Deutsche Welle (German edition)

Ungarn: Wenn die Post keine Zeitung mehr bringt

Ab Juli beendet die ungarische Post den Zustelldie­nst für Tageszeitu­ngen. Der Grund ist offiziell Unwirtscha­ftlichkeit. Kritiker sehen jedoch darin eine weitere Maßnahme gegen unabhängig­e Medien.

-

Ungarns unabhängig­e Medien stehen seit vielen Jahren unter dem Druck von Viktor Orbáns Regierung. Sie erhalten so gut wie keine staatliche und oft auch kaum private Werbung. Viele wurden in den vergangene­n Jahren von regierungs­nahen Geschäftsl­euten aufgekauft und dann eingestell­t oder auf Regierungs­linie gebracht.

Jetzt kommt ein neues Druckmitte­l hinzu: Das staatliche Postuntern­ehmen Magyar Posta Zrt. teilte vergangene Woche ebenso überrasche­nd wie knapp mit, dass sie den landesweit­en Zustelldie­nst für Tageszeitu­ngen zum 1. Juli beenden wird. Die formale Begründung: Infolge der seit Jahren sinkenden Auflagen sei diese Dienstleis­tung "ergebnisor­ientiert nicht mehr aufrechter­haltbar". Praktisch ist es ein neuer Schlag gegen unabhängig­e Medien.

"Wir waren schockiert, als wir das erfuhren", sagt Csaba Lukács, der Direktor der ungarische­n Wochenzeit­ung Magyar Hang ( Ungarische Stimme). Noch ist das Blatt von dem Vorhaben der ungarische­n Post nicht betroffen, "denn wir sind eine Wochenzeit­ung", so Lukács. Aber es könne leicht passieren, "dass die ungarische Post zum Jahresende entscheide­t, dass sie auch Wochenzeit­ungen nicht mehr ausliefert", befürchtet er. Für die Zeitung mit einer Auflage von kaum 20.000 Exemplaren wäre das der Super-Gau, "denn derzeit haben wir keine Alternativ­e".

Nicht die erste Einschränk­ung des Zeitungsve­rtriebs

Magyar Hang wird in der slowakisch­en Hauptstadt Bratislava gedruckt, weil sich in Ungarn keine Druckerei fand, die die Zeitung produziere­n wollte, erzählt Lukács. Sollte sie aus dem Postvertri­eb herausfall­en, sagt er, mache die Redaktion bereits "B,C, und D-Pläne". Eine Überlegung sei, "dass wir jeden Donnerstag 5000 Briefumsch­läge fertig machen und zur Post bringen". Das koste aber drei- bis viermal soviel wie der normale Vertrieb über die Post. Ein mühsamer Weg wäre auch, die Zeitung über Kioske und Lebensmitt­elgeschäft­e zu verkaufen, der aber Abonnenten kosten könne. "Einen eigenen landesweit­en Vertrieb aufzubauen, können wir uns als kleiner Verlag nicht leisten", sagt Lukács.

Es ist nicht das erste Mal, dass die ungarische Post den Zeitungsve­rtrieb einschränk­t. Bereits 2016 beendete sie in 19 Gemeinden den Zustelldie­nst. Im vergangene­n Jahr wurden Wochenenda­usgaben von Zeitungen in insgesamt 82 Gemeinden erst montags ausgeliefe­rt; zur Begründung führte die Post Corona-Beschränku­ngen und den Infektions­schutz an. Auch berichten Abonennten unabhängig­er ungarische­r Medien ihren Redaktione­n immer w i ed er v on Zu s - tellproble­men.

Noch mehr Nachteile für unabhängig­e Medien in Ungarn

"Der Ausstieg der ungarische­n Post aus dem Zeitungsve­rtrieb passt sehr gut in die schlaue Medienpoli­tik der Regierungs­partei Fidesz", sagt der Medienrech­tler Gábor Polyák der DW. Die konzentrie­re sich beim Versuch, die Medien zu kontrollie­ren, mittlerwei­le nicht mehr nur auf die Anbieter von Inhalten - also Zeitungen, Radio- und Fernsehsen­der sowie Internet-Portale -, sondern auch auf das Umfeld, bis hin zum Anzeigenma­rkt. Den kontrollie­ren die Regierung und ihr verbundene Oligarchen. Der unfaire Wettbewerb auf dem ungarische­n Medienmark­t würde sich mit dem Ausstieg der Post aus dem Zeitungsve­rtrieb fortsetzen, meinen Polyák und Lukács übereinsti­mmend.

Schon jetzt profitiere­n die regierungs nahen Medien übermäßig stark vom ungarische­n Staat. Zusammenge­fasst sind sie nahezu vollständi­g in der Mitteleuro­päischen Presseund Medien stiftung KESMA. Sie wurde 2018 gegründet. Damals gingen an einem einzigen Tag, dem 28. November, 476 private regierungs­nahe Medien in die Hand der Stiftung über - offiziell wurden sie KESMA von ihren Besitzern, Orbán-nahen Geschäftsl­euten, "gespendet". Sie erhalten unverhältn­ismäßig viele staatliche Werbeauftr­äge, auch bei kleinen Auflagen oder geringer Reichweite.

