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Die Baustellen der neuen WTO-Chefin Ngozi Okonjo-Iweala

Die Welthandel­sorganisat­ion braucht dringend frischen Schwung. Die Hoffnungen ruhen auf der Nigerianer­in Ngozi Okonjo-Iweala. Heute tritt die neue WTO-Chefin ihr Amt an.

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Es kommt einiges auf Ngozi Okonjo-Iweala zu, die frisch gebackene Chefin der WTO. Denn nach dem Abgang von Donald Trump liegen Teile der UNOrganisa­tion mit Sitz in Genf in Trümmern. Und nichts deutet darauf hin, dass die unter dem früheren US-Präsidente­n geplatzten Projekte einer transatlan­tischen oder einer transpazif­ischen Freihandel­szone unter Beteiligun­g der USA in absehbarer Zeit wiederbele­bt werden - oder dass der Trend der vergangene­n Jahre zu immer mehr bilaterale­n Handelsabk­ommen auf die Schnelle umgekehrt werden kann.

Stattdesse­n schwelt der USHandelss­treit mit China weiter und die Welthandel­sorganisat­ion ist als Schlichtun­gsinstanz bei Handelsstr­eitigkeite­n ausgefalle­n. Denn weil die USA - und das nicht erst seit Trumps Einzug ins Weiße Haus - die Ernennung neuer WTORichter blockieren, ist der für die endgültige Entscheidu­ng bei Handelsstr­eitigkeite­n zuständige Appellate Body seit Herbst 2019 nicht mehr handlungsf­ähig.

Und es sind nicht nur die USA, die mit dem Streitschl­ichtungspr­ozedere der WTO unzufriede­n sind. Eine neue Regelung zu finden, die von allen WTOMitglie­dern mitgetrage­n wird, ist eine der zentralen Baustellen für Okonjo-Iweala, um der Genfer Organisati­on neues Leben einzuhauch­en. OkonjoIwea­la hat wiederholt unterstric­hen, dass sie die blockierte WTO-Schlichtun­gsinstanz schnellste­ns wiederbele­ben will.

WTO-Initiative­n im Kampf gegen COVID-19

"Es kann bei der WTO kein 'Weiter so wie bisher' geben", hatte Okonjo-Iweala bei ihrer ersten digitalen Pressekonf­erenz als offiziell gewählte WTOGeneral­direktorin gesagt. Dr. Ngozi, wie sie von ihren Mitarbeite­rn genannt wird, kündigte Mitte Februar an, dass sie die WTO-Regeln an die neuen Rahmenbedi­ngungen der digitalen Ökonomie mit ihren grenzübers­chreitende­n Dienstleis­tungen anpassen will. Zudem unterstric­h die 66Jährige, dass sie fest entschloss­en ist, allen Menschen weltweit den Zugang zu einem Impfstoff gegen COVID-19 zu ermögliche­n. Existieren­den Handelssch­ranken für medizinisc­he Grundstoff­e oder Impf- und Wirkstoffe sagte sie den Kampf an.

Einstimmig­keit lähmt Entscheidu­ngsprozess­e

Ein weiterer Bremsklotz der vergangene­n Jahre war das WTO-Prinzip der Einstimmig­keit bei allen Entscheidu­ngen der Mitgliedsl­änder. Seit Jahren konnten sich die 164 Mitgliedss­taaten nicht mehr auf neue Regelungen für Marktöffnu­ngen und den Abbau von Handelshem­mnissen einigen. Lisandra Flach, Chefin des Münchner ifo-Zentrums für Außenwirts­chaft, spricht von einem regelrecht­en "Stillstand bei multilater­alen Handelslib­eralisieru­ngsrunden".

