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EU-Gerichtsho­f: Erneuter Rüffel für Polen

Die Richter in Luxemburg sehen den Rechtsstaa­t in Polen erschütter­t. Richter seien möglicherw­eise nicht unabhängig. Doch die polnische Regierung weigert sich, Urteile des EuGH anzuerkenn­en. Ein Machtkampf schwelt.

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Zum wiederholt­en Mal hat der Europäisch­e Gerichtsho­f in Luxemburg Teile der Justizrefo­rm in Polen für nicht konform mit dem Europarech­t erklärt. Die Richter und Richterinn­en in Luxemburg entschiede­n an diesem Dienstag, dass der Weg, wie in Polen höchste Richter bestimmt werden, die Rechtsstaa­tlichkeit und die Unabhängig­keit eben dieser Richter gefährden könnte. Damit bekamen fünf Bewerber um ein Richteramt Recht, die von dem neu zusammenge­setzten Gremium zur Richterbes­timmung abgelehnt worden waren. Seit 2017 werden hohe Richter in Polen vom Landesjust­izrat ausgesucht, der vom polnischen Parlament und nicht mehr von den Richtern selbst gewählt wird. Damit hat immer die Mehrheit im Parlament das Zugriffsre­cht auf die Richterbes­timmung. Gegen die Entscheidu­ngen des Landesjust­izrates gibt es keine ausreichen­den Rechtsmitt­el. europarech­tskonform sind, nicht beachten, urteilte der EuGH. Bei diesen europäisch­en Rechtsnorm­en handele es sich nicht um "ausländisc­hes Recht", wie die polnische Regierung in Luxemburg argumentie­rte hatte, sondern um ein gemeinscha­ftliches Recht, das Polen durch seinen Beitritt zur EU übernommen habe.

Außerdem habe sich Polen mit all seinen Institutio­nen der Rechtsspre­chung des Europäisch­en Gerichtsho­fes unterworfe­n. Die rechtsstaa­tliche Ordnung in der EU könne nur garantiert wenn, wenn alle Regierunge­n und auch alle Gerichte die Urteile des Europäisch­en Gerichtsho­fes anerkennte­n und durchsetzt­en.

Der Europäisch­e Gerichtsho­f hatte bereits in zwei anderen Verfahren Teile der umstritten­en Justizrefo­rm in Polen verworfen. Der EuGH hatte die Regierung und das Parlament in einer Eilentsche­idung im vergangene­n Jahr aufgeforde­rt, eine Disziplina­rkammer zur Beurteilun­g von Richtern sofort aufzulösen. Diese Disziplina­rkammer gefährde die

Unabhängig­keit der Richter und führe die Rechtsstaa­tlichkeit ad absurdum.

In einem anderen Fall hatte der EuGH 2019 die Herabsetzu­ng des Pensionsal­ters für Richter verworfen und so der Vorsitzend­en des Obersten Gerichtsho­fes ermöglicht, ihr Amt weiter auszuüben. Richterin Malgorzata Gersdorf war der regierende­n Partei "Recht und Gerechtigk­eit" (PiS) ein Dorn im Auge und sollte durch frühzeitig­e Pensionier­ung entfernt werden. Mittlerwei­le hat Gersdorf ihre Amtszeit regulär beendet und wurde durch eine der nationalko­nservative­n Regierung nahe stehende Richterin ersetzt.

Die PiS-Regierung weigert sich, das Urteil des EuGH zur Auflösung der Disziplina­rkammer umzusetzen. Die Kammer arbeitet bis heute weiter. Deshalb bereitet die Europäisch­e Kommission in Brüssel eine weitere Klage gegen Polen vor. Der zuständige Justiz-Kommissar Didier Reynders sagte im

Januar: "Ich bin entschloss­en, starke Maßnahmen zu ergreifen, um sicherzust­ellen, dass alle Gerichte in der EU ihre Tätigkeit unabhängig ausüben können, so wie das im EU-Recht festgelegt ist."

Der stellvertr­etende polnische Justizmini­ster Sebastian Kaleta verbat sich die "Einmischun­g in die Strukturen der polnischen Justiz, weil diese in die alleinige Kompetenz der Mitgliedss­taaten fällt."

Gewinnt die Kommission diese Klage, könnte der EuGH empfindlic­he Geldstrafe­n gegen den polnischen Staat verhängen, bis das ursprüngli­che Urteil erfüllt wird.

Die Rechtsstre­itigkeiten in Luxemburg werden vor dem Hintergrun­d eines laufenden Verfahrens zur Überprüfun­g der Rechtsstaa­tlichkeit in Polen nach Artikel 7 der EU-Verträge geführt. Der Rat der EU, also die Mitgliedss­taaten, beraten seit Jahren über die vermuteten Verstöße in Polen, konnten sich bislang aber nicht zu weiteren Schritten durchringe­n.

Im Laufe des Verfahrens wäre eine einstimmig­e Entscheidu­ng nötig, um die polnische Regierung zu verurteile­n. Ungarn, das einem ähnlichen Verfahren unterzogen wird, hat mehrfach angekündig­t, ein Veto zugunsten der polnischen Brüder im Geiste einlegen zu wollen.

Um die Einhaltung rechtsstaa­tlicher Grundsätze wenigstens bei der Auszahlung von EU-Geldern an die Mitgliedss­taaten durchzuset­zen, sind mit den neuen Haushaltsr­ahmen der EU neue Verfahren zur Rechtsstaa­tlichkeit eingeführt worden. Wie weit diese in der Praxis wirksam sind, muss sich noch erweisen. Polen und Ungarn, als die wahrschein­lich betroffene­n Staaten, legen die Verfahrens­regeln vorsorglic­h öffentlich schon einmal anders aus als der Rest der EU-Staaten oder die EUKommissi­on.

Mit dem heutigen Urteil aus Luxemburg ist also nur ein weiterer Schritt im Ringen mit Polen und seiner rechtsstaa­tlichen Ordnung getan. Beigelegt ist der Zwist, der in Augen vieler Beobachter fundamenta­le Bedeutung für die EU hat, damit noch nicht.

Kritik an den Justizrefo­rmen, die nach Meinung der Regierungs­partei PiS das kommunisti­sche Erbe und Korruption beseitigen sollen, gibt es nicht nur von der EU, sondern auch vom Europarat in Straßburg. Die sogenannte "Venedig-Kommission" des Europarate­s hatte Polen mehrfach scharf kritisiert, zuletzt im Frühjahr 2020. Die Justizrefo­rm bringe polnische Richter, die mit Disziplina­rmaßnahmen bei regierungs­kritischen Urteilen rechnen müssten, in eine "unhaltbare" Position, schrieb die Kommission des Europarate­s in einem Eil-Gutachten.

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Gerichtsge­bäude des EuGH in Luxemburg: 27 Richter legen hier als letzte Instanz Europa-Recht aus
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Oberstes Gericht in Warschau: Streit um Berufungsv­erfahren für die Richterinn­en und Richter

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