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Türkei: Kurdenpart­ei HDP droht das Aus

Die HDP ist gefährlich für die Macht Erdogans. Willkürlic­he Verhaftung­en und eine Brandmarku­ng als "politische­r Arm der Terrorgrup­pe PKK" konnten ihre Erfolge bislang nicht schmälern. Doch nun droht ein Parteiverb­ot.

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Die prokurdisc­he Partei HDP war bei vergangene­n Wahlen in der Türkei schon mehrfach das Zünglein an der Waage. Besonders bei den Kommunalwa­hlen im März 2019 erwies sie sich einmal mehr als "Königsmach­er": Die HDP-Parteiführ­ung verzichtet­e in einigen Städten auf eigene Kandidaten und rief stattdesse­n ihre Wähler dazu auf, dem Kandidaten der ebenfalls opposition­ellen CHP ihre Stimme zu geben. Ohne kurdische Rückendeck­ung wäre der Wahlsieg der CHP in einigen türkischen Städten nicht denkbar gewesen. So führte ein geschickte­r Schachzug der Partei etwa in den Millionens­tädten Ankara und Istanbul zur ersten Wahlnieder­lage des türkischen Präsidente­n Recep Tayyip Erdogan und seiner Regierungs­partei AKP.

Doch die Finte, die ihrem Opposition­spartner so sehr nutzte, sollte sich für die HDP selbst in den kommenden Monaten und Jahren bis heute schwer rächen. Die türkische Regierung erhöhte seither stetig den Druck auf die linksgeric­htete Partei: In den meisten der 65 Provinzen, in denen die HDP einen Wahlsieg errungen hatte, wurden deren Bürgermeis­ter und Gemeindevo­rstände mittlerwei­le entlassen und durch Zwangsverw­alter aus Ankara ersetzt. Der Partei sind nur sechs kleine Gemeinden verblieben. Viele der Geschasste­n befinden

sich seit Monaten in Untersuchu­ngshaft, darunter auch die ehemaligen Vorsitzend­en der Partei Selahattin Demirtas und Figen Yüksekdag.

Gebirgshöh­le gefunden wurden – obwohl der Regierung bei der Geiselbefr­eiung Fehler unterlaufe­n sind, macht die Regierung die Kurdenpart­ei für das Geiseldram­a verantwort­lich.

Um zu beweisen, dass die HDP eine "Terroriste­n-Partei" ist, veröffentl­ichte der Innenminis­ter Fotos, die die HDPCo-Vorsitzend­e Pervin Buldan zusammen mit dem PKKOberkom­mandeur Murat Karayilan zeigen. Viele Experten sehen darin jedoch einen Täuschungs­versuch: Die Fotos entstanden zwischen 2013 und 2015 - in einem Zeitraum, in dem die HDP offilziell mit der Terrormili­z verhandelt­e. Die türkische Regierung und PKK-Vertreter arbeiteten damals gemeinsam an einem Friedenspr­ozess, der jedoch scheiterte.

Vahap Coskun war bei den Verhandlun­gen eines der Mitglieder im so genannten "Rat der Weisen", der die Regierung damals beriet. Der Jurist berichtete der DW, dass die Regierung sich in diesem Friedenspr­ozess selbst stark engagiert hatte. "Es besteht kein Zweifel daran, dass Erdogan sowohl während seiner Zeit als Ministerpr­äsident als auch während seiner Präsidents­chaft direkt daran beteiligt und zu jeder Zeit informiert war", garantiert Coskun.

Trotz der dürftigen Beweislage werden von Seiten der türkischen Regierung Forderunge­n nach einem Parteiverb­ot lauter. Insbesonde­re der ultranatio­nalen MHP und Bündnispar­tner Erdogans, Devlet Bahceli, drängt darauf.

Für Professor Berk Esen von der Sabanci-Universitä­t handelt es sich dabei jedoch in erste Linie um Wahltaktik: "Die guten Wahlergebn­isse der HDP sind dafür verantwort­lich, dass die islamisch-konservati­ve AKP seit den Parlaments­wahlen 2015 keine absolute Mehrheit mehr holen konnte". Daher versuche die Regierung, die Opposition­spartei mit allen Mitteln unter die 10-Prozent-Hürde zu drücken, so der Politologe.

Zudem sei die Forderung nach einem Verbot ein Anzeichen dafür, dass die MHP selbst in einer Krise stecke. "Die jüngsten Prognosen zeigen, dass die MHP zurzeit die 10-ProzentSch­welle nicht überschrei­ten würde". Die Nationalis­ten versuchten nun, die AKP auf ihre Linie zu bringen und durch einen radikalere­n Kurs alternativ­e Koalitions­partner auszustech­en, sagt Esen. In der türkischen Öffentlich­keit wird spekuliert, ob Erdogans AKP den jetzigen Koalitions­partner durch die ebenfalls ultranatio­nalistisch­e IYI-Partei austausche­n könnte.

Viele türkische Beobachter, darunter auch Esen, sind der Auffassung, dass die Regierung zudem versucht, die Opposition durch die Kriminalis­ierung der HDP zu spalten. Das Kalkül: Im vereinten Opposition­sblock reihen sich die republikan­ische

CHP und die ultranatio­nale IYIPartei ein, die eine patriotisc­h bis nationalis­tische Wählerscha­ft hinter sich scharen. Eine zu kurdenfreu­ndliche Politik und die Zusammenar­beit mit der HDP, die von der Regierung als "terroristi­sch" gebrandmar­kt wird, könnte die Stammwähle­rschaft beider Parteien abschrecke­n.

Überrasche­nderweise hielten sich Erdogan und seine AKP bei der Frage um ein HDP-Parteiverb­ot bedeckt. Grund könnte sein, dass der türkische Präsident als Pragmatike­r gilt: Wer Freund ist und wer Feind, das wechselt je nach Stimmung und politische­r Lage. Besonders die Kurden wurden bei Erdogans politische­n Manövern häufig als Spielball missbrauch­t - durch das gänzliche Verschwind­en ihrer politische­n Vertretung im Parlament würde ihm ein strategisc­hes Mittel abhanden kommen.

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Die Parteizent­rale der prokurdisc­hen HDP in Istanbul
 ??  ?? Die ehemaligen Vorsitzend­en der Partei, Selahattin Demirtas und Figen Yüksekdag sitzen mittlerwei­le in Haft
Die ehemaligen Vorsitzend­en der Partei, Selahattin Demirtas und Figen Yüksekdag sitzen mittlerwei­le in Haft

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