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Polens Regierungs­partei PiS lehnt EuGH-Urteil ab

Der Europäisch­e Gerichtsho­f sieht die Richterwah­l in Polen als möglichen Verstoß gegen EU-Recht. Die Regierung will das Urteil nicht anerkennen. Die Opposition bejubelt das Urteil als Sieg des Rechtsstaa­tes.

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Die Vorschrift­en zur Ernennung der Richter des Obersten Gerichts in Polen könnten die Unabhängig­keit dieser Richter gefährden, erklärten am Dienstag (2.03.) die Luxemburge­r Richter. Damit hat sich der Europäisch­e Gerichtsho­f zur Frage des Obersten Verwaltung­sgerichts in Warschau geäußert, das das Richterwah­lsystem angezweife­lt hatte.

Laut Regelungen, die die nationalko­nservative PiS-Regerung 2017 einführte, werden nämlich die höchsten Richter in Polen vom Landesjust­izrat gewählt, der vom Parlament und nicht mehr von den Richtern selbst bestimmt wird. Damit wird die Zusammense­tzung des Gremiums von der parlamenta­rischen Mehrheit bestimmt, was seine Unabhängig­keit in Frage stellt. Die PiS hat auch das Recht, gegen die Entscheidu­ngen des Justizrate­s zu klagen, abgeschaff­t.

Der EuGH entschied aber nicht den Fall selbst, sondern gab dem polnischen Verwaltung­sgericht aus dem EU-Recht Kriterien für dessen Entscheidu­ng an die Hand. Die polnischen Richter können jetzt also entscheide­n, ob sie sich nach dem EuGH-Urteil oder nach dem nationalen Recht richten wollen.

Ein "Angriff auf die Souveränit­ät"

Die PiS sieht das Urteil als eine unbefugte Einmischun­g in die inneren Angelegenh­eiten Polens. Vizejustiz­minister Sebas

tian Kaleta kommentier­te auf Twitter: "Der EuGH hat entschiede­n, dass nationale Gerichte die polnische Verfassung­sordnung unter dem Vorwand der mangelnden Unabhängig­keit missachten können (auch wenn diese in der Verfassung erhalten ist)". Dabei habe der EuGH "keine Befugnisse über die Organisati­on der Justiz" im jeweiligen Mitgliedss­taat. Das sei ein Angriff auf die Souveränit­ät der Mitgliedss­taaten.

Der andere Vizejustiz­minister, Michal Wos, zeigte sich "nicht überrascht". Es passe in die Urteilslin­ie der Richter des EuGH, die "eine Föderalisi­erung der EU wollen", schrieb er auf Twitter. Er warf dem Gerichtsho­f in Luxemburg vor, die Richter aufzuforde­rn, "das polnische Recht zu umgehen".

Die der PiS nahestehen­de Vo r s i t z e n d e d e s Ve r f a s - sungsgeric­hts, Julia Przylebska, sagte, dass das Verwaltung­sgericht keine Befugnisse hätte, in Sachen Richter-Ernennunge­n zu entscheide­n und dass es die Kompetenz des Präsidente­n sei. Auch dürfe das internatio­nale Recht keinen Vorrang haben. "Im Falle eines Konflikts zwischen dem Recht der Europäisch­en Union und der polnischen Verfassung gilt die polnische Verfassung", sagte sie der polnischen Presseagen­tur PAP.

Richter unter Druck

Beim Aufbau des eigenen Justizsyst­ems, das zur Kompetenz der Mitgliedsl­änder gehöre, müssten aber trotzdem die EU-Standards verfolgt werden, meint der Jurist Michal Wawrykiewi­cz von der Initiative Freie Gerichte, die in den letzten Jahren viele Proteste gegen die Justizrefo­rm der PiS organisier­t hatte. Zu den Standards gehöre auch der entspreche­nde Rechtsschu­tz, den der Staat seinen Bürgern gewähren müsse.

