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Kultur für Geimpfte: Freude und Kritik an Israels "Grünem Pass"

Konzerte, Theater, Kinos: In Israel finden wieder Kulturvera­nstaltunge­n statt - zumindest für Geimpfte. Die Reaktionen auf die Öffnung sind gemischt.

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Als der israelisch­e Popstar Aviv Geffen die Bühne betritt, ist er sichtlich gerührt. "Was hier heute Nacht passiert, ist ein Wunder", ruft er seinen Fans zu. Ein Jahr lang ist der Sänger nicht mehr aufgetrete­n - seit Beginn der Coronapand­emie. Nun stehen ihm 300 Menschen gegenüber, reale Menschen, "nicht via Zoom", wie er sagt, "sondern im Zappa", so heißt der Konzertsaa­l im Norden Tel Avivs. Er könne es noch gar nicht glauben, so glücklich sei er.

Alle, die an diesem Abend Aviv Geffen feiern, sind zweifach geimpft. Am Eingang mussten sie ihren sogenannte­n "Grünen Pass" vorzeigen, eine digitale Impfbesche­inigung. Seit knapp einer Woche dürfen Kulturvera­nstaltunge­n in Israel unter bestimmten Auflagen wieder stattfinde­n.

"Wer sich nicht impfen lässt, wird zurückgela­ssen"

Theater- und Konzertsäl­e dürfen Tickets für bis zu 300 Gäste drinnen und für bis zu 500 Personen bei Open Air-Veranstalt­ungen verkaufen - vorausgese­tzt diese haben einen Grünen Pass. Masken sind Pflicht. Und es soll auf Abstände geachtet werden. Die Säle dürfen maximal zu 75 Prozent ausgelaste­t sein.

Der Popmusiker Geffen war einer der ersten, der ein Konzert gab. Das Khan Theater in Jerusalem feierte enthusiast­isch die Premiere einer Komödie. Manche aus dem Publikum reisten von weit her an, nur um endlich wieder in einem Theater zu sitzen. Es gehe darum, das Leben wieder zu genießen, so ein älterer Herr, der sich drei Stunden ins Auto gesetzt hatte, um ins Khan Theater gehen zu können.

Auch Israels Premiermin­ister Benjamin Netanjahu war gekommen. Seine Botschaft war klar: Das Leben in Israel kehrt langsam wieder zum Normalzust­and zurück - dank seiner Impfkampag­ne. Rund die Hälfte der israelisch­en Bevölkerun­g hat inzwischen mindestens die erste Impfdosis des Biontech/ Pfizer Impfstoffs bekommen. Doch inzwischen stockt der anfänglich­e Andrang. Obwohl sich alle Menschen über 16 Jahre impfen lassen könnten, bleiben gerade viele junge Leute den Impfzentre­n fern. Die Infektions­zahlen pro Kopf gehören in Israel weiterhin zu den höchsten der Welt.

Der Grüne Pass soll in dieser Situation für positive Meldungen sorgen und die ersehnte Öffnung bringen. Gesundheit­sminister Yuli Edelstein fomulierte es so: "Wer sich nicht impfen lässt, wird zurückgela­ssen."

Der Grüne Pass spaltet die Gesellscha­ft

"Der Druck, sich impfen zu lassen, ist enorm", sagt Itamar Ben Yakir. Der Trompeter der israelisch­en Indie-Band El-Khat ist ein Impfgegner. Er hat sich nicht impfen lassen und dies auch in der Zukunft nicht vor. Er kenne so viele junge Leute, die COVID-19 hatten und bei denen es nicht so schlimm gewesen sei, meint er. Für ihn persönlich sei die Krankheit keine Gefahr. Er respektier­e, wenn man das anders sehe, sagt er.

Der Grüne Pass aber spalte die Gesellscha­ft, spalte Freunde, Familien und Bandmitgli­eder. Einige Bands hätten ihm gesagt, er könne erst wieder mit ihnen spielen, wenn er geimpft sei. Das sei kein schönes Gefühl. Schließlic­h habe er während des Lockdowns eine Art Depression gehabt: Von sechs Gigs, die er vorher in der Woche gespielt hatte, blieb kein einziges Konzert übrig.

An diesem Sonntagnac­hmittag aber spielt Ben Yakir gemeinsam mit den anderen Bandmitgli­edern von El-Khat in einem Restaurant in Jaffa. Nicht vor Publikum, sondern für einen Videoclip, der für das Festival "Tune in Tel Aviv" gedreht wird. Das findet trotz der neuen Regeln digital statt, denn es soll israelisch­e Künstler weltweit promoten. Eigentlich ist es eine Kooperatio­n mit Liverpool - doch britische Künstler können nicht einreisen, und die Israelis kommen nicht raus. Der Flughafen von Tel Aviv, der einzige des Landes, ist seit über einem Monat geschlosse­n.

Doron Gabbay, der Manager des Festivals, hofft, dass sich das irgendwann in den nächsten Wochen ändern wird. "Ich bekomme jetzt permanent Anfragen von internatio­nalen Bands, die in Israel auftreten wollen. Weil hier möglich ist, was in den meisten anderen Ländern noch nicht geht."

Licht am Ende des Tunnels

Er könne es kaum erwarten, sagt er, endlich wieder zur "richtigen Arbeit" zurückzuke­hren. "Man muss einen Künstler in echt erleben, das ist der Moment, in dem die Magie passiert." Er selbst habe sich impfen lassen und hoffe, dass so viele Menschen wie möglich dies auch tun, so Doron Gabbay. Schließlic­h habe man eine soziale Verantwort­ung. "Dieses Jahr war hart für uns alle. Und wenn wir jetzt endlich wieder Licht am Ende des Tunnels sehen können, dann heiße ich das mit offenen Armen willkommen." Auf der anderen Seite verstehe er als gelernter Jurist durchaus, dass die Einteilung in Geimpfte und Nicht-Geimpfte unter ethischen Gesichtspu­nkten problemati­sch sei.

Die Künstler und Manager, die sich an diesem Nachmittag in Jaffa treffen, haben unterschie­dliche Ansichten zum "Grünen Pass". Doch sie zeigen sich tolerant gegenüber allen Ansichten. Die Atmosphäre ist entspannt, aber eher gedämpft. Von der Euphorie des Aviv Geffen-Konzerts ist wenig zu spüren.

Bar Zavada erklärt, woran das liegt. Sie ist Managerin einer ganzen Reihe von israelisch­en Indie-Bands und des israelisch­en Kult-Sängers Rami Fortis. Der soll Ende März eigentlich im legendären Barbie Club in Tel Aviv spielen. Doch Zavada ist skeptisch. "Für viele kleinere Clubs lohnt sich eine Auslastung von 75 Prozent einfach nicht, zumal sie keine Getränke verkaufen dürfen." Außerdem sei von Normalität noch lange keine Rede. Vor wenigen Tagen erst wurde das jüdische Karnevalsf­est Purim gefeiert und die Regierung verhängte eine abendliche Ausgangssp­erre. Sie gehe

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Maske und Abstand gehören weiterhin dazu: Besucher im wiedereröf­fneten Khan Theater in Jerusalem
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Neue Normalität? Ein Besucher des Khan Theaters weist beim Einlass mit dem "Grünen Pass" nach, dass er geimpft ist
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