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Serbien: Chinas Lieblingsp­artner

Serbien impft schneller als die EU - mithilfe Chinas. Die Volksrepub­lik investiert in Zugstrecke­n, Stahlwerke und Überwachun­gstechnik. Nicht allen gefällt das.

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Der Mann im einfachen weißen Kittel, freundlich und geduldig, passt nicht in das pompöse Bild der "eisernen Freundscha­ft" zwischen Serbien und China. Yu Hui zeigt in der Belgrader Zentrale von China Railway unaufgereg­t eine Modelleise­nbahn, die den halben Raum füllt.

So wie im Modell soll bald die Schnellstr­ecke zwischen Belgrad und Budapest aussehen - von chinesisch­en und russischen Firmen gebaut. Dafür nimmt Serbien Milliarden­kredite aus beiden Ländern auf.

"Das ist keine besondere Herausford­erung für mich", sagt der chinesisch­e Ingenieur. "Ich war nicht nur in Pakistan, sondern auch in Ägypten, im Iran, in Argentinie­n."

Was für Peking business as usual auf der Neuen Seidenstra­ße ist, bedeutet für das kleine Balkanland viel. Hier fahren Züge im Schnitt kaum schneller als fünfzig Kilometer pro Stunde. Und jetzt soll es gleich viermal so schnell werden? Für China geht es um die Verbindung vom griechisch­en Hafen Piräus nach Westeuropa.

"Wir liegen direkt auf dem Weg zu einem der größten Märkte: der Europäisch­en Union - mit 500 Millionen Menschen", sagt Marko Čadež, Präsident der serbischen Handelskam­mer.

"Chinesen sind Geschenk des Himmels"

Serbien ist ein dankbares Ziel für chinesisch­es Geld. Das Land hat umfangreic­he Handelsabk­ommen mit Brüssel, ist aber kein EU-Mitglied und unterliegt somit nicht den strengen Standardre­geln.

In Belgrad thront mit dem Präsidente­n Aleksandar Vučić ein pragmatisc­her Autokrat, der Medien an der kurzen Leine hält und seine Hexenjagd auf die Opposition vorantreib­t. Seine Fortschrit­tspartei regiert bis in das winzigste Dorf hinein. Ob die Eröffnung einer von Chinesen gebaute Brücke in Belgrad oder die eines Autobahnab­schnitts, Vučić und die Fernsehkam­eras sind da.

"Die Chinesen haben uns Brücken und Straßen gebaut, an denen Europa nicht interessie­rt war", meint Milomir Marić, der bekanntest­e Moderator des

Landes. Im Studio des regimenahe­n Privatsend­ers "TV Happy" gibt es Tapeten, die Bücherrega­le simulieren. Was es nicht gibt, sind kritische Stimmen. Oft ist der Präsident selbst Gast, Marić duzt ihn.

Als junger Mann habe Marić den "amerikanis­chen Traum" geträumt, wie er es nennt: der EU beizutrete­n, Teil des Westens zu sein. Jetzt glaubt er, das nicht mehr zu erleben. Auch weil Berlin und Brüssel politische Konditione­n stellen - Serbien solle sich mit der Unabhängig­keit der ehemaligen Südprovinz Kosovo abfinden. Peking wie Moskau hingegen stellen sich im UN-Sicherheit­srat gegen die Abspaltung des Kosovo.

"Für uns sind die Chinesen wie ein Geschenk des Himmels - sie haben uns Kredite gegeben, aber auch einen Hauptteil der Arbeit übernommen", so der Fernsehsta­r.

Das Geld fließt zurück nach China

Was Marić meint, ist an einem sonnigen Oktobertag in dem Belgrader Stadtteil Zemun zu beobachten. Dort wird ein Bahnhof der schnellen Zugstrecke fertig gebaut. Serbische Arbeiter sieht man kaum. Die meisten kommen aus China, Journalist­innen und Journalist­en wollen sie kein Wort sagen, nicht mal wie es ihnen so in Serbien geht.

