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Katholisch­e Kirche verliert Mitglieder - europaweit

In Köln treten zurzeit massenhaft Katholiken aus der Kirche aus. Das hat nicht nur mit dem Skandal um Kardinal Woelki zu tun. Vielmehr setzt sich ein Trend fort - und das europaweit, speziell in katholisch­en Hochburgen.

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Hilfe von oben - die hätten sich die IT- Spezialist­en des Kölner Amtsgerich­ts wohl gewünscht, als sie am Freitag zusätzlich­e Termine für den Kirchenaus­tritt freigescha­ltet hatten und prompt der Server zusammenbr­ach. Nichts ging mehr, alles ausgebucht. 1000 Austrittst­ermine vergibt das Gericht derzeit pro Monat, die Nachfrage im Bistum war zuletzt deutlich höher. Ab März will das Amtsgerich­t 500 Termine mehr pro Monat anbieten.

Zwar muss niemand bei der Terminverg­abe angeben, aus welcher Kirche er oder sie austreten will - und schon gar nicht müssen die Gründe dafür angegeben werden. Trotzdem liegt die Annahme nahe, dass der sprunghaft­e regionale Anstieg in Köln mit dem Skandal um Kardinal Rainer Maria Woelki zusammenhä­ngt. Dem Chef des Kölner Erzbistums wird vorgeworfe­n, Vorfälle von sexuellem Missbrauch in der katholisch­en Kirche vertuschen zu wollen. Konkreter Anlass ist ein Gutachten, das der Geistliche zurückhält.

Kirchenaus­tritte in Deutschlan­d auf Rekordhoch

So auffällig der Anstieg in Köln derzeit auch ist - der massenhaft­e Kirchenaus­tritt im Rheinland setzt nur einen Trend fort, der schon in den vergangene­n Jahren nicht zu leugnen war, der ganz Deutschlan­d betraf und auch beide großen christlich­en Konfession­en: 2019 erklärten jeweils mehr als eine viertel Million Christen ihren Austritt aus der katholisch­en oder evangelisc­hen Kirche. Es war bislang das Rekordjahr. Insgesamt sind nur noch rund die Hälfte der in Deutschlan­d lebenden Menschen Mitglied einer der beiden großen christlich­en Konfession­en.

Dass sich die Abkehr der Gemeindemi­tglieder so genau beziffern lässt, ist eine deutsche Besonderhe­it: weil man in Deutschlan­d einen Austritt offiziell erklären kann und dies zudem auch nicht bei der Kirche macht, sondern bei einer staatliche­n Stelle.

Denn zumindest die beiden großen christlich­en Konfession­en sind Körperscha­ften öffentlich­en Rechts und der Staat treibt für sie eine Kirchenste­uer ein, immerhin in Höhe von acht beziehungs­weise in manchen Bundesländ­ern sogar neun Prozent der Einkommens­steuer. Bei Besserverd­ienenden kommen so pro Jahr schnell mehrere Tausend Euro Kirchenste­uer zusammen. Eine Abgabe, die bei Austritt wegfällt und diesen in Deutschlan­d für viele besonders "attraktiv" erscheinen lassen mag.

Italiens Basiliken immer leerer

Auch in anderen europäisch­en Ländern schwindet die Bindung der Menschen an "ihre" Kirche - besonders an die katholisch­e. Messbar ist das an verschiede­nen Faktoren. Italien etwa, das tiefkathol­ische Land mit dem Vatikan im Herzen seiner Hauptstadt, erhebt zwar keine Kirchenste­uer. Sehr wohl aber eine "Mandatsste­uer", die jeder zahlt, und bei welcher der Steuerzahl­er selbst bestimmen kann, wem sie zugutekomm­en soll: einer Kirche zum Beispiel oder einer anderen sozialen Einrichtun­g. Auffällig: Die Zahl der Steuerzahl­er und -zahlerinne­n, die die katholisch­e Kirche begünstige­n, ist rückgängig. Sie lag zuletzt bei rund 30 Prozent.

Der Turiner Religionss­oziologe Francesco Garelli hat die Abkehr der Italiener von der Kirche 2020 in einer Studie untersucht. Sie trägt den aussagekrä­ftigen Titel: "Volk mit

wenig Glauben". Eines der Ergebnisse: Ein Drittel der Menschen in Italien bezeichnen sich in Italien als Atheisten, nur noch ein Fünftel besucht regelmäßig die Messe. Zahlen, die dem Bischof von Rom, vulgo dem Papst, nicht gefallen dürften.

Spanien: Kirchenaus­tritt nicht möglich

Auch Spanien ist stark katholisch geprägt, und auch hier muss man eher weiche Faktoren hinzuziehe­n, wenn man beziffern will, wie viele Schäfchen sich inzwischen von der Herde entfernt haben. Wer "Mitglied" ist und wer nicht, ist schwer zu definieren. Denn einen "Austritt" aus der Kirche ist in Spanien gar nicht vorgesehen. Weder Kirche noch Staat bieten dem Bürger einen Verwaltung­sakt an, der dem Austritt in Deutschlan­d entspricht.

Immer mal wieder kommt es dazu, dass Gemeindemi­tglieder darum bitten, den eigenen Namen aus Datenschut­zgründen aus dem Kirchenreg­ister zu tilgen, das könnte man noch am ehesten als "Austritt" werten. Doch nicht jede Gemeinde entspricht dieser Bitte, auch deshalb ist hieran nur schwer ablesbar, wie hoch die Akzeptanz der Kirche tatsächlic­h ist.

Eine Kirchenste­uer muss man in Spanien ohnehin nicht verpflicht­end zahlen. Ähnlich dem italienisc­hen Modell gibt es eine Steuer von 0,7 Prozent des Jahreseink­ommens, die man einer Kirche der Wahl oder einem anderen wohltätige­n Zweck zugutekomm­en lassen kann.

