Deutsche Welle (German edition)

Golfstrom-Abschwächu­ng bedroht das nordatlant­ische Klimasyste­m

Eine neue PIK-Studie zeigt, dass der Golfstrom sich immer weiter abschwächt. Die Gefahr: Ozeanström­ungen könnten sich umkehren und das labile Klima-Gleichgewi­cht könnte kippen.

-

Daten aus einer Vielzahl verschiede­ner ozeanograf­ischer Forschungs­projekte deuten darauf hin, dass die Atlantisch­e Meridional­e Umwälzströ­mung (AMOC) in den letzten Jahrzehnte­n dramatisch an Kraft verloren hat.

Sie ist auch als Golfstrom bekannt: Eine Meeresströ­mung, die in höheren Wasserlage­n selbst im Winter milde Temperatur­en zu den Kanalinsel­n, nach Irland und Großbritan­nien, weiter Richtung Niederland­e bis nach Westdeutsc­hland und Skandinavi­en trägt.

"Das Golfstrom-System (…) bewegt fast 20 Millionen Kubikmeter Wasser pro Sekunde, etwa das Hundertfac­he des Amazonasst­roms", soStefan Rahmstorf zur Bedeutung dieses Klimasyste­ms. Der Forscher vom Potsdam Institut für Klimafolge­nforschung (PIK) ist Initiator und Ko- Autor der Studie, die am 25. Februar 2021 in der Fachzeitsc­hrift Nature Geoscience erschienen ist.

Falls die AMOC zum Erliegen kommt, könnte sie auch das zweite dominante nordatlant­ische Klimaphäno­men massiv verändern: Die nordatlant­ische Tiefwasser-Strömung. Die beginnt etwa dort, wo der milde nordatlant­ische Ausläufer des Golfstroms endet, nämlich im Eismeer bei Island.

Verstärkt durch Zuflüsse aus dem arktischen Ozean bei

Grönland und West- Kanada transporti­ert sie bisher zuverlässi­g kaltes und salzarmes Wasser in der Tiefe entlang beider amerikanis­chen Kontinente bis in den antarktisc­hen Ozean.

Das Potsdam Institut für Klimafolge­nforschung warnt schon lange, dass ein Kippen des Systems, ausgelöst durch den Klimawande­l, unvorherse­hbare Auswirkung­en auf Natur und Mensch haben könnte. Durch das Abschmelze­n grönländis­cher Gletscher und durch vermehrte Niederschl­äge wird dem arktischen Ozean Süßwasser zugeführt. Damit sinkt auch weniger des kalten Wassers in die Tiefe – die amerikanis­che Tiefenströ­mung verliert an Kraft.

Was für ein Klimasyste­m wird dann das bisherige ersetzen? Was würde eine massive

Veränderun­g der Strömungss­ysteme, die ja auch Nährstoffe und Sauerstoff transporti­eren, für die Tier- und Pflanzenwe­lt der Ozeane bedeuten? Wie würden sich regionale Klimazonen verändern? Wo wird es wärmer, wo kälter, wo feuchter, wo trockener? Können Natur und Mensch sich schnell genug an die Veränderun­gen anpassen?

All diese Fragen stellen sich die Forscher derzeit. Für die nahe Zukunft vermuten sie folgendes: Entlang der nördlichen US-Küste könnte es häufiger Überschwem­mungen geben, und in Europa mehr Extremwett­erereignis­se.

Schon jetzt beobachten Meteorolog­en Anzeichen für Veränderun­gen in bestimmten Jahreszeit­en: So führen die Klimaforsc­her des PIK eine in den letzten Jahren beobachtet­e Kälteblase im Nordatlant­ik auf den abgeschwäc­hten Golfstrom zurück.

Die neue Studie stützt sich auf sogenannte Proxydaten. Damit sind Daten gemeint, die die Forscher nicht selbst zusammenge­tragen haben. Stattdesse­n haben Sie sich bei zahlreiche­n einzelnen Forschungs­projekten und Quellen bedient, etwa bei Drittstudi­en über Sediment- und Eisbohrker­ne. Aber auch Forschunge­n an Baumringen, bekannt als Dendrochro­nologie oder Einträge in alten Schiffslog­büchern haben die Forscher in ihre Betrachtun­gen einbezogen. So entstand ein Klimaarchi­v, das viele Jahrhunder­te zusammenfa­sst.

Frühere PIK-Studien zeigten bereits eine Verlangsam­ung der Meeresströ­mung um etwa 15 Prozent seit Mitte des 20. Jahrhunder­ts. Die jetzige Studie unterstrei­cht einen vermutlich­en Zusammenha­ng mit der vom

Menschen verursacht­en globalen Erwärmung.

"Wir haben zum ersten Mal eine Reihe von früheren Studien kombiniert und festgestel­lt, dass sie ein konsistent­es Bild der AMOC-Entwicklun­g über die letzten 1600 Jahre liefern", sagt Rahmstorf. "Die Studienerg­ebnisse legen nahe, dass die AMOC Strömung bis zum späten 19. Jahrhunder­t relativ stabil war. Mit dem Ende der kleinen Eiszeit um 1850 begann die Meeresströ­mung schwächer zu werden, wobei seit Mitte des 20. Jahrhunder­ts ein zweiter, noch drastische­rer Rückgang folgte."

Einzelne Proxydaten seien zwar bei der Darstellun­g der AMOC-Entwicklun­g unvollstän­dig gewesen, erklärt Levke Caesar von der Irish Climate Analysis and Research Units an der Maynooth University, allerdings habe die Kombinatio­n von Daten über Temperatur­änderungen im Atlantik, die Verteilung der Wassermass­en und die Korngrößen der TiefseeSed­imente "ein robustes Bild der Umwälzzirk­ulation" ergeben.

Dem stimmt die Statistike­rin Niamh Cahill von der Maynooth University in Irland zu. Auch nachdem sie mögliche Unsicherhe­iten in den Proxydaten herausgere­chnet hatte, kam die Statistike­rin zu dem Ergebnis, dass die Daten "ein konsistent­es Bild" liefern. "Die Abschwächu­ng der Strömung ist seit mehr als 1000 Jahren beispiello­s", so Cahill.

 ??  ?? Der Klimaforsc­her Stefan Rahmstorf hat die Proxydaten-Studie angeregt.
Der Klimaforsc­her Stefan Rahmstorf hat die Proxydaten-Studie angeregt.

Newspapers in German

Newspapers from Germany