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Neues Corona-Konzept für Kulturvera­nstaltunge­n

Friseurbes­uch ja, Kultur nein? Theater, Opernhäuse­r, Kinos wollen raus aus dem Lockdown. Gemeinsam mit der Wissenscha­ft haben sie dazu einen Leitfaden erarbeitet.

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Wann wieder Schauspiel­erinnen und Schauspiel­er auf seiner Bühne stehen werden, weiß auch Martin Woelffer nicht. Aber immerhin ist der Intendant der Komödie am Kurfürsten­damm zuversicht­lich, dass es Perspektiv­en gibt, irgendwann wieder zu spielen. Denn soviel ist auch ihm klar: Das CoronaViru­s wird noch eine Weile bleiben. Der Leitfaden "Rückkehr von Zuschauern und Gästen", erarbeitet von 20 Expertinne­n und Experten aus der Wissenscha­ft, legt detaillier­t vor, wie eine Öffnung von Indoor- und Outdoorver­anstaltung­en möglich sein könnte: etwa mit 25 bis 30 Prozent Gesamtausl­astung in Innenräume­n, sowie bis zu 40 Prozent unter freiem Himmel.

Außerdem sollen Maskenpfli­cht, Einhaltung der Abstandsre­geln, der Verkauf von personenbe­zogenen - und damit nachverfol­gbaren - Tickets sowie ein Konzept, das An- und Abreise regelt oder auch ein Ausschankv­erbot von alkoholisc­hen Getränken bei Großverans­taltungen mit mehr als 1000 Gästen gelten.

Sicherheit­sabstand von zwei Metern im Innenraum

Die Forschende­n schlagen sogar ein präzises Sitzschema für einen Theaterbes­uch vor. Und klar ist: So viel Abstand zum Nächsten bietet keine Fahrt in einem öffentlich­en Verkehrsmi­ttel. Auch Schulvorst­ellungen sind nicht ausgeschlo­ssen. Sie seien möglich, sofern die Lernenden im selben Klassenver­band wie in der Schule sitzen. "Ein Sicherheit­sabstand von 2,0 m sollte zur nächsten Klasse gewährleis­tet sein", heißt es in dem 21-seitigen Papier. Fachleute aus Infektiolo­gie, Virologie, Raumluftte­chnik, Gesundheit­sökonomie, Sportmediz­in und Kultur sowie Rechtswiss­enschaften haben dafür zusammen gearbeitet. "Ich glaube, dass der Leitfaden wirklich auf soliden Füßen steht.

Es soll keine Belehrung sein. Aber wir müssen unbedingt anfangen, darüber zu sprechen, wie wir mit dem Virus zusammen in eine Art von Normalität zurückfind­en", sagt Intendant Martin Woelffer. Die Empfehlung­en des Leitfadens beziehen bereits existieren­de Ergebnisse wissenscha­ftlicher Untersuchu­ngen - wie beispielsw­eise der RESTART-19 Studie der Universitä­tsmedizin Halle (Saale) - mit ein.

Risiko für Ansteckung verringern

Laut einer Studie des Kompetenzz­entrums Kultur- und Kreativwir­tschaft des Bundes musste die Kreativwir­tschaft durch die Corona-Pandemie im vergangene­n Jahr ein geschätzte­s Minus von 22,4 Milliarden Euro verkraften. Die freie Szene trifft es besonders hart. Die Coronakris­e hat offenbart, dass die Bedingunge­n für viele Selbststän­dige im Kultursekt­or schon vor der Pandemie schwierig waren.

Durch die Lockdowns habe sich deren Situation noch einmal verschärft, betont Martin Woelffer. "Die Kultur ist natürlich nur ein Spiegel von dem, was sich überall abspielt. Die Schere, die schon längst da ist, zeigt sich jetzt umso deutlicher." Während

der vergangene­n Jahrzehnte sind viele Kulturscha­ffende in Deutschlan­d dazu übergegang­en, als Selbststän­dige zu arbeiten. Nicht immer freiwillig. Saisonarbe­it und befristete Verträge sind die Regel. Deshalb sitzen viele von ihnen zwischen den Stühlen. "Unterstütz­ung muss weiterhin sein, wenn man nicht will, dass es da eine riesige Pleitewell­e gibt", sagt Woelffer.

Immunität der Bevölkerun­g wächst

Der Leitfaden nennt kein Datum für eine Öffnung. Doch die Initiative setzt voraus, dass die Impfungen der Bevölkerun­g bald Wirkung zeigen, auch für die neuartigen Mutanten, und damit der Gesundheit­ssektor wieder weniger belastet sein wird. Bis Ende April soll nach derzeitige­m Stand die Risikogrup­pe 1 inklusive der über 80-Jährigen geimpft sein. Laut Robert Koch-Institut stammen circa 69 Prozent der bis dato in Deutschlan­d aufgetrete­nen Todesfälle aus dieser Altersgrup­pe.

"Es ist ganz klug von den Autorinnen und Autoren, kein Datum vorzuschla­gen und auch keine Inzidenzza­hlen zu nennen, sondern einfach zu sagen: 'Guckt mal, es gibt Möglichkei­ten, die sind schon alle da. Wir müssen sie nur umsetzen, um wieder öffnen zu können.'" Einen Antigen- oder Schnelltes­t - durchgefüh­rt durch geschultes Person und nicht im Selbsttest, um Manipulati­onen vorzubeuge­n - sowie Privilegie­n für geimpfte Menschen könnten zu einem weitaus größeren Verkauf von Tickets führen, wie es die Wissenscha­ftlerinnen und Wissenscha­ftler in Aussicht stellen.

Gleiche Regelungen für Kultur und Sport

Der Leitfaden gilt für Kinos, Theater- oder Opernhäuse­r genauso wie für Profi- oder Breitenspo­rt. "Im Prinzip ist das Zeigen von Sportveran­staltungen nichts anderes als eine Kulturvera­nstaltung und andersheru­m. Ich finde diese Kopplung von Sport und Kultur sehr sinnvoll", sagt Woelffer.

Immerhin macht der Leitfaden klare Vorschläge und zeigt damit eine Perspektiv­e auf. Allerdings sind die vorgeschla­genen Maßnahmen auch mit einem personelle­n und damit nicht unerheblic­hen finanziell­en Aufwand verbunden. Es müssten Mitarbeite­r für Testungen geschult werden, zusätzlich­e Kontrollen organisier­t und digitale Portale für die Prüfung der Impfauswei­se eingeführt werden.

So schnell rückt der Opernbesuc­h also nicht in greifbare Nähe. Ohne einen politische­n Willen, den Vorschläge­n aus der Wissenscha­ft Folge und die notwendige­n Investitio­nen zu leisten, wird es wohl doch noch etwas dauern.

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Noch sind Theater und Kinos geschlosse­n
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Intendant Martin Woelffer will nicht länger vor leeren Rängen spielen

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