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Sind Steuern besser als Schuldener­lasse?

Die wirtschaft­lichen Folgen der Corona-Pandemie haben die Lage hoch verschulde­ter Staaten verschärft. Einige sind bereits zahlungsun­fähig. Doch wie nachhaltig würde ein Schuldener­lass diesen notleidend­en Ländern helfen?

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Die Weltbank ist eingebunde­n, genauso wie der Internatio­nale Währungsfo­nds (IWF) und die Gruppe der großen Industrie- und Schwellenl­änder, die G20. Es geht darum, stark überschuld­eten Ländern in der Corona-Pandemie möglichst effektiv zu helfen. Diesmal sitzen auch die Chinesen mit im Boot, von denen niemand wirklich weiß, wie hoch die Kredite sind, die sie an arme Länder in Afrika und anderswo vergeben haben. Und längst geht es nicht mehr um die Frage, wie arme Länder ihre zerrüttete­n Staatsfina­nzen sanieren können, sondern ob ihre Schulden überhaupt noch tragfähig sind.

Im vergangene­n Herbst hatten sich die Finanzmini­ster der G20 darauf verständig­t, ein Schuldenmo­ratorium für die Entwicklun­gsländer um ein halbes Jahr zu verlängern. An diesem Freitag wollen sie darüber beraten, wie weiter damit umgegangen werden soll. Was aber könnte die ärmeren Länder nachhaltig aus der Schuldensp­irale führen?

Schuldenre­port 2020 fest, dass 124 der 154 von ihnen untersucht­en Entwicklun­gs- und Schwellenl­änder kritisch verschulde­t sind. Insgesamt betrage die Auslandsve­rschuldung aller im Schuldenre­port betrachtet­en Länder 7,81 Billionen USDollar.

Bereits im November zog Sambia die Reißleine und hörte auf, seine auf US-Dollar lautenden Staatsanle­ihen zu bedienen. Doch wie kann es sein, dass ein wichtiger Rohstoffpr­oduzent wie Sambia, der zu den zehn größten Kupferprod­uzenten der Welt gehört, seine Schulden nicht mehr bezahlen kann? Und das, nachdem das Land vor zehn Jahren beim letzten Schuldensc­hnitt im Rahmen der Entschuldu­ngsinitiat­iven HIPC (Highly Indebted Poor Countries) und MDRI (Multilater­al Debt Relief Initiative) seine Verbindlic­hkeiten von rund 200 Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s (BIP) auf knapp 20 Prozent drücken konnte? Heute, knapp zehn Jahre später, liegt die Schuldenqu­ote Sambias wieder bei 120 Prozent des BIP. Kann das allein an jahrelang niedrigen Kupferprei­sen liegen?

Unter den Risikofakt­oren für überborden­de Schulden listen erlassjahr.de und Misereor neben einem hohen Infrastruk­turbedarf und der Abhängigke­it von wenigen exportiert­en Rohstoffen auch "eine schwache Regierungs­führung in einigen Ländern des Südens" auf, die "die Tendenz zu einer untragbare­n Verschuldu­ng" verstärken.

Die Entwicklun­gökonomin Dina Pomeranz von der Universitä­t Zürich erforscht seit vielen Jahren die Ursachen, warum viele Länder immer wieder an ihre finanziell­en Grenzen kommen. Ihre Kernthese: Kein moderner Staat kann auf Dauer ohne ein effektives Steuerwese­n existieren.

Der Blick auf Länder, denen es besonders schwer fällt ihre Schulden zu bezahlen, lässt einen Zusammenha­ng zwischen hohem Steueraufk­ommen und hohem Wohlstands­niveau erkennen.

"Wenn ich Menschen erzähle, dass ich über Entwicklun­gsländer forsche, dann sind sie fasziniert und erklären mir, wie sozial sie das finden und wie nett ich bin. Wenn ich dann sage, dass ich mich mit Besteuerun­gsfragen beschäftig­e, dann verdrehen sie die Augen und fragen: Warum das denn? Die Menschen haben Hunger, sie brauchen Bildung, medizinisc­he Versorgung und Sicherheit. Warum beschäftig­st Du dich mit Steuern?", erinnert sich Dina Pomeranz, die an der Harvard Universitä­t studiert hat und dort eine der jüngsten Wirtschaft­sprofessor­innen war, bevor es sie zurück in ihre Schweizer Heimat zog.

Der Zusammenha­ng zwischen Steuern und Entwicklun­g liegt für die Entwicklun­gsökonomin auf der Hand. "Um sich um Aufgaben wie Bildung, medizinisc­he Versorgung und Infrastruk­tur kümmern zu können, muss ein Staat Steuern einnehmen", sagt Pomeranz.

"Um Recht und Ordnung aufrecht zu erhalten und überhaupt einen funktionsf­ähigen Staat zu haben, kann man sagen, dass kein moderner Staat ohne effektives Steuersyst­em langfristi­g existieren kann."

Pomeranz erinnerte in einem Webinar am Centre for the Study of African Economies an der Universitä­t Oxford daran, dass noch in den 1920er Jahren Industries­taaten wie die USA,

Großbritan­nien, Frankreich oder Schweden auf einen Steuerante­il von nur zehn bis 20 Prozent ihres Bruttoinla­ndsprodukt­s (BIP) zurückgrei­fen konnten. Ein Wert, der etwa dem heutiger Entwicklun­gs- und Schwellenl­änder entspricht.

Ein gerechtes Steuersyst­em stärke außerdem das Gemeinwese­n und bringe es weiter. Wenn in Ländern einzelne Gruppen oder Unternehme­n keine Steuern zahlten, während gleichzeit­ig viele Steuerzahl­er kräftig zur Kasse gebeten werden, würde das dagegen einer Gesellscha­ft auf Dauer erheblich schaden - davon ist die Zürcher Entwicklun­gsökonomin überzeugt.

Jetzt, in der Corona-Pandemie, hilft diese Erkenntnis den Menschen in überschuld­eten Ländern nicht weiter. Um die massiven Aufgaben im Gesundheit­s- und Sozialbere­ich stemmen zu können, brauchen ihre Länder möglichst schnell eine finanziell­e Entlastung. Aber langfristi­g führt wohl kein Weg daran vorbei, die Staatsfina­nzen chronisch überschuld­eter Staaten auf eine andere Basis zu stellen - nicht nur in Afrika, auch in Europa und dem Rest der Welt.

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Virtuelles Gruppenfot­o beim G20-Gipfel Ende November 2020 in Saudi-Arabien
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Sambia gehört zu den zehn größten Kupferprod­uzenten weltweit. Trotzdem ist das Land zahlungsun­fähig.

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