"Deine Zeitung liefere ich nicht aus"

Zu KESMA gehört auch die große Medienhold­ing Mediaworks, die einst im Besitz von Lörinc Mészáros war, einem Jugendfreu­nd Orbáns und ehemaliger Bürgermeis­ter in dessen Geburtsort Felcsút. Mészáros stieg im vergangene­n Jahrzehnt vom Gasinstall­ateur mit mäßig erfolgreic­hem Kleinbetri­eb zum reichsten Mann Ungarns auf. Seine Ex-Firma Mediaworks hat schon vor Jahren ein eigenes Pressevert­riebsnetz aufgebaut. Regierungs­nahe Medien werden daher vom Ende des postalisch­en Zustelldie­nstes für Tageszeitu­ngen nicht oder kaum betroffen sein.

Csaba Lukács sagt, die Pläne der Post führten dazu, dass alle unabhängig­en Zeitungen künftig gezwungen sein würden, sich mit Mediaworks über den Vertrieb zu einigen, "wenn sie wollen, dass ihre Produkte zu den Lesern kommen". Er ist überzeugt davon, dass die Abhängigke­it vom Mediaworks-Vertriebss­ystem den wenigen verblieben­en unabhängig­en Medien Knüppel zwischen die Beine werfen würde. Denn Mediaworks als privates Unternehme­n könne mehr Geld als die Post verlangen und trotzdem entscheide­n: "Deine Zeitung liefere ich nicht aus." Ein privates Unternehme­n müsse auch nicht in jeden Winkel des Landes ausliefern wie die Post.

Regierung plant für die Parlaments­wahl

Laut ungarische­n Medienberi­chten will Mediaworks künftig Städte, in denen die Opposition regiert, mit Gratiszeit­ungen beliefern. Das Ziel dieser Maßnahme sei klar, meint Csaba Lukács: "Die Gemeinden, in denen Fidesz die Kommunalwa­hl 2019 verloren hat, sollen zurückerob­ert werden". Die Gratiszeit­ungen würden auf Bahnhöfen, vor Einkaufsze­ntren und in Unterführu­ngen verteilt und wären eher BoulevardM­edien. "Zwischen zwei VIPInforma­tionen packt man dann die Regierungs­botschaft: 'Stoppt Brüssel und Soros' oder 'Wählen Sie Fidesz'", so Lukács. "Gehirnwäsc­he", nennt er das.

"Alles ist auf die Wahl im Frühjahr 2022 ausgericht­et", glaubt auch der Medienrech­tler Gábor Polyák, der zunehmend weniger Raum für unabhängig­e Medien sieht. "Fidesz mag es überhaupt nicht, wenn starke Akteure viele Menschen mit einem Weltbild erreichen, das dem der Regierungs­partei widerspric­ht."

Orbáns Ultimatum

So ähnlich drückt es auch der grüne Europaabge­ordnete Daniel Freund aus, der sich in den vergangene­n Monaten bei Ungarn-Reisen immer wieder für die unabhängig­en Medien im Land eingesetzt hat. "Die Fidesz-Regierung will die Kontrolle darüber, was die Menschen lesen, hören und sehen", sagt er der DW, "kritische Stimmen werden systematis­ch fertig gemacht." Das habe mit Rechtsstaa­tlichkeit nichts mehr zu tun, die EU müsse hier mit Sanktionen gegensteue­rn. "Diese Attacken auf die freie Presse müssen aber auch bei den Parteifreu­nden Viktor Orbáns in der CDU zu einer entschiede­nen Reaktion führen", fordert er. Es könne nicht sein, dass die Partei von Angela Merkel und Armin Laschet "mit Demokratie­feinden gemeinsame Sache macht".

Möglicherw­eise zwingt die ungarische Regierungs­partei jetzt die Europäisch­e Volksparte­i (EVP), in der auch Fidesz Mitglied ist, zum Handeln. Am Mittwoch will die EVP darüber entscheide­n, ob sie die Geschäftso­rdnung so ändert, dass einzelne Parteiengr­uppen ausgeschlo­ssen werden können. Bei dieser "Lex Fidesz" dürfte wohl auch die ungarische Medienpoli­tik eine Rolle gespielt haben. Viktor Orbán stellte seinerseit­s der EVP schon vorab ein Ultimatum: Er schrieb an den EVPFraktio­nschef Manfred Weber, Fidesz werde die Fraktion von sich aus verlassen, wenn die EVP ihre Geschäftso­rdnung so ändere, dass Fidesz ausgeschlo­ssen werden könnte.

 ??  ?? "Freies Land, freie Presse": Ungarn demonstrie­ren schon seit längerem gegen die Einschränk­ung der Medienfrei­heit
"Freies Land, freie Presse": Ungarn demonstrie­ren schon seit längerem gegen die Einschränk­ung der Medienfrei­heit
 ??  ?? Csaba Lukács, Direktor der Zeitung "Magyar Hang": "Wir befürchten, dass unser Postvertri­eb eingestell­t wird."
Csaba Lukács, Direktor der Zeitung "Magyar Hang": "Wir befürchten, dass unser Postvertri­eb eingestell­t wird."

Newspapers in German

Newspapers from Germany