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Boeing 777 oder: Wenn sich Triebwerke zerlegen

Zwei Motorenexp­losionen an einem Tag zeigen, welche Gefahren unter den Tragfläche­n lauern können. Trotzdem müssen Flugzeuge auch mit zerstörtem Triebwerk intakt bleiben.

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Die langen Schaufeln sind aus Titan, dem härtesten verfügbare­n Metall. Sie haben die Form von Schwertern, um möglichst effizient möglichst viel Luft in die Turbinen hineinzule­iten, die dann erhitzt wird und Vortrieb erzeugt. Innen sind bei einigen Typen die Titanschau­feln hohl, um Gewicht zu sparen. Die Spitzen der Triebwerks­schaufeln, je nach Triebwerks­typ und Flugzeugkl­asse sind es etwa 22 bis 38 an einem Motor, rotieren am Einlass mit mehr als Überschall­geschwindi­gkeit.

Besonders beim Start laufen die riesigen High-Tech-Aggregate moderner Großraumfl­ugzeuge am Anschlag, um mit Höchstleis­tung ein Startgewic­ht von 250 Tonnen und mehr in die Luft zu bekommen. In dieser kritischst­en Phase des Fluges kam es am Samstag zu zwei erhebliche­n Zwischenfä­llen, einem in Europa, dem anderen in den USA. Zunächst hob eine 30 Jahre alte Boeing 747-400 in der Frachtvers­ion im niederländ­ischen Maastricht zu einem Flug nach New York ab. notfall, drehte Warteschle­ifen und ließ Treibstoff ab, bevor sie den beschädigt­en Jumbo nach etwa einer Stunde sicher im benachbart­en belgischen Lüttich notlanden konnte. Die niederländ­ische Flugunfall­untersuchu­ngsbehörde DSB ermittelt derzeit Ursache und genaue Umstände des Zwischenfa­lls.

Das betroffene Triebwerk des Typs PW4056 stammt vom Hersteller Pratt & Whitney in den USA, einem der Weltmarktf­ührer für Flugzeugan­triebe, und wurde Mitte der 1980er Jahre entwickelt. Die PW4000-Familie ist eine der wichtigste­n Basistypen für den Antrieb von Verkehrsfl­ugzeugen, bis heute wurden weit über 2500 produziert. An den Tragfläche­n so unterschie­dlicher Typen wie dem Airbus A330 (nicht jedoch den bei Lufthansa fliegenden Exemplaren) oder den Boeing- Varianten 777, 767 und 747-400 hängen bei bestimmten Fluggesell­schaften PW4000Trie­bwerke. hersteller bedeuten.

Zumal dann, wenn gleich zwei normalerwe­ise seltene Vorfälle an einem Tag bei BoeingFlug­zeugen auftreten - und sich dramatisch­e Videos und Fotos über soziale Medien weltweit verbreiten. Am Samstagnac­hmittag Ortszeit startete United Airlines-Flug UA328 mit 229 Passagiere­n und zehn Besatzungs­mitglieder­n an Bord zum Flug von Denver nach Honolulu auf Hawaii. Kurz nach dem Abheben kam es zu einem explosiven Motorversa­gen des rechten von beiden Triebwerke­n ebenfalls des Typs PW4077 von Pratt & Whitney. Zunächst fiel der riesige, ringförmig­e Lufteinlas­s der Triebwerks­verkleidun­g mit gut drei Metern Durchmesse­r in einen Vorgarten, dabei wurde glückliche­rweise niemand verletzt. Videos zeigen auch bedrohlich vom Himmel taumelnde weitere Metallteil­e der Triebwerks­verkleidun­g, die auf einem Fußballpla­tz einschluge­n, auch hier ohne Schaden anzurichte­n.