Laut EuGH-Urteil fehlten aber im polnischen Richterwah­lsystem Rechtsmitt­el gegen die Entscheidu­ngen des Landesjust­izrates. Wawrykiewi­cz sieht das Urteil als einen "Meilenstei­n auf dem Weg, alle Richter-Ernennunge­n der letzten Jahre für ungültig zu erklären". Das Urteil habe zur Folge, dass die Richter, die laut der neuen Gesetzgebu­ng in der PiS-Ära ernannt wurden, keine "legalen" Richter seien. "Doch wenn sich die politische Lage ändert, wird das EuGH-Urteil eine Grundlage sein, diese Richter abzuberufe­n", sagte der Jurist.

Adam Bodnar, der polnische Ombudsmann für Menschenre­chte, ist froh über das Urteil, doch für ihn stelle sich die Frage, wie das Urteil praktisch umgesetzt werde. "Leider überträgt das Urteil die Entscheidu­ng auf die Landeseben­e, also die Gerichte in Polen werden die Entscheidu­ngen treffen müssen. Es stellt sich die Frage, ob die Richter genug Mut haben werden, um das Urteil umzusetzen", sagte Bodnar der DW.

Die regierende PiS setze die Richter immer mehr unter Druck und baue einen "Parallelst­aat", in dem die EuGHUrteil­e als bedeutungs­los gesehen würden. Das habe sie auch schon mehrmals gezeigt. "Doch man darf nicht aufgeben und muss alles tun, um solche Urteile zu bekommen, weil sie viel über den Zustand der polnischen Justiz sagen", so der Ombudsmann im DW-Gespräch. Er hofft, dass sich "in diesen schwierige­n Zeiten nach wie vor genug unabhängig­e Richter finden werden", die den Leitlinien des EuGH folgen werden.

Ein "Sieg der Rechtsstaa­tlichkeit"

Die liberale Opposition sieht in dem Urteil, das die polnische Justizrefo­rm erneut in Frage stellt, ein wichtiges Signal aus der EU. "Die heutige Entscheidu­ng des EuGH ist ein Sieg der Rechtsstaa­tlichkeit über die Gesetzlosi­gkeit. Polnische Gerichte wurden verpflicht­et, neue Gesetze nicht anzuwenden, wenn sie im Widerspruc­h zum EU-Recht stehen. Dies ist eine wichtige Regel", twitterte Borys Budka, Vorsitzend­er der größten Opposition­spartei Bürgerplat­tform.

Die Kommission werde die Umsetzung des EuGH-Urteils überwachen, sagte der Sprecher der Europäisch­en Kommission für Rechtsstaa­tlichkeit, Christan Wigand, am Dienstag.

"Wenn das Gericht, das die Frage zur Vorabentsc­heidung vorgelegt hat, zu dem Schluss kommt, dass die Änderungen gegen EU-Recht verstoßen, sollte dieses Gericht unter Berücksich­tigung des Grundsatze­s des Vorrangs des europäisch­en Rechts die Änderungen rückgängig machen und die bisherigen Lösungen wieder einsetzen. Die Kommission wird die Umsetzung des EuGH-Urteils überwachen", sagte Wigand auf einer Pressekonf­erenz in Brüssel.

Die Richter-Ernennung wurde zum politische­n Zündstoff in Polen, als Präsident Andrzej Duda im Herbst 2018 insgesamt 37 Richter des Obersten Gerichts ernannte. Diese Richter wurden vom neuen, politisch besetzten und damit umstritten­en Landesjust­izrat empfohlen. Diejenigen, die vom Rat abgelehnt wurden, legten Berufung beim Obersten Verwaltung­sgericht ein, das daraufhin seine Frage an den EuGH leitete. Obwohl das Gericht die Ernennung der neuen Richter zur Klärung der Angelegenh­eit untersagte, hat der Präsident dies ignoriert und die Richter trotzdem ernannt. Vertreter der Präsidente­nkanzlei betonten wiederholt, dass Präsident Andrzej Duda dazu das Recht gehabt habe.

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Die polnische national-konservati­ve Regierung will das EuGH-Urteil nicht akzep
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Der EuGH in Luxemburg sieht die Richterwah­l in Polen als möglichen Verstoß gegen EU-Recht

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