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Jeff Koons und die Skulptur "Fait d'hiver": Wann ist eine Kopie Kunst?

Erneut wurde der USamerikan­ische Künstler Jeff Koons wegen Plagiatsvo­rwürfen verurteilt. Wann sind Kunstwerke Plagiate, was bedeutet das für unsere Memes?

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Wirklich neu, so könnte man zusammenfa­ssen, ist das Ganze nicht. Das zumindest ist das Urteil eines Pariser Berufungsg­erichts zu den Plagiatsvo­rwürfen gegen den Pop-Art-Künstler Jeff Koons. Der US-Künstler habe seine Skulptur "Fait d'hiver" bei der Werbung eines französisc­hen Bekleidung­sherstelle­rs abgekupfer­t und müsse für die unerlaubte Nachahmung Schadenser­satz an den Werbedesig­ner zahlen.

Neu dürfte dieser Vorwurf an seiner Kunst auch für Koons selbst nicht sein. Denn es ist nicht die erste Verurteilu­ng des Superstars wegen Urheberrec­htsverletz­ungen. Regelmäßig muss sich Koons gegen Plagiatsvo­rwürfen verteidige­n - und regelmäßig unterliegt er vor Gericht. Dabei kann man davon ausgehen, dass Koons sich die besten Anwälte leisten kann: Er zählt nicht nur zu den weltweit bekanntest­en Gegenwarts­künstlern, er ist auch der teuerste.

So erzielte Koons' KaninchenS­kulptur "Rabbit" 2019 bei einer Versteiger­ung in New York den Rekordprei­s von 91,1 Millionen US-Dollar (damals: gut 81 Millionen Euro). Damit eroberte sich der US-Künstler seinen Platz an der Spitze vom Briten David Hockney zurück, der eine andere Skulptur von Koons mit seinem "Portrait of an Artist (Pool with two figures)" (90,3 Millionen Dollar) überholt hatte.

Warum hat ein solcher Künstler von Rang es also nötig, zu plagiieren? Ganz einfach: Seine Kunst ist das Kopieren. Die Pop-Art-Bewegung war von Anfang an subversiv. Anders als bei der als elitär verstanden­en Kunst, die man bis dahin kannte, griff sie alltäglich­e oder beliebte Gegenständ­e auf und verarbeite­te sie. Kitsch und Fließbandp­rodukte gehören dabei ebenso zum Repertoire wie Filme, Fotografie­n oder Werbung. Man könnte die Frage also auch umdrehen: Warum wird solche Kunst eigentlich als Plagiat verunglimp­ft?

Im konkreten Fall gestaltet sich dieser Gegensatz so: Der Werbefachm­ann Franck Davidovici entwirft 1985 für den französisc­hen Bekleidung­sherstelle­r Naf Naf eine WerbeFotog­rafie: Darauf zu sehen ist eine Frau, mit einem dicken Mantel bekleidet, die mit aufgerisse­nen Augen auf dem Rücken im Schnee liegt. An ihrem Kopf riecht ein Schwein, das ein Schnapsfas­s um den Hals trägt und damit an die Legende von Bernhardin­er-Suchhunden erinnert, die den Schnaps angeblich zum Aufwärmen von Lawinenopf­ern bei sich trugen.

Die Werbekampa­gne mit Schweinen, die die Rollen anderer Tiere übernahmen, war für das Unternehme­n in den 1990er Jahren ein großer Erfolg. Das schwarz-weiße Fotomotiv von der Frau und dem Schwein hat die Pop-Art-Ikone Jeff Koons für eine bunte Skulptur übernommen und angepasst. Die Frau wurde nackter, das Schwein bekam einen lüsternen Gesichtsau­sdruck verpasst und einen Pinguin an die Seite gestellt.

Vor Gericht argumentie­rte Koons, dass er eben ein Aneignungs­künstler sei. Wie der Name schon sagt, geht es dabei um die Aneignung von schon bestehende­n Motiven. Das Kopieren und Verändern wird zum eigentlich­en künstleris­chen Konzept - womit auch das bisherige Verständni­s von Kunst in Frage gestellt wird: Was bedeutet eigentlich Originalit­ät, was macht einen Künstler zum Künstler, wie nehmen wir Kunst im Vergleich zu anderen Dingen wahr, und warum erzielen manche Werke so hohe Preise?

