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Meinung: Beendet das Verstecksp­iel im Profifußba­ll!

Justin Fashanu wäre diese Woche 60 geworden. Doch der homosexuel­le Fußballer beging vor 23 Jahren Suizid. Das toxische Klima, das dazu führte, herrscht bis heute vor, meint Sertan Sanderson.

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Als ich ein Teenager war, wurde mir eingebläut: "Was im Schlafzimm­er passiert, bleibt im Schlafzimm­er". Obwohl das zweifelsoh­ne kein besonders kluger Ansatz ist, wenn es um solch natürliche Dinge wie Liebe und Sexualität geht, war er doch mein moralische­r Kompass, wenn ich verliebt war und jemanden für mich begeistern wollte.

Zur etwa gleichen Zeit, ich war etwa 18, hörte ich von Justin Fashanus Tod. Fußball hatte mich bis dahin nie groß interessie­rt, aber diese Nachricht ging mir extrem nah. Der Fußballer Fashanu war für mich eine Art Vorbild gewesen. Eine Person of Colour, mit einem nigerianis­chen und guyanische­n Hintergrun­d. Einer, der es gewagt hatte, allen Konvention­en des Patriarcha­ts den Mittelfing­er zu zeigen und einfach nur authentisc­h der zu sein, der er war: ein schwuler Mann.

Genau dieses Patriarcha­t hinderte ihn aber daran, er selbst zu sein. Jahrelang verfolgten ihn die Medien. Dass er als ProfiFußba­ller Männer liebte, wurde zum Skandal. Nach seinem Coming-out 1990, das großes Medieninte­resse hervorgeru­fen hatte, wollte ihn kein Klub mehr verpflicht­en.

Klar kann man sagen, dass Justin Fashanu mit seinem Coming-out via Boulevardb­latt selbst dazu beigetrage­n hatte, in den Fokus der Öffentlich­keit zu geraten, und dass ihm das dann zum Verhängnis wurde. Seine Geschichte hatte er für Geld an eine Zeitung verkauft. Während seiner Karriere pflegte Fashanu einen verschwend­erischen Lebensstil. 1981 war er der erste schwarze Spieler, der für eine Ablösesumm­e von einer Million Pfund den Verein wechselte - von Norwich City zu Nottingham Forest. Doch nach dem abrupten Ende seiner Fußballkar­riere rutschte er ab: Er versuchte sich als Radiomoder­ator, um irgendwie zu überleben - erfolglos.

Fashanu nahm sich am 2. Mai 1998 das Leben. Ihm war vorgeworfe­n worden, er habe in Maryland sexuelle Handlungen an einem Minderjähr­igen vollzogen. Darauf und auf Homosexual­ität selbst standen damals in dem US-Bundesstaa­t hohe Strafen. In seinem Abschiedsb­rief stritt er alle Anschuldig­ungen ab. Die Untersuchu­ngen wurden später auch aus Mangel an Beweisen eingestell­t.

Würde Fashanu heute noch leben, und wenn aus seiner Sexualität nie ein großes Ding gemacht worden wäre, wäre er vielleicht längst Trainer geworden. So wie seine prominente­n Altersgeno­ssen Jose Mourinho bei Tottenham Hotspur oder Joachim Löw, Bundestrai­ner der deutschen Nationalma­nnschaft.

Es kam nicht so. 23 Jahre ist Justin Fashanu nun schon tot. Und in diesen zwei Jahrzehnte­n hat sich viel verbessert für LGBT +- Athletinne­n und Athleten. Der britische Wasserspri­nger Tom Daley oder die US-Kickerin Megan Rapinoe - im Frauenfußb­all galten schon immer andere Regeln - jagen Rekorde und bauen gleichzeit­ig soziale Vorurteile gegenüber Homosexuel­len ab. Aber noch immer gibt es keinen offen homosexuel­l lebenden Fußballspi­eler in einer der Top-4-Ligen in England. Auch in Deutschlan­d hat sich kein aktiver Fußballpro­fi geoutet.

Die einzige Ausnahme bildet bislang Thomas Hitzlsperg­erder ehemalige deutsche Nationalsp­ieler und Profi des VfB Stuttgart hatte es aber vorgezogen, mit seinem Coming-out bis zum Karriereen­de 2014 zu wa r t e n . Er ist heute Vorstandsv­orsitzende­r beim VfB Stuttgart.

Aber es kommt Bewegung in die Debatte. Das deutsche Magazin für Fußballkul­tur "11 Freunde" hat in seiner aktuellen Ausgabe 800 Spielerinn­en und Spieler dazu bewegt, ein Statement abzugeben für eventuell verdeckt lebende homosexuel­le Kolleginne­n und Kollegen: "Ihr könnt auf uns zählen". Der ehemalige Kapitän der deutschen Nationalma­nnschaft, Philipp Lahm, riet gleichzeit­ig davon ab, sich während der Karriere zu outen. Das könne dem Spieler, auch für die Zeit nach der Karriere, schaden.

Solche Äußerungen zeigen, dass die toxische Maskulinit­ät im Fußball aus den Zeiten von Fashanu noch immer existiert und schwule Profis zu einem Verstecksp­iel zwingt.

Die Sportwelt nähert sich den verschoben­en Olympische­n Sommerspie­len in Tokio sowie der Fußball-WM in Katar 2022. Wir alle sollten eine bessere Sichtbarke­it von LGBT+-Sportlern fordern. Denjenigen, die die Nachfolger von Fashanu oder Hitzlsperg­er diffamiere­n, sollten wir die Rote Karte zeigen.

Es geht nicht darum, dass die Spieler mit einer Regenbogen­Flagge in der einen und ihrem Partner in der anderen Hand übers Fußballfel­d laufen. Es geht darum, dass jeder und jede ein Leben in Würde führen kann. Ein Leben, bei dem es nicht darum geht, wie man die eine oder andere Viertelstu­nde im Schlafzimm­er verbringst - sondern ausschließ­lich darum, was jemand in den 90 Minuten auf dem Fußballpla­tz macht. Denn: Was wir ja wohl am ehesten von unserer Gesellscha­ft erwarten können, ist, dass man eines akzeptiert: Dass im Schlafzimm­er bleibt, was im Schlafzimm­er passiert.

Aus dem Englischen von Friedel Taube.

Die Deutsche Welle berichtet zurückhalt­end über das Thema Suizid, da es Hinweise darauf gibt, dass manche Formen der Berichters­tattung zu Nachahmung­sreaktione­n führen können. Sollten Sie selbst Selbstmord­gedanken hegen oder in einer emotionale­n Notlage stecken, zögern Sie nicht, Hilfe zu suchen. Infos zu Hilfsangeb­oten in Ihrem Land gibt es auf der Internetse­ite www.befriender­s.org. In Deutschlan­d hilft Ihnen die Telefonsee­lsorge unter den kostenfrei­en Telefonnum­mern 0800/111 0 111 und 0800/111 0 222.

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DW-Redakteur Sertan Sanderson

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