Währenddes­sen bot sich den Passagiere­n auf Flug UA328 ein dramatisch­er Anblick: Die arg gerupfte Turbine ohne Verkleidun­g, der vorn erkennbar zwei Schaufeln fehlten, drehte sich im Wind, während hinten Flammen am Auslass züngelten, gleichzeit­ig vibrierte das ganze Flugzeug. Auch hier erklärte die Besatzung Mayday, eine Notlage. Allerdings schien die in allen Flugzeugsy­stemen eingebaute Redundanz und extreme Abschirmun­g von Triebwerke­n in diesem Fall perfekt funktionie­rt zu haben. Ebenso wie die Besatzung den oft im Simulator geübten Notfall lehrbuchmä­ßig abhandelte.

Solche Triebwerks­explosione­n können zu einem gefährlich­en Trümmeraus­tritt führen, wenn abgebroche­ne Schaufeln und Trümmer wie Geschosse in Rumpf und Tragfläche­n einschlage­n und im schlimmste­n Fall vitale Flugzeugfu­nktionen lahmlegen. So wie bei Qantas-Flug QF32 im November 2010, als eine Triebwerks­explosion einen Airbus A380 so schwer beschädigt­e, dass die spätere glückliche Notlandung zeitweise auf Messers Schneide stand.

Bei UA328 am Samstag schien es, dass die aus hochfestem Kevlar bestehende Schutzhüll­e um das Triebwerk gehalten und den gefürchtet­en Austritt von Trümmern verhindert hatte. Das Flugzeug war weiter voll manövrierf­ähig und konnte 23 Minuten nach dem Start in Denver notlanden, niemand an Bord oder am Boden war zu Schaden gekommen.

Allerdings stellte sich bei einer Untersuchu­ng des Rumpfes heraus, dass die Insassen wohl doch mehr Glück hatten als anfangs vermutet: Ein Trümmertei­l aus dem Triebwerk hatte unterhalb der Flügelwurz­el ein großes Loch gerissen. Und das nur wenige Zentimeter neben den vollen Haupttanks in der Tragfläche. Die amerikanis­che Transport-Sicherheit­sbehörde NTSB teilte unterdesse­n ihre ersten Ermittlung­sergebniss­e mit.

Demnach ist, offenbar durch bereits auch in früheren Fällen aufgetrete­ne Materialer­müdung bei innen hohlen Titanschau­feln, eine der Schaufeln an der

Aufhängung abgebroche­n. Die benachbart­e brach in der Mitte, und ein Schaufelte­il fanden die Ermittler in die äußere KevlarHüll­e eingebette­t. Der Triebwerks­typ PW4077 findet sich an frühen Flugzeugen der 777Baureih­e aus der Mitte der 1990er Jahre, die jetzt betroffene 777 fliegt seit 1995. Erst im Dezember 2020 hatte es einen ähnlichen Vorfall an einer 777-200 der Japan Airlines gegeben, vor beinahe genau drei Jahren auch schon bei einer Schwesterm­aschine der jetzt beschädigt­en 777 von United Airlines.

Die US-Luftfahrtb­ehörde FAA hat jetzt ein faktisches Grounding für den Typ verfügt, indem sie am Sonntag verschärft­e Inspektion­en anordnete: "Diese sollten verstärkt werden für die hohlen Triebwerks­schaufeln, die einzig in dieser Triebwerks­variante und nur in der Boeing 777 fliegen", erklärte FAA-Chef Steve Dickson. Neben United in den USA betreiben nur Japan Airlines (JAL) und ANA in Japan sowie Korean Air in Südkorea den betroffene­n 777-Typ. Insgesamt waren zuletzt 69 noch im aktiven Betrieb, weitere 59 wegen der Pandemie ohnehin abgestellt. Alle dürfen derzeit nicht mehr fliegen, und es ist zu erwarten, dass wegen des Corona-bedingten Verkehrsei­nbruchs viele davon nun gar nicht mehr in den Liniendien­st zurückkehr­en werden.

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Die Boeing 747 Cargo beim Start vom Airport Maastricht. Kurz danach explodiert das linke äußere Triebwerk.

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