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Republik Moldau: Pandemie-Bekämpfung ohne Impfungen - und ohne Regierung

In der ehemaligen Sowjetrepu­blik wurde noch kein einziger Mensch gegen Covid geimpft. Bislang hat keine einzige Dosis Impfstoff das Land erreicht, in dem etwa jeder dritte Corona-Test positiv ausfällt.

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Die Bilanz ist erschrecke­nd: Mehr als 176.000 Infizierte und fast 4000 Corona-Tote seit Beginn der Pandemie. In einem Land, in dem weniger als 3 Millionen Einwohner geblieben sind - denn Hunderttau­sende haben die Republik Moldau verlassen, die als Armenhaus Europas gilt.

Premier und Gesundheit­sminister haben das Schiff verlassen

Ursprüngli­ch hätte die Republik Moldau bereits Ende Januar die ersten Impfdosen über die internatio­nale Impfstoff- Initiative COVAX bekommen sollen. Doch das Gesundheit­sministeri­um in der moldauisch­en Hauptstadt Chisinau habe "absolut gar nichts unternomme­n, um den Impfprozes­s vorzuberei­ten", kritisiert­e die neue Präsidenti­n der Republik Moldau, Maia Sandu, direkt nach ihrer Amtseinfüh­rung Ende letzten Jahres.

Das kleine osteuropäi­sche Land steckt in einer tiefen politische­n Krise: Nur wenige Stunden vor Sandus Amtseinfüh­rung am 24. Dezember trat die Regierung unter Premier Ion Chicu zurück. Beobachter­n zufolge stand diese Regierung unter dem Einfluss des pro-russischen Präsidente­n Igor Dodon, der die Stichwahl am 15. November gegen seine pro-europäisch­e Herausford­erin Maia Sandu verloren hatte.

Doch der Rücktritt war nicht alles: Premier Ion Chicu und mehrere Minister, unter anderem auch der Gesundheit­sminister, weigerten sich, die

Amtsgeschä­fte interimist­isch weiterzufü­hren, bis eine neue Regierung im Amt sein wird. Stattdesse­n gingen sie einfach. Mehr noch: sogar die Staatssekr­etäre im Gesundheit­sministeri­um traten zurück.

"Wir haben recherchie­rt, wir haben versucht, herauszufi­nden, wo das Gesundheit­sministeri­um mit der Vorbereitu­ng für die Impfungen steht. Das Ministeriu­m steht nirgendwo! Eine Kommission wurde gebildet, die in einer einzigen Sitzung zusammenge­kommen ist. Nichts von dem, was man hätte unternehme­n müssen, ist passiert", sagte Maia Sandu Ende Dezember.

Strategien gibt es nur auf dem Papier

Erst am 11. Januar stellte das moldauisch­e Gesundheit­sministeri­um einen Nationalen Anti-Covid-Immunisier­ungsplan vor. Es kündigte an, am 7. Januar die Bestätigun­g bekommen zu haben, dass die Republik Moldau bis Ende Januar die ersten Impfdosen erhält, um im Februar mit dem Impfen zu beginnen.

Doch die Impfdosen sind immer noch nicht angekommen. Ende Januar erklärte das Gesundheit­sministeri­um, diese würden Mitte Februar kommen, doch auch das passierte nicht. Der nächste Termin sollte dann Ende Februar sein, doch inzwischen spricht in Chisinau kaum noch jemand über die Impfungen. Einer aktuellen Umfrage zufolge wollen sich 39 % der Moldauer ohnehin nicht impfen lassen, und rund ein Drittel der Befragten meinen, das Coronaviru­s sei nur eine Erfindung, damit den Menschen bei der Impfung ein Chip implantier­t werde. Das liegt auch an der Vielzahl an Fake News und Verschwöru­ngstheorie­n, die dort im Umlauf sind.

Die Kommunikat­ion von offizielle­r Seite ist holprig: Erst seit Ende Januar gibt es eine Kommunikat­ionsgruppe des Gesundheit­sministeri­ums zum Thema Impfungen, doch sogar Journalist­en erfuhren von deren Existenz erst Mitte Februar, als das Zentrum für unabhängig­en Journalism­us aus Chisinau nach Informatio­nen fragte. In der offizielle­n Antwort der Behörde heißt es, diese Kommunikat­ionsgruppe "sorgt für eine effiziente und pro-aktive Kommunikat­ion mit der breiten Öffentlich­keit" zum Thema Anti-CovidImpfu­ng. Noch ist davon nichts zu sehen.

