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COVAX: Wie Impfungen in Entwicklungsländern der ganzen Welt helfen
Ghana erhält als erstes Land Impfstoff aus dem UN-geführten COVAX-Programm. Vom Erfolg der Impfkampagnen in Entwicklungsländern hängt auch die wirtschaftliche Erholung der Spenderländer ab.
Am Mittwoch ist die erste Impfstoff-Lieferung aus dem internationalen COVAX- Programm in Ghana eingetroffen. Das Land ist das erste von 20 afrikanischen Staaten, die im Laufe der Woche die Ausrüstung für den Kampf gegen COVID-19 erhalten sollen. Mit COVAX will die internationale Gemeinschaft, angeführt von den Vereinten Nationen und finanziert von den wohlhabenderen Ländern, insgesamt zwei Milliarden Impfdosen an 92 Länder mit niedrigen und mittleren Einkommen verteilen.
Trotzdem sieht sich der Westen Anschuldigungen von "Impf- Nationalismus" ausgesetzt, weil die reicheren Länder die Impfung ihrer eigenen Bevölkerung priorisieren, um die Abertausenden Geschäfte und Unternehmen wieder in Gang zu bringen, die durch die Lockdown-Maßnahmen an den Rand des Bankrotts getrieben wurden.
Ngozi Okonjo- Iweala, die neue Chefin der Welthandelsorganisation (WTO), hat die Europäische Union und die Vereinigten Staaten dafür kritisiert, dass sie mit Exportkontrollen für Impfstoffe die Impfkampagnen im Inland vorantreiben wollten. In einem Interview mit der Nachrichtenagentur Reuters sagte sie, es sei lebenswichtig für WTO-Mitglieder, Handelsbeschränkungen für dringend benötigte Medikamente und medizinische Geräte aufzuheben.
Am Dienstag hatte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die wohlhabenden Staaten aufgerufen, COVAX nicht zu behindern. Einige Länder mit hohen Einkommen schlössen weiterhin Verträge mit Impfstoffherstellern, die COVAX daran hindern könnten, die erforderliche Anzahl von Impfdosen zu kaufen.
Zwar hatte allein Deutschland erst vergangene Woche weitere 1,5 Milliarden Euro für das weltweite Impfprogramm zugesagt, und auch andere G7-Staaten hatten zusätzliche Hilfen in Aussicht gestellt. Dennoch warnte WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus: "Wenn kein Impfstoff übrigbleibt, ist das Geld irrelevant."
Während Gesundheitsexperten vor allem auf die moralische Verpflichtung verweisen, den verfügbaren Impfstoff gleichmäßig unter der
Menschheit aufzuteilen, wurde auf dem kürzlich virtuell abgehaltenen Weltwirtschaftsforum ökonomisch argumentiert.
Tharman Shanmugaratnam, der Koordinierende Minister für Sozialpolitik von Singapur, erklärte in einer Sitzung, dass der weltweite Aufschwung nach der Corona- Krise von der wirtschaftlichen Stärke der Entwicklungsländer abhänge. Die nämlich hätten im vergangenen Jahrzehnt etwa ein Drittel zum weltweiten Wirtschaftswachstum beigetragen. "Wenn wir zehn bis 20 Jahre nach vorne blicken, dann sehen wir, dass dort die größten Wachstumschancen liegen", so Shanmugaratnam. Deshalb sei es in aller Interesse, diese Länder nicht abzuhängen.
In einem im Januar veröffentlichten Bericht kam die Internationale Handelskammer (ICC) zu einem ähnlichen Ergebnis: Ein mangelhafter Einsatz für Impfungen in Entwicklungsländern könnte die Wirtschaft der weiter entwickelten Länder am Wachstum hindern. Reiche Länder könnten über die nächsten Jahre eine Wirtschaftsleistung von 4,3 bis neun Billionen US-Dollar einbüßen, wenn Länder mit niedrigen und mittleren Einkommen sich nicht vollständig von der Corona-Krise erholen.
Der schwerste Schlag drohe beim Import, sagte Andrew Wilson, Global Policy Director der ICC, der DW: "Eine Unterbrechung von Lieferketten wäre für die meisten G7Länder eine ernsthafte Konjunkturbremse, die das Bruttoinlandsprodukt (BIP) um rund fünf Prozent schmälern könnte."
Für Deutschland zeichnet die ICC drei Szenarien, in denen das BIP zwischen 3,05 und 6,46 Prozent niedriger läge. Der ICC-Rechnung zufolge würde jeder Euro, den das Land für Impfstoffe für ärmere Länder ausgibt, sein künftiges BIP um 20 Euro steigern. Wilson zufolge trägt Deutschland ein doppeltes Risiko: Die exportorientierte deutsche Wirtschaft könne neben den unterbrochenen Lieferketten ins Land auch unter schwacher Nachfrage in Entwicklungsländern leiden.
Für die reichen Länder seien Spenden für die Impfprogramme wesentlich günstiger als die wirtschaftlichen Kosten, die mit fortgesetzten Lockdown-Maßnahmen in Entwicklungsländern einhergingen.
Trotz der gestiegenen Finanzierung des COVAX-Programms sind Wirtschaftsexperten skeptisch, ob die globale Impfkampagne die riesigen logistischen Probleme überwinden kann.
Geografie und Infrastruktur vieler Entwicklungsländer dürften große Probleme bei der Verteilung der Impfstoffe bereiten. Die ICC hat dafür plädiert, den privaten Transportsektor dabei stärker einzubinden.
Zudem könnten die bisherigen Verzögerungen bei der Impfstoffherstellung erst die Spitze des Eisbergs gewesen sein. Pfizer verkündete zwar letzte Woche, mit der Vergrößerung des Werks in Belgien, die Produktion temporär zu erhöhen. Brände und mutmaßliche Sabotageakte bremsten dagegen die Produktion von AstraZeneca in Wales und Indien. "Die Lieferkette des Impfstoffherstellers ist im besten Fall ineffizient. Und sie steht unter einem nie dagewesen Druck", sagt ICC-Mann Wilson der DW. Einige Experten, sagt er, stellten infrage, ob sie robust genug sei, die Milliarden von Dosen zu liefern.
Außerdem könne es zu weiteren Produktionsunterbrechungen kommen, wenn weitere Hersteller ihre Zulassung erhalten und zur Massenproduktion übergehen. Dann nämlich könnte es zu Engpässen bei bestimmten Inhaltsstoffen kommen.
Aus dem Englischen adaptiert von Jan D. Walter