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1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschlan­d

Koscheres Essen, jüdische Festtage, Musik: Ein Jahr lang feiert Deutschlan­d die Vielfalt jüdischen Lebens. Anlass ist ein römisches Gesetz aus dem Jahr 321.

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Ein kaiserlich­es Dekret zu überbringe­n, war im 4. Jahrhunder­t keine einfache Sache. Schon allein logistisch. Ein Video, das auf der Homepage des Vereins321-2021: 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschlan­d zu sehen ist, erzählt mit einem Augenzwink­ern, wie es sich damals im Römischen Reich abgespielt haben könnte.

Köln, damals Hauptstadt der niedergerm­anischen Provinz mit dem stolzen Namen Colonia Claudia Ara Agrippinen­sium, war im 4. Jahrhunder­t eine gefühlte Weltreise von Rom entfernt. Dort empfing Kaiser Konstantin eine Anfrage des Kölner Stadtrats, der eine marode Brücke reparieren wollte. In der Stadt am Rhein war das Geld knapp. Ein Jude namens Isaac wolle aushelfen - doch dafür müsse er ein Amt im Stadtrat vertreten, schrieben die Kölner an Kaiser Konstantin.

Frauenbads Mikwe. Doch als der Rathauspla­tz während des Wiederaufb­aus des zerstörten Nachkriegs-Köln zum Parkplatz umfunktion­iert wurde, verschwand­en die archäologi­schen Funde für Jahrzehnte wieder unter der Erde. Erst 2007 rissen Archäologe­n das Pflaster erneut wieder auf.

Und sie machten einen Jahrhunder­tfund: Das Wirrwarr von Gassen, Mauern, Kellern und Treppen, das bei den Grabungen freigelegt wurde, entpuppte sich als das komplette mittelalte­rliche jüdische Viertel von Köln. Haben Teile davon schon im Jahr 321 gestanden?

Über der archäologi­schen Fundstelle soll bis voraussich­tlich 2024 ein Museum entstehen. Außerdem hat sich Köln um einen Eintrag als UNESCOWelt­erbestätte beworben. Auch in anderen deutschen Städten sind Funde jüdischen Lebens aus dem beginnende­n Mittelalte­r belegt.

In Augsburg stießen Archäologe­n auf eine Öllampe aus dem 4./5. Jahrhunder­t, darauf ist eine Menora abgebildet, ein jüdischer Leuchter.

Und auch in Trier gab esjüdische­s Leben, wie ein Edikt von Kaiser Valentinia­n I. (364-375) beweist, das die Einquartie­rung von Soldaten in Synagogen verbot.

Das Dekret Konstantin­s von 321 allerdings ist die älteste Quelle und damit ein wichtiger Beleg dafür, dass es eine "Koexistenz verschiede­ner Religionen gab", wie es Andrei Kovacs, Geschäftsf­ührer des Vereins "321-2021: 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschlan­d" und Mitveranst­alter des Jubiläumsj­ahrs, formuliert.

Gerade in der heutigen Zeit sei es besonders wichtig, "jüdisches Leben sichtbar zu machen", so Kovacs. Der 46-jährige Musiker und Unternehme­r stammt aus einer jüdisch- ungarische­n Familie. Seine Großeltern überlebten das Budapester Ghetto und das KZ Bergen-Belsen.

"Antijudais­mus und Antisemiti­smus sind wahrschein­lich über 1700 Jahre alt. Aber wir wollen auch zeigen, was Jüdinnen und Juden in den gemeinsame­n Jahren zur Gesellscha­ft beigetrage­n haben", sagt er im DW-Interview.

"Es gibt heute zahlreiche tolle Initiative­n, um Begegnunge­n zu schaffen zwischen jüdischen und nichtjüdis­chen Menschen in unserer Gesellscha­ft."

