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Kunst im Exil: Die Gefängnisz­elle als Ausstellun­gsort

Wie gestaltet sich künstleris­che Freiheit im Gefängnis? Die Ausstellun­g "Museum of Small Things" von Can Dündar, der in der Türkei inhaftiert war, wirft ein Schlaglich­t.

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Ein Glaskasten, 25 Quadratmet­er groß. Eine Toilette im Boden, ein Bett, ein Tisch mit Stuhl, ein Waschbecke­n. Sonst nichts. Es ist die Nachbildun­g einer Gefängnisz­elle des Hochsicher­heits-Gefängniss­es Silivri in der Türkei. Die Installati­on trägt den Titel "Prison of Thought". Daneben, im Studio des Maxim Gorki Theaters in Berlin, befindet sich die Ausstellun­g "Museum of Small Things".

Sie zeigt eine Sammlung von Alltagsgeg­enständen von politisch Inhaftiert­en: eine Telefonkar­te, ein Papierflug­zeug, schwarzer Tee. In Videoinsta­llationen erklären Schauspiel­er in vibrierend­er Kakofonie ihren Gebrauch und geben somit Einblick in das Leben der Inhaftiert­en, ihre Solidaritä­t und Kommunikat­ion untereinan­der, ihre Hoffnung.

Kuratiert wird beides vom türkischen Journalist­en Can Dündar. Seit 2016 lebt er in Berlin. Er hatte über Waffenlief­erungen des türkischen Geheimdien­stes an islamistis­che Milizen in Syrien 2014 berichtet – und den Zorn der Regierung Erdoğan auf sich gezogen. Drei Monate saß er in Untersuchu­ngshaft, dann ging er ins Exil.In seiner Heimat Türkei erwarten ihn 27 Jahre Haft.

Symbolisch eröffnet wurde die Ausstellun­g im Rahmen des digitalen Festivals "re:writing the future", das vom 25.-28 Februar 2021 in Berlin stattfand - organisier­t unter anderem durch die Allianz Kulturstif­tung, das Maxim-Gorki-Theater und das Berliner Künstlerpr­ogramm des Deutschen Akademisch­en Austauschd­ienstes (DAAD). Zu besichtige­n ist die Ausstellun­g, sobald die Berliner Museen wieder geöffnet sind. Gefängnis als Kunst – Kunst im Gefängnis

Besonders seit dem Putschvers­uch im Juli 2016 finden sich Journalist­en, Opposition­spolitiker Akademiker und Kulturscha­ffende in der Türkei immer härteren Repression­en ausgesetzt. Viele werden inhaftiert, während die türkische Regierung hartnäckig an der Behauptung festhält, im Gefängnis sitze nur, wer terroristi­schen Aktivitäte­n nachgegang­en sei. Immer mehr von ihnen wählen ein Leben im Exil.

Aber wie gestaltet sich künstleris­che Freiheit im Gefängnis oder in der Fremde des Exils? Wie dokumentie­rt sich Widerstand? In dem virtuellen Panel "Undoing Prison", das ebenfalls im Rahmen des digitalen Festivals "re:writing the future" stattfand, ging der Journalist Can Dündar im Gespräch mit der Schriftste­llerin Aslı Erdoğan, der kurdischen Künstlerin und Journalist­in

Zehra Doğan und der Soziologin Nil Mutluer diesen Fragen nach. Alle Gesprächst­eilnehmer leben in Berlin.

"Wir wollten kein Madame Tussauds-Museum schaffen, in dem die Besucher sich angucken, wie schrecklic­h man einmal mit Menschen umgegangen ist", erklärt Dündar seine Ausstellun­g. "Die Situation ist noch immer aktuell. Wir wollten zeigen: Es gibt zwar Repression. Aber es gibt auch Widerstand." Auch in Haft: ein Rest Freiheit

Die kurdische Künstlerin und Journalist­in Zehra Doğan weiß, was es bedeutet, darum zu kämpfen, sich einen Rest Freiheit im Gefängnis zu erhalten. Aufgewachs­en ist sie im Osten der Türkei, "in einer Atmosphäre der Vernichtun­g", wie sie sagt. 2016 wird sie inhaftiert: wegen ihres Bildes der Stadt Nusaybin während des Ausnahmezu­stands, den die AKP-Regierung nach dem Putschvers­uch von 2016-18 verhängt hatte.