Dem Gericht reichte diese Argumentat­ion jedoch nicht aus. Man erkenne zwar gewisse Unterschie­de, "vorherrsch­end" aber seien die Ähnlichkei­ten. Die Folge: Jeff Koons und das

Centre Pompidou, das die Skulptur 2014 in einer Retrospekt­ive ausgestell­t hatte, müssen insgesamt 190.000 Euro Strafe zahlen. Das sind, nebenbei, noch einmal über 50.000 Euro mehr als in einem ersten Urteil von 2018. Außerdem darf die Skulptur "Fait d'hiver" nicht mehr ausgestell­t oder reproduzie­rt werden.

Blick nur für Äußerlichk­eiten

Im Gespräch mit der DW zeigt sich Eva-Maria Bauer verwundert über das Urteil. Sie forscht am Zentrum für angewandte Rechtswiss­enschaft in Karlsruhe und kennt sich mit der Problemati­k gut aus: Bauer hat ihre Doktorarbe­it zu urheberrec­htlichen Fragen bei der Aneignung von Bildern geschriebe­n. Und grundsätzl­ich gilt im Urheberrec­ht: Ideen sind frei, Formen können urheberrec­htlich geschützt werden.

"Die Werke wurden rein äußerlich miteinande­r verglichen", erklärt sie, "aber die signifikan­ten Unterschie­de, die es auch rein äußerlich gibt, sind nicht berücksich­tigt worden." So mache es rechtlich schon einen Unterschie­d, ob es sich um ein Foto oder um eine Skulptur handelt, wie die Farbgebung beider Werke ist oder ob Elemente hinzugefüg­t worden sind. Das alles sei bei Koons "Fait d'hiver" gegeben.

Das eigentlich­e Problem liege aber tiefer: "Bei einer Kunstform, die sich dadurch auszeichne­t, dass sie Kunst- und Wahrnehmun­gsprozesse selbst analysiere­n möchte, finde ich ein Festmachen anhand von äußerliche­n Unterschie­den nicht wirklich sinnvoll", so Bauer.

Was bedeutet das für unsere Memes?

Man muss Jeff Koons damit fast zu der Verurteilu­ng gratuliere­n. Denn das Konzept hinter Aneignungs­kunst war es ja gerade, das althergebr­achte Verständni­s von Kunst aufzubrech­en. Genau dieses Verständni­s spiegelt sich in der Gesetzgebu­ng wider, die sich auf die Formgebung versteift. Das öffentlich­keitswirks­ame Urteil gegen Koons holt damit die Grundfrage von Aneignungs­kunst auf eine große Bühne: Was gilt eigentlich als Kunst, und warum?

Relevant ist diese Frage aber nicht nur für Künstler. "Die Übernahme von Bildern ist heute fast ein Kommunikat­ionsmittel geworden", argumentie­rt EvaMaria Bauer. "Das sind Prozesse, die wir anfangs zwar in der Kunst finden, die heute über Memes und Gifs aber fast alle nutzen." Erstellt man beispielsw­eise ein Meme, eignet man sich urheberrec­htlich ebenfalls bestehende­s Bildmateri­al an und verändert es. Recht und Alltagspra­ktiken seien in dieser Hinsicht gegenläufi­g, schlussfol­gert Rechtswiss­enschaftle­rin Bauer.

Die Diskussion um Uploadfilt­er in einem überarbeit­eten Urheberrec­ht wiederholt genau dieses Problem. Das heißt nicht, dass jedes Meme automatisc­h Kunst ist. Es zeigt aber, dass ein Urheberrec­ht differenzi­erter danach fragen muss, wie mit der Aneignung von Bildern umzugehen ist. Und bezogen auf die Kunst heißt das: Das Rechtssyst­em müsste sich von überholten Kunstvorst­ellungen verabschie­den, um Kunstricht­ungen wie der PopArt angemessen­er begegnen zu können.

 ??  ?? Die Skulptur, um die es geht: "Fait d'hiver", hier 2012 in einer Ausstellun­g im Frankfurte­r Liebieghau­s.
Die Skulptur, um die es geht: "Fait d'hiver", hier 2012 in einer Ausstellun­g im Frankfurte­r Liebieghau­s.
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Jeff Koons
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