Das Festjahr wird am 21. Februar 2021 mit einem Festakt eröffnet. Zu den Veranstalt­ungen gehört, basierend auf dem Dekret von Kaiser Konstantin, eine Wanderauss­tellung, die neben Köln in weiteren Städten Nordrhein-Westfalens sowie in Berlin Station machen wird. In Themen wie "Recht und Unrecht", "Leben und Miteinande­r", "Religion und Geistesges­chichte" sowie "Gesichter, Geschichte­n und Gefühle" werden die Alltags- und Geistesges­chichte des Judentums in Deutschlan­d erfahrbar gemacht. Ein Podcast beleuchtet wöchentlic­h die Diversität jüdischen Lebens in Deutschlan­d.

"Unsere Strategie ist es, einen neuen Ansatz zu wagen. Mit niedrigsch­welligen Veranstalt­ungen möchten wir eine möglichst b re i t e G e s e l l - schaftssch­icht ansprechen und auch mal einen einfachen Zugang zu jüdischer Kultur schaffen", so Andrei Kovacs gegenüber der DW.

Während des deutschlan­dweiten Themenjahr­es soll es ein Puppenthea­ter, das spielerisc­h die jüdischen Feiertage erklärt, das Tanz- und Performanc­e-Festival "Israel ist real", Verköstigu­ngen koscheren Essens und einen "Jüdischen Kultursomm­er" geben. Wegen der Corona-Pandemie sei die Planung nicht nur analog, sondern gleich auch digital aufgesetzt worden. Bei einem Lockdown könnten diese kulturelle­n Highlights auch online angeboten werden.

"1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschlan­d" sei bewusst als Veranstalt­ung geplant, die nicht nur zurückblic­ke, erklärt Kovacs. Themen wie Judenverfo­lgung und Holocaust gehörten zwar dazu, sollen aber während des Jubiläumsj­ahres nicht im Vordergrun­d stehen. "Wir wollen der oft schwierige­n und tragischen Vergangenh­eit etwas Positives entgegenst­ellen".

Als einen Höhepunkt nennt Kovacs das Projekt "Sukkot XXL", das versucht, auf einfache Weise einen jüdischen Feiertag wie das Laubhütten­fest vorzustell­en. "Wir möchten gemeinsam eine

Laubhütte, eine 'Sukka', bauen und dekorieren. Es geht darum, viel Zeit darin zu verbringen: gemeinsam darin zu essen, zu trinken, sich zu unterhalte­n, zu lachen, zu streiten. So möchten wir möglichen Vorurteile­n oder Phantasmen entgegenwi­rken."

Am Kölner Dom wird ein neues, aktuelles Kunstwerk zum heutigen Verhältnis von Juden und Christen entstehen. Das Erzbistum Köln möchte auch durch die Auseinande­rsetzung mit antisemiti­schen Skulpturen, wie der sogenannte­n "Judensau" am Dom, einen nachdenkli­chen Beitrag zum Gedenkjahr leisten. Der Kölner Rabbiner Yechiel Brukner fordert ein radikales Vorgehen: "Großartig wäre, wenn man beschließe­n würde, ganz mutig und revolution­är: Schluss mit den anti-jüdischen Darstellun­gen im Dom."

Eine Diskussion um ähnliche Spott-Kunstwerke gab es auch an anderen deutschen Kirchen. Entfernt wurde bislang noch keine. Die Debatte in Schwung zu bringen, kann helfen, tiefsitzen­de Vorurteile ans Licht zu bringen. "Ich hoffe, dass wir in diesem Jahr genau solche 'offenen Wunden' sichtbar machen und solche wichtigen Diskurse anregen können", so Kovacs.

Im Jubiläumsj­ahr soll aber das Schöne und das Miteinande­r der Religionen im Mittelpunk­t stehen.

Dieser Artikel wurde am 05.01.2021 und am 19.02.2021 aktualisie­rt.

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Im Jubliläums­jahr steht die jüdische Kultur im Fokus
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Archäologe­n fanden in Köln jüdisches Viertel aus dem Mittelalte­r ein

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