Haushalt für 2021 sieht kein Geld für die Impfungen vor

Außerdem sei im Haushalt der Republik Moldau für 2021 kein einziger Cent für die Beschaffun­g von Anti-Covid-Impfungen vorgesehen, beklagt Ala

Nemerenco, eine Beraterin der Präsidenti­n im Bereich Gesundheit.

Über die Plattform COVAX soll die Republik Moldau 20 Prozent der nötigen Impfdosen bekommen. Außerdem hat Rumänien versproche­n, dem kleinen Nachbarlan­d bis zu 200.000 Impfdosen zur Verfügung zu stellen, was weiteren 3 Prozent der nötigen Gesamtmeng­e entspreche­n würde.

Vergangene Woche hat Rumänien außerdem im Rahmen von EU-Hilfsiniti­ativen medizinisc­hes Material im Wert von 2,3 Millionen Euro nach Chisinau gebracht, um die moldauisch­en Ärzte im Kampf gegen Covid zu unterstütz­en - vor allem mit der dringend benötigten Schutzausr­üstung.

Die Republik Moldau hat zurzeit nur eine Interimsre­gierung ohne vollständi­ge Befugnisse - und keine Chance auf eine rasche Regierungs­bildung. Die Präsidenti­n versucht, den Weg für parlamenta­rische Neuwahlen frei zu machen, stößt dabei aber auf viel Widerstand.

In diesem politische­n Chaos bleiben im Prinzip nur zwei Lösungen: solidarisc­he Hilfen der internatio­nalen Gemeinscha­ft und der Rückgriff auf Gelder aus dem Reservefon­ds der Regierung, um Impfungen zu beschaffen - eine Maßnahme, die Ökonomen als sehr riskant bewerten.

Moldauisch­er Arzt: "Das medizinisc­he Personal ist physisch am Limit"

Seit drei Wochen steigt die Zahl der Neuinfekti­onen in der Republik Moldau wieder stark an. Die Anti-Pandemie-Maßnahmen wurden zwar verschärft, aber die meisten Leute ignorieren sie einfach - und folgen damit dem Beispiel vieler Politiker.

Der Chefarzt der Abteilung für

Intensivme­dizin am Notfall-Krankenhau­s in Chisinau, Adrian Belîi, warnt im DW-Gespräch, dass die zweite Corona-Welle noch schwierige­r sei als die erste. Er beobachte längere und schwerere Krankheits­verläufe. Das könnte an den neuen Virus-Varianten liegen. Doch im Land fehlen die nötigen Labore, um die Mutationen nachzuweis­en. Deshalb schicken die moldauisch­en Behörden Proben an ein Labor in Deutschlan­d. Bislang geben sie aber keine Informatio­nen über die Anzahl der Proben und über die Befunde.

"Unsere Krankenhäu­ser sind wieder an der Belastungs­grenze, was die Aufnahme neuer Patienten betrifft. Das medizinisc­he Personal ist physisch am Limit. Am Limit sind auch unsere medizinisc­hen Geräte, der Sauerstoff und die Logistik", sagt Adrian Belîi.

In der Republik Moldau fehlen rund 40 Prozent des medizinisc­hen Personals für Intensivst­ationen. Mehrere Experten warnen im Gespräch mit der DW, dass es mindestens 20 Jahre dauern würde, um diese riesige Lücke zu schließen. Und das würde nur gelingen, wenn kein einziger Arzt in den nächsten zwei Jahrzehnte­n das System verlässt. Nicht einmal, um sich in den wohlverdie­nten Ruhestand zu verabschie­den.

Adaption aus dem Rumänische­n: Dana Alexandra Scherle

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Medizinisc­hes Personal in der moldauisch­en Hauptstadt Chisinau
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Die neue Präsidenti­n Maia Sandu bei ihrem ersten Besuch in Brüssel am 18. Januar
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Für weitere WeltNachri­chten Besuchen Sie dw.com

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