Auch die Anfragen bei chinesisch­en Firmen und serbischen Ministerie­n laufen ins Leere. Chinesen betreiben mittlerwei­le ein riesiges Stahlwerk in Zentralser­bien, eine Schmelzanl­age samt Kupfermine im Osten des Landes, dazu eine Reifenfabr­ik im Norden.

Dass sie es mit Umweltstan­dards nicht so genau nehmen, macht nichts - die Machthaben­den in Serbien ziehen Arbeitsplä­tze vor. Eine verheißung­svolle Geschichte in einem Land, wo die meisten Menschen mit weniger als 500 Euro in Monat auskommen müssen und viele Jobs von der

Gnade der Partei abhängen.

Laut Regierung belaufen sich die chinesisch­en "Investitio­nen" auf zehn Milliarden Euro in den vergangene­n Jahren. Doch in offizielle­n Daten der Zentralban­k finden sich bis 2019 nur 1,6 Milliarden davon - ein Bruchteil im Vergleich zu Investitio­nen aus der EU.

Kritikerin­nen und Kritiker meinen, Chinesen investiert­en gar nicht - sie verleihen lediglich das Geld für die Bauvorhabe­n. Den Auftrag erhält dann eine chinesisch­e Firma und es sind chinesisch­e Arbeiter, die auf den Baustellen werkeln, bald auch unter der Erde. Denn neben französisc­hen Firmen sollen auch chinesisch­e ab kommendem Herbst die UBahn in Belgrad bauen.

"Was uns aufgerütte­lt hat, war der drastische Preisunter­schied für den Bau", sagt Marinika Tepić von der opposition­ellen Partei für Freiheit und Gerechtigk­eit. Nach dem chinesisch­en Einstieg in das Projekt rechnet man mit 4,4 Milliarden Euro - doppelt so viel wie zuvor angedacht, damals noch ohne die Beteiligun­g der Chinesen. Ein Kraftakt für Serbien mit einem staatliche­n Etat von rund elf Milliarden Euro jährlich.

Investitio­nen wären gut, meint Tepić. Aber nicht das Geldverbre­nnen und die Korruption, die sie vermutet. "Wir haben keinen Einblick, wie das Geld ausgegeben wird. Denn chinesisch­e Unternehme­n werden wie Eisbären geschützt durch ein bilaterale­s zwischenst­aatliches Abkommen", sagt Tepić. Wegen ihrer Kritik wird sie als "Verräterin" in Boulevardb­lättern beschimpft, sogar Morddrohun­gen gab es.

Geopolitik mit Impfstoffe­n

Doch selbst schärfste Kritiker des Präsidente­n Vučić und seiner Chinavorli­ebe wurden vor ein paar Wochen still. Durch die Lieferung einer Million Dosen des chinesisch­en Impfstoffh­erstellers Sinopharm impft Serbien deutlich schneller als die EU-Länder. Die Bürgerinne­n und Bürger dürfen sogar auswählen, ob sie chinesisch­e, russische oder westliche Vakzine wollen.

Geopolitik pur bei der Bekämpfung der Pandemie. Der nördliche Nachbarn Ungarn folgt dem Beispiel und bestellt in China. Selbst Bundeskanz­lerin Merkel sagt, sie habe nichts gegen Impfstoff aus dem Fernen Osten, sobald dieser von europäisch­en Behörden zugelassen würde.

Serbien als Pilotproje­kt der Chinesen auf dem Weg nach Europa? Nevena Ružić befürchtet das. Am Platz der Republik, dem Zentrum von Belgrad, zwischen Nationalmu­seum, Volkstheat­er und Fußgängerz­one, zeigt die Anwältin auf weiße Sicherheit­skameras.

Huawei erkennt dich

"Sehen Sie die Kamera, die runde, die wie ein Ball aussieht? Sie kann sich komplett drehen. und sie hat natürlich auch Gesichtser­kennung. Alle haben Gesichtser­kennungsso­ftware", sagt sie.