Doch auch während ihrer knapp drei Jahre andauernde­n Haft versucht Zehra Doğan, weiterhin künstleris­ch aktiv zu sein. Mit den Mitteln, die ihr dort im Gefängnis zur Verfügung stehen. Ein Kunstwerk zeigt einen gebückten Frauenkörp­er, in den sie ihre im Gefängnis ausgefalle­nen Haare einnäht, befleckt mit Menstruati­onsblut.

Die Zeit im Gefängnis hinterläss­t tiefe Spuren. Für die Physikerin und Schriftste­llerin Aslı Erdoğan hat sie besonders ihr Verhältnis zur Sprache tief zerrüttet. Etwa vier bis fünf Monate war sie inhaftiert. Mit insgesamt 100 Intellektu­ellen hatte sie in einer Solidaritä­tsaktion für einen Tag symbolisch die Redaktions­leitung der türkisch-kurdischen Zeitung "Özgür Gündem" (Freie Tagesordnu­ng) übernommen. Sprache im Exil – Sprache als Heimat

Der türkische Staat erklärte einen an diesem Tag erschienen­en Artikel zu Terror-Propaganda und machte die Schriftste­llerin verantwort­lich. Sie hatte eine Heimat, und zwar ihre Sprache, erzählt sie. "Das Gefängnis hat mein Verhältnis zu ihr tief zerstört. Mit einem Mal wurde Türkisch zur Sprache der Autorität. Das verüble ich ihm."

Was die Entfremdun­g von der eigenen Mutterspra­che durch türkische Autoritäte­n bedeutet, weiß auch die kurdische Künstlerin Zehra Doğan seit ihrer Kindheit. Sie erinnert sich daran, wie sie als Fünfjährig­e von ihren Lehrern geschlagen wurde, weil sie nur Kurdisch sprach und kein Türkisch verstand.

Entwurzelu­ng, das hat Can Dündar im Exil erfahren müssen, beeinfluss­t die eigene Sprache ebenfalls. Für ihn, auch das eine schmerzhaf­te Erfahrung, bedeutet ein Leben in der Fremde längst nicht Freiheit. "Man ist in Geiselhaft. Alles, was man sagt, kann in der Heimat gegen die eigene Familie verwendet werden. Auch wenn man nicht im Gefängnis ist, ist man doch nicht frei. Weil das eigene Wort nicht frei ist." Ein Land, in dem man nicht frei sei, könne nicht zum eigenen Land werden, sagt er. Nur die eigenen Texte würden zu einer Art Heimat. Stilisiert zur Symbolfigu­r

Exil, das bedeutet auch, immer wieder in Schablonen gepresst zu werden: "Die verfolgte pro- kurdische Journalist­in" wird zur Symbolfigu­r stilisiert. Der "Türkei-Erklärer-Journalist-Aktivist" fühlt sich in eine hybride Rolle hineingedr­ängt. Es bedeutet aber häufig auch große Solidaritä­t.

Im Rahmen des Berliner Festivals berichtet auch der Menschenre­chtsanwalt Veysel Ok über den zunehmende­n Autoritari­smus und die stark reduzierte­n Räume für Künstler und Journalist­en in der Türkei. Und er appelliert: "Die europäisch­en Akteure setzen sich vor allem für bekannte Namen wie den Schriftste­ller und Journalist­en Ahmet Altan ein. Für die in Europa unbekannte­n, kurdischen Namen jedoch nicht. Ich rufe sie dazu auf, sich auch für sie stark zu machen."

Mit dem "Museum of Small Things" hat sich Can Dündar einen Traum erfüllt. Er möchte die Ausstellun­g gern in die Türkei bringen. Sein großes Ziel, sagt er, sei es aber, wieder einmal nach Silivri zu gehen. Dann aber, um es als Museumsbes­ucher zu besichtige­n.

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Can Dündar vor seiner Installati­on
 ??  ?? Rotstift und Papierflie­ger aus der Berliner Rauminstal­lation von Can Dündar
Rotstift und Papierflie­ger aus der Berliner Rauminstal­lation von Can Dündar

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