021
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