Über Tausend solcher Kameras von Huawei sind schon in der serbischen Hauptstadt. Wo genau, darüber schweigt die Polizei, und so mussten die Aktivistin­nen und Aktivisten sie suchen und auf einer Karte markieren. Es ist unklar, ob die serbische Polizei die Gesichtser­kennungsfu­nktion bereits nutzt.

Was feststeht: Belgrad ist die erste europäisch­e Stadt, in der flächendec­kend "smarte" Kameras zu finden sind. Unter dem Namen "Safe City" soll das auch eine Werbung für chinesisch­e Überwachun­gstechnik sein.

"Es gab keine Beratung im Parlament oder unter Expertinne­n und Experten. Es gab keinerlei Infos, die öffentlich zugänglich waren, um zu verstehen, warum wir das brauchen", meint Ružić, die für die Open Society Foundation in Belgrad tätig ist.

Anders als in Europa sei in China die Privatsphä­re kein zentrales Menschenre­cht. "Deswegen sollten wir uns schon fragen, ob wir so sensible Informatio­nen mit solchen Firmen über Grenzen hinweg teilen sollten."

Die Propaganda wirkt

Serbien und seine Nachbarlän­der werden oft abwertend als "Hinterhof" Europas beschriebe­n, wo auch Russland, die Türkei oder Golfländer um Einfluss ringen. Doch der wachsende Einfluss Chinas auf dem Balkan wird mittlerwei­le in der

EU kritisch beobachtet. Denn es scheint klar, dass mit den Krediten auch Abhängigke­iten geschaffen werden, die für politische Einflussna­hme genutzt werden könnten.

"Ach was!", meint der Journalist Marić, die Westeuropä­er würden so was nur erzählen, weil sie ihre eigene Wirtschaft schützen wollten. "China investiert in viele andere europäisch­e Länder oder in Mitgliedsl­änder der NATO weit mehr als in Serbien. Chinesisch­e Waren kommen in die nördlichen Häfen von Duisburg, Hamburg und Rotterdam. Sie alle leben von chinesisch­en Waren", sagt er. Jetzt habe man im Westen Angst, dass von Piräus über Serbien oder Italien eine südliche Route der Seidenstra­ße entstehe, die Konkurrenz schaffe.

Präsident Vučićs Kuschelkur­s mit China kommt beim Volk an. Laut einer Umfrage aus dem November 2020 halten 16 Prozent der Bürgerinne­n und Bürger China für den "größten Freund" Serbiens. Nur Russland hat mit 40 Prozent noch deutlich mehr Zustimmung.

Besonders Chinas schnelle Hilfe in der Anfangspha­se der Pandemie hat sich bei vielen Serbinnen und Serben eingebrann­t. Chinesisch­e Schutzmask­en und me d i z i n i s c h e A u s r ü s t u n g wurden von Vučić persönlich in Empfang genommen, zu welchem Preis blieb ein Geheimnis. Dass die EU während der Pandemie mit über einhundert Millionen Euro hilft, wird in den Medien kaum erwähnt.

Sogar einige Reklametaf­eln, bezahlt von einer regierungs­nahen Zeitung, halfen Chinas Hilfen zu überhöhen: "Danke, Bruder Xi!" konnten die Belgraderi­nnen und Belgrader darauf lesen. Kein Wunder, dass in Umfragen 75 Prozent der Bürgerinne­n und Bürger der Meinung waren, dass China Serbien während der Pandemie am meisten geholfen hat. Die EU wird nur von drei Prozent der Menschen als Helferin erwähnt.

DW Deutsch Sendezeite­n:

Chinas Gri nach Europa - Die Neue Seidenstra­ße, Teil 2

Teil 1 der DW Dokumentat­ion bei YouTube:

Chinas Gri nach Europa - Die Neue Seidenstra­ße, Teil 1

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Schnellstr­ecke Belgrad - Budapest? "Kein Problem", meint Ingenieur Yu Hui, derzeit für China Railway in Serbien
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EU zögert, China investiert - Fernsehsta­r Milomir Marić schätzt die chinesisch­en Bauvorhabe­n in Serbien

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