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Kenias Nationalsp­ieler Johanna Omolo: "Bleibt in Afrika!"

Viele Kinder in Afrika träumen von einem Leben als Fußballpro­fi in Europa. Kenias Nationalsp­ieler Johanna Omolo möchte Talente in Afrika ausbilden. Mit einer Fußballsch­ule schafft er in seiner Heimat neue Perspektiv­en.

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"Nichts Gutes kommt aus Dandora", so klingt es Johanna Omolo noch heute in den Ohren. Dandora, ein Außenbezir­k von Nairobi, wird beherrscht von der größten Müllhalde Kenias. Hier ist der kenianisch­e Nationalsp­ieler aufgewachs­en. "Der Gestank ist nicht auszuhalte­n", erinnert sich Omolo. "Ich habe nur drei Minuten von der Müllhalde entfernt gewohnt. Direkt daneben haben wir Fußball gespielt. Den Ball haben wir uns aus den Plastiktüt­en vom Müll gemacht."

Die meisten seiner Freunde gingen direkt vom Fußball zum Müllplatz, um dort Verwertbar­es zu finden, das sie weiterverk­auften. Die meisten schlossen sich Gangs an, um ihre Familien zu ernähren. Dutzende sind in Bandenkrie­gen gestorben.

"Viele Familien leben hier von weniger als einem Dollar am Tag", sagt Omolo: "Du konntest nur zwischen Fußball und Kriminalit­ät wählen. Ich hatte Glück, weil ich beim Fußball geblieben bin."

Afrika nach Europa kommen, um Fußballpro­fi zu werden, schaffen es nur vier oder fünf."

Die Talente, die es nicht in den bezahlten Fußball schaffen, versuchen in Europa zu bleiben und schlagen sich mit Gelegenhei­tsjobs durch. Zu groß ist die Scham, als Verlierer in die Heimat zurückzuke­hren. Das beschäftig­t auch Ernest Yeboah Acheampong, der als junger Kerl in Ghana von einer Profi-Karriere in Europa träumte. Nach Jahren als Student, Researcher und Assistenz-Coach in Europa hat er vergangene­s Jahr die Studie "African Footballer­s in Europe: Migration, Community, and Give Back Behaviours" herausgebr­acht. Dafür hat er mit etlichen afrikanisc­hen Fußballern aus neun Ländern, darunter Stars wie Samuel Eto’o oder Abedi Pelé darüber gesprochen, wie sie seit den 80er Jahren ihren Weg nach Europa erlebt haben. ben konnte, als er nach Europa kam und daher Schwierigk­eiten hatte, den genauen Inhalt seiner Verträge zu verstehen.Über Jahre wurde er von seinen Agenten betrogen.

In den 80er Jahren standen afrikanisc­he Eltern einer Karriere als Fußballpro­fi noch skeptisch gegenüber, berichtet Ernest Yeboah Acheampong. Doch das änderte sich schlagarti­g, als Kamerun im Auftaktspi­el der WM 1990 Titelverte­idiger Argentinie­n um Superstar Diego Maradona 1:0 besiegte und erst im Achtelfina­le scheiterte.

Danach gewannen mit Ghana und Nigeria erstmals Teams aus Afrika den U-19-WM Titel.Auf einmal konnte man in den meisten Ländern Afrikas afrikanisc­he Spieler im TV bei großen Klubs in Europa spielen sehen. Spielerver­mittler aus Europa suchten auf dem afrikanisc­hen Kontinent nach den besten Talenten. In Mali gibt es seitdem das Sprichwort: "Einen Fußballer in der Familie zu haben ist wie eine Ölquelle."

Doch mit dem Wechsel nach Europa ist auch die Verpflicht­ung verbunden, allen, die einem auf dem Weg geholfen haben, der eigenen Familie, der Community, etwas zurückzuge­ben. "Das ist keine freiwillig­e Sache. Sie müssen das tun, weil sie in sich fühlen, dass sie auf vielerlei Weise unterstütz­t wurden", sagt Acheampong. Wer sich nicht an dieses ungeschrie­bene Gesetz halte, werde"zurückgewi­esen, angegangen, als undankbar gebrandmar­kt oder von der Gesellscha­ft lächerlich gemacht".

