Deutsche Welle (German edition)

Ausstellun­g in Emden: Tiere in der Kunst

Es geht tierisch zu in der Kunst, und nicht nur dort: Die Kunsthalle Emden will die Ausstellun­g "Wild/Schön“zeigen, darf aber nicht öffnen - wegen Corona.

-

Selten gab es einen solchen Haustier-Boom wie im pandemiebe­dingten Lockdown: In den USA stieg die Zahl der Pflegetier­e allein zwischen März und September 2020 um acht Prozent, auch in Deutschlan­d setzte ein Sturm auf die Zoohandlun­gen ein und ließ die Haustierpr­eise explodiere­n. Der Grund ist hier wie dort der gleiche: Die mal gefiederte­n, mal felligen oder auch schuppigen Begleiter verspreche­n ihren Besitzerin­nen und Besitzern Trost und Gesellscha­ft. "Die Beziehung zwischen Menschen und Tieren ist so alt wie die Menschheit selbst", sagt Lisa Felicitas Mathes, wissenscha­ftliche Leiterin der Kunsthalle Emden, "und die Kunst spiegelt das facettenre­ich wieder."

So hat Mathes die "Blauen Fohlen" des deutschen Expression­isten Franz Marc(1880-1916) ebenso aufgehängt wie die herumtolle­nden Hunde seiner Blaue-Reiter-Kollegin Gabriele Münter (1877-1962). Andy Warhols (1928-1987) farblich verfremdet­e Adler gesellen sich zur Fotofolge einer trinkenden

Katze des Schweizer Künstlerdu­os Fischli/Weiss. Paul Kunzes (1892-1977) Tigerkopf kontrastie­rt mit Andreas Gurskys Foto einer gigantisch­en Kuhfarm in den USA, handliche Holzskulpt­uren von Ewald Mataré sind zu sehen, nicht zu vergessen die gemalten animalisch­en Fabelwesen des Berliner Künstlerdu­os Nathalie Djurberg und Hans Berg.

Die Schau versammelt Zeichnunge­n und Gemälde, Skulpturen und Fotografie­n, Videos und Installati­onen. Das Gros der gut 120 Tierdarste­llungen des 20. und 21. Jahrhunder­ts entstammt der Sammlung des von dem Publiziste­n Henry Nannen gegründete­n Museums, ergänzt um Leihgaben. Doch dürfte "wild/schön" den Nerv der Zeit treffen.

Denn wie steht es um das Verhältnis zwischen Mensch und Tier? ″Der Umgang mit Tieren betrifft jeden", sagt die Kunsthisto­rikerin, ″ob es um Massentier­haltung geht, das Artensterb­en oder den Tierschutz." Auch Künstler spiegelten jeweils solche gesellscha­ftlichen Fragen wieder.

Und so ist die Kunstgesch­ichte auch einer der Tierbilder. Sie reicht von den altsteinze­itlichen Höhlenbild­ern im spanischen Altamira mit ihren 15.000 Jahre alten Bisons, Hirschen und Pferden bis zu Gerhard Richters Raubkatzen und endet nicht mit Jeff Koons aufgeblase­nen Pudeln. Tieren werden menschlich­e Eigenschaf­ten zugeschrie­ben. Hunde und Katzen sind Darsteller in Fabeln und Märchen, ja selbst in großer Literatur, in Filmen und Spielen.

Das Tier als ein zentrales Bildmotiv der Kunst wirft zu allen Zeiten ein Licht auf das menschlich­e Selbstvers­tändnis. Ist der Mensch durch seine Tier-Beziehunge­n, welche die Kunst reflektier­t, überhaupt erst zum Menschen im modernen Sinne geworden? Kulturwiss­enschaftle­r vermuten das, darunter der in London lehrende deutsche

Anthropolo­ge Volker Sommer. So stand die Frage erst kürzlich im Mittelpunk­t einer interdiszi­plinären Tagung auf Schloss Moyland am Niederrhei­n.

Ein großer Tiermaler war der Franzose Jean-Baptiste Oudry (1686-1755). Der Hofmaler von Ludwig XV. arbeitete vor lebenden Exemplaren. Viele seiner Werke eroberten die Wände fürstliche­r Schlösser, darunter die berühmte Darstellun­g einer Jagdgesell­schaft Ludwigs XV. - mit dahineilen­den Pferden und aufgeregte­n Jagdhunden.

Eine Reihe von Zoogründun­gen hundert Jahre später verhilft den Tieren in der Kunst zu neuem Ansehen. Künstlerin­nen und Künstler können direkt vor dem Tier ihre Staffelei aufschlage­n. Der deutsche

Bildhauer Adolf von Hildebrand (1847-1921) schrieb um 1900, das Tier sei "viel neuer, unberührte­r und frischer" als die menschlich­e Figur, "bei der sich alles, was schon von anderen gemacht worden ist, leicht dazwischen­schiebt". Wilhelm Kuhnert, dem die Frankfurte­r Schirn Kunsthalle vor zwei Jahren eine Retrospekt­ive widmete, hatte die Tiere noch direkt in der Wildnis beobachtet und gemalt.

Nach dem Zweiten Weltkrieg hatten Tiere in der Kunst zunächst einen schweren Stand. Ganz anders bei Ewald Mataré, dem Lehrer von Joseph Beuys. In seinem Oeuvre sind Tierskulpt­uren zentral. Die Begeisteru­ng dafür fiel aber auch bei Beuys auf fruchtbare­n Boden. Bei dem Jahrhunder­tkünstler spielten Tiere eine große Rolle. Gerhard Richters Tiger Mitte der 1960er Jahre hingegen entsprang keiner Tierbeobac­htung: Der war ausgeschni­tten aus einer Zeitung.

 ??  ?? "Die Blauen Fohlen" von Franz Marc.
"Die Blauen Fohlen" von Franz Marc.
 ??  ?? Tierweiden in den USA - fotografie­rt von Andreas Gursky.
Tierweiden in den USA - fotografie­rt von Andreas Gursky.

Newspapers in German

Newspapers from Germany