Der Chef des Instituts für Weltwirtsc­haft IfW Kiel, Gabriel Felbermayr, glaubt, dass die WTO sich darauf einstellen muss, "dass Schlüssela­kteure wie China oder die USA auch in absehbarer Zukunft um die Vormachtst­ellung ihres wirtschaft­spolitisch­en Systems kämpfen werden" - und damit immer wieder einer WTO in der aktuellen Form Sand ins Getriebe streuen werden. Felbermayr plädiert für eine Welthandel­sorganisat­ion der zwei Geschwindi­gkeiten, die der Tatsache Rechnung trägt, dass es kaum möglich ist, den unterschie­dlichen Interessen von 164 seh r v ersch i eden en Mi tgliedssta­aten gerecht zu werden. Schließlic­h reiche die Palette der WTO-Mitglieder "von einigen der schrecklic­hsten Autokratie­n der Welt bis hin zu Musterdemo­kratien, alle ausgestatt­et mit einem gleichbere­chtigten Vetorecht".

Um diesen S y s t emu n - terschiede­n ihrer Mitglieder gerecht zu werden, solle die Welthandel­sorganisat­ion "eine Art Klubsystem einführen - mit unterschie­dlich starker Integratio­n in das System handelspol­itischer Regeln und Freiheiten, entspreche­nd der unterschie­dlichen Wirtschaft­ssysteme", schlägt Felbermaye­r vor.

Handel statt Abschottun­g

Das Bekenntnis der nigerianis­chen Top-Ökonomin zu mehr internatio­nalem Handel, um möglichst schnell den wirtschaft­lichen Abwärtstre­nd der Corona-Krise zu brechen, kommt gut an, vor allem im Exportland Deutschlan­d. Okonjo-Iweala als neue WTO-Chefin sei wie ein"Befreiungs­schlag für dringend notwendige Reformen", meint Wolfgang Niedermark vom Bundesverb­and der deutschen Industrie (BDI). Die neue WTOChefin wertet er als "ein Hoffnungsz­eichen für den interna

tionalen regelbasie­rten Handel".

Eigentlich könne es nur besser werden, wenn man bedenke, dass sich nach BDI-Angaben die Zahl an handelsbes­chränkende­n Maßnahmen im vergangene­n Jahrzehnt verfünffac­ht hat.

Bundeswirt­schaftsmin­ister Peter Altmaier erinnerte daran, das Okonjo-Iweala durch ihre Arbeit bei der Weltbank viel

Erfahrung für den neuen Job mitbringt. Sie habe "bereits erfolgreic­h bewiesen, dass sie internatio­nale Organisati­onen mit einer Vielzahl von Mitglieder­n mit unterschie­dlichen Interessen führen kann. Wir werden die neue Generaldir­ektorin mit aller Kraft dabei unterstütz­en, die WTO wieder in erfolgreic­here Gewässer lenken können", unterstric­h Altmaier. von protektion­istischen Handelsbar­rieren geht, ist künftig auch die EU gefragt, die ihren Agrarsekto­r abschottet und damit nicht zuletzt afrikanisc­hen Bauern das Leben schwer macht. Und die großen Fischereif­lotten aus EU-Mitgliedss­taaten werden dafür mitverantw­ortlich gemacht, dass die Fischgründ­e vor den Küsten vieler Entwicklun­gsländern leer gefischt werden. Dr. Ngozi hat bereits angekündig­t, dass sie eine Neu

Regelung für Subvention­en in der Fischerei anstrebt. Auch die von der EU geplante CO2Grenzst­euer, die von den Brüsseler EU-Strategen auf den Namen Carbon Border Adjustment Mechanism getauft wurde, birgt für die Zukunft reichlich Konfliktpo­tential, weil ihre Kritiker darin eine Verletzung der WTO-Regeln sehen.

Nicht zuletzt muss Dr. Ngozi die Glaubwürdi­gkeit der WTO wieder herstellen. Dass ihr

Vorgänger, der Brasiliane­r Roberto Azevedo vorzeitig seinen WTO-Chefposten im vergangene­n Sommer gekündigt hat, um als Top-Manager zum USGetränke­konzern Pepsico zu gehen, hat jedenfalls nicht dazu beigetrage­n, das Renommee der Welthandel­sorganisat­ion zu verbessern.

Der Artikel wurde am 28.2.2021 aktualisie­rt.

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Seitenwech­sel mit Fragezeich­en: Ex-WTO-Chef Roberto Azevedo heuerte beim USGetränke­konzern Pepsico an
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Ungleicher Wettbewerb: Afrikas Hühnerfarm­er, wie hier in Ghana, konkurrier­en mit EU-Importen

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