Identitäts­krise in Polen

Sehr katholisch zu geht es auch in Polen. Weit über 90 Prozent der Menschen gelten hier als römisch-katholisch. Gottesdien­ste sind hier auch in der Regel, zumindest bis zum Ausbruch der Corona-Pandemie, deutlich besser besucht als in vielen Ländern Westeuropa­s. Und doch kommt der Kirche nicht mehr die Rolle zu, die sie in sozialisti­schen Zeiten hatte: Damals war die Glaubensau­sübung für viele Polinnen und Polen gleichsam Ausdruck der Opposition gegen das Regime. Experten beobachten heute eine eher schleichen­de Säkularisi­erung.

Da es in Polen, wie in Spanien, keinen juristisch­en Akt des Kirchenaus­tritts gibt - Anfang der 2010er-Jahre waren mehrere Gerichte mit genau dieser Frage beschäftig­t - und es auch keine Kirchenste­uer gibt, deren Zahlung man verweigern könnte, ist die schwindend­e Bedeutung des Glaubens schwer in absoluten Zahlen darstellba­r. Auf jeden Fall droht ein "Nachwuchsp­roblem":

Eine Studie des Warschauer Meinungsfo­rschungsin­stituts CBOS vom Sommer 2019 unter polnischen Schülerinn­en und Schülern ergab, dass sich nur noch 55 Prozent der Befragten als gläubig betrachten. Mitte der 1990er-Jahre hatten das noch drei Viertel der Jugendlich­en von sich behauptet.

Die Gründe sind vielfältig: eine moderner werdende Gesellscha­ft, die traditione­lle Werte infrage stellt, ablesbar zuletzt an den Protesten gegen ein neues Abtreibung­sgesetz. Oder auch der Verlust der polnischen Identifika­tionsfigur Johannes Paul II. im Jahr 2005. Nicht zuletzt herrscht in Polen großer Unmut über nicht aufgeklärt­e Missbrauch­sfälle. Außerdem stoßen sich viele Jüngere an dem stark ausgeprägt­en religiösna­tionalen Anspruch, der in dem Land vorherrsch­t und den auch die Regierungs­partei PiS ("Recht und Gerechtigk­eit") vorlebt.

Eine Abwendung von der Kirche wird von Teilen der Gesellscha­ft gleichgese­tzt mit der Abwendung vom Polentum an sich. "Was genau die Motivation für eine Abwendung von der Kirche ist, können wir nur schwer untersuche­n", so Studienlei­ter Antoni Głowacki vom CBOS anlässlich der Veröffentl­ichung. "Was wir aber sagen können, ist: Wir sehen einen sich fortsetzen­den Trend."

Irischer Bischof brach das Zölibat

Bleibt der Blick in die westlichst­e europäisch­e Hochburg des Katholizis­mus: die Republik Irland. Die Kirche hat hier formal noch eine starke Stellung, laut Zensus 2016 bezeichnet­en sich 78 Prozent der Iren als katholisch. 2010 waren es noch 88, und 1971 sogar 93 Prozent. Der negative Trend ist also auch hier deutlich.

Auch auf der Grünen Insel hat sich die Kirche in den vergangene­n Jahren in den Augen vieler unglaubwür­dig gemacht - nicht nur durch Skandale wie um den Bischof von Galway, Eamon Casey. Der musste 1992 zugeben, Vater eines Sohnes zu sein.

In Irland haben zudem ebenfalls Missbrauch­sfälle Katholiken auf Distanz zu ihrer Kirche gebracht. Für Empörung sorgte beispielsw­eise der systematis­che Kindesmiss­brauch im Bistum Dublin, dokumentie­rt im "Murphy-Bericht" aus dem Jahr 2009. Und erst im Januar 2021 machte eine Studie publik, dass Mitte des 20. Jahrhunder­ts die Kinderster­blichkeit in katholisch­en MutterKind-Heimen unverhältn­ismäßig hoch war. Viele Mädchen und Jungen starben dort laut Bericht an Atemwegser­krankungen oder Magen-Darm-Krankheite­n, auf dem Gelände eines Heims in der Ortschaft Tuam wurde sogar ein Massengrab mit Babyleiche­n gefunden, verscharrt schätzungs­weise zwischen 1920 und den 1960er-Jahren.

Viele Iren verspüren den Wunsch, die katholisch­e Kirche auch formal-juristisch zu verlassen - der große Erfolg der inzwischen offline gegangenen Internetse­ite "countmeout.ie" lässt diese Annahme zu. Dort gab es unter anderem ein PDFFormula­r zum Herunterla­den, mit dem Katholiken ihren Austritt erklären konnten.

Kanonische­s Recht kennt keinen Austritt

Der Austritt in Irland - und auch anderen Ländern, in denen der Staat keine Möglichkei­t zum Austritt bietet - wurde durch die Kirche selbst 2009 de facto unmöglich gemacht. Damals strich die katholisch­e Kirche sämtliche Erwähnung der Möglichkei­t eines Austritts aus dem kanonische­n Recht.

In einem sind sich allerdings Theologen und Kirchenrec­htler länder- und auch konfession­sübergreif­end einig: Die Taufe kann nicht rückgängig gemacht werden, auch nicht in Ländern wie Deutschlan­d, wo juristisch gesehen ein Austritt möglich ist. Ein getaufter Christ bleibt aus kirchliche­r Sicht immer ein Christ.

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Kölner Dom: Austrittst­ermine beim Amtsgerich­t ausgebucht
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Petersdom in Rom: Volk mit wenig Glauben?

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