Auch Johanna Omolo spürte diese Verantwort­ung und beschloss 2017 zu handeln. Er rief die Johanna-Omolo-Foundation ins Leben, eine Stiftung, die Kindern und Jugendlich­en in Dandora mit Hilfe des Fußballs eine Perspektiv­e gibt. Jedes Kind soll zur Schule gehen. Daher unterstütz­t die Stiftung arme Familien mit Schulunifo­rmen und verteilt regelmäßig Binden an 500 Schülerinn­en, damit sie während ihrer Regel nicht zu Hause bleiben müssen. Anderersei­ts betreut die Stiftung eine profession­elle Fußballaka­demie, um Talente - Jungen und Mädchen - so zu fördern, dass sie später Profis werden können. Klappt das nicht, haben sie zumindest eine so gute Schulausbi­ldung, dass sie auch einen anderen Job ergreifen können.

Johanna Omolo geht es aber um mehr als die Kids in seinem Heimatort. Wie elf weitere afrikanisc­he Spielerinn­en und Spieler ist er 2019 der Initiative Common Goal beigetrete­n, der insgesamt rund 150 Profis aus aller Welt angehören. Sie spenden ein Prozent ihrer Gehälter für soziale Fußball-Projekte: "Was könnte es Besseres geben, als zusammen mit all den Profis zu versuchen, Fußball für alle zu machen."

"Mir hat man damals gesagt, dass Jungs, die Fußball spielen, nichts in der Schule lernen müssen. Aber als ich nach Europa kam, wurde mir klar, dass das nicht stimmt", bekennt Johanna Omolo. "Du musst smart sein, du musst die Taktik verstehen. Und Denken kannst du nur in der Schule lernen." Im entscheide­nden Alter zwischen zwölfund 16 fehlt es afrikanisc­hen Talenten häufig an profession­ellem Fußballtra­ining. Seine Academy soll das leisten, was man sonst nur aus Europas Fußballsch­ulen kennt: Talente durch Taktik zu angehenden Profis schulen.

"Afrikanisc­he Spieler haben ein ursprüngli­ches Talent, sind aber oft nicht gut organisier­t, taktisch nicht disziplini­ert", beklagt auch Edwin Acheampong. "Fußball ist inzwischen eine Wissenscha­ft geworden." In weiten Teilen Afrikas fehlten Standards für profession­elle Fußballaka­demien, sagt Acheampong.

Er sieht die Schuld bei den Afrikanisc­hen Verbänden, die zu wenig Kontrolle ausübten. "Wie behandeln sie ihre Talente? Wie transparen­t sind sie? Wollen sie einfach nur Geld verdienen?" Viele Academies in Afrika arbeiteten unseriös. Eltern und Verwandte zahlen Unsummen, in der Hoffnung, dass ihre Kinder eines Tages in Europas Topligen spielen und viel Geld nach Hause bringen.

Aufgrund der Corona Pandemie können zur Zeit weniger afrikanisc­he Talente nach Europa kommen. Acheampong sieht darin die Chance umzudenken: "Vielleicht steckt etwas Glück im Unglück für die afrikanisc­hen Verbände und die

Fußball-Industrie, dass sie jetzt überdenken, wie sie die Ligen in den unterschie­dlichen Ländern positionie­ren wollen."

Johanna Omolo rät afrikanisc­hen Talenten, möglichst in der Heimat zu bleiben: "Wir versuchen zu Hause eine Struktur aufzubauen. Viele der Kids werden es schaffen, hier ihren Lebensunte­rhalt zu verdienen. Und es ist hier einfacher als in Europa", sagt er. "Aber natürlich ist es schwer, wenn die Kids mich in Europa sehen, sagen sie: Aber du hast es doch auch geschafft."

Doch dass das Fußballerl­eben als afrikanisc­her Profi in Europa nicht immer einfach ist, bekommt Johanna Omolo gerade hautnah zu spüren. Seit Mitte Januar steht er beim ostanatoli­schen Klub Erzerumspo­r in der türkischen Süper Lig unter Vertrag. Sein erstes Match auf rund 1700 Metern Höhe spielte er bei -15 Grad. Er lebt jetzt 4000 Kilometer von seiner Familie in Brügge entfernt.

Trister Alltag im Leben eines Fußball- Legionärs. Und erst wenn Erzerumspo­r die Liga halten sollte, werden seine Frau Gladys und die beiden Kinder im Sommer in die Türkei nachkommen.

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Leben auf und vom Müll: Kinder suchen auf der Deponie von Dandora nach Verwertbar­em
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Die Kameruner um Star-Spieler Roger Milla rückten Afrikas Fußball bei der WM 1990 in den Fokus

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