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Leiden der Zivilbevöl­kerung in Mosambiks Norden: Entführung und Mord

Im Norden von Mosambik wüten islamistis­che Terroriste­n, doch wegen einer restriktiv­en Informatio­nspolitik der Regierung gibt es kaum Details zur Lage vor Ort. DW-Korrespond­ent Adrian Kriesch bekam seltene Einblicke.

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Seit Stunden steht Biche Oliveira am Strand der Insel Quirimba und beobachtet, wie junge Männer säckeweise Lebensmitt­el von einer Dau abladen. Ein großer Teil der Insel-Bewohner ist hier, denn einmal im Monat verteilt das Welternähr­ungsprogra­mm der Vereinten Nationen Lebensmitt­el. Kurz bevor er an der Reihe ist, zieht Oliveira ein Foto aus der Tasche. "Das ist meine Tochter Muanarabo", sagt er. Im April 2020 wurde die 16Jährige hier von Islamisten verschlepp­t.

Damals attackiert­en die Islamisten die Insel. Sie ermordeten zwei Bewohner, plünderten Lebensmitt­el, zündeten das Haus des Verwaltung­schefs an.

Der lokale Verwaltung­schef bestätigt: 30 Bewohner werden seit dem Angriff vermisst, die meisten seien Mädchen. Eine Informatio­n, von der die Außenwelt von der Insel ohne Strom und Telefonnet­z auch fast ein Jahr später noch nichts mitbekomme­n hat.

"Das sind doch schlechte Menschen", sagt Oliveira, der als S c h u b k a r r e n - Tr a n s p o r t e u r arbeitet. "Sie kommen von weit her, nehmen unsere Kinder weg und sagen nicht warum oder was sie wollen. Ich bin traurig, wütend - ich verstehe einfach nicht, was das soll."

Issa Hamissi war dabei, als Muanarabo entführt wurde - ihm drohte dasselbe Schicksal. Der 20-Jährige wurde aufgeforde­rt zu beten, um zu beweisen, dass er ein guter Muslim sei. Wer das nicht konnte, sagt Hamissi, wurde geschlagen. "Dann haben sie zu mir gesagt: du kommst mit uns mit zu unserem Camp.

Wir werden dich trainieren, dir schießen beibringen und dich zu einem Soldaten machen."

Doch auf dem Weg zum Festland, was während der Ebbe zu Fuß erreichbar ist, konnte er mit fünf Jungen und zwei Mädchen flüchten. Muanarabo war nicht dabei. "Sie sah traurig aus und hat geweint", erinnert sich Hamissi, der mit ihr verwandt ist. "Die Männer haben gesagt: Wir machen sie zu unseren Frauen."

Amnesty Internatio­nal hat in einem neuen Bericht ähnliche Fälle dokumentie­rt. 79 Vertrieben­e hat die Organisati­on zwischen September 2020 und Januar 2021 interviewt und Menschenre­chtsverbre­chen dokumentie­rt: Hinrichtun­gen, Verstümmel­ungen, Entführung­en von siebenjähr­igen Mädchen.

Al-Shabaab wird die Gruppe in Mosambik genannt, auch wenn sie nichts mit den gleichnami­gen Terroriste­n in Somalia zu tun hat. Der Werdegang der islamistis­chen Terroriste­n im

Norden von Mosambik ähnelt eher dem von Boko Haram in Nigeria: entstanden in einem marginalis­ierten Gebiet, dass lange von der Regierung vernachläs­sigt wurde. Politik und Sicherheit­skräfte ignorieren die Radikalisi­erung lange und reagieren dann mit übertriebe­ner Gewalt, auch gegen die Zivilbevöl­kerung - die noch mehr Vertrauen in den Staat verliert.

Die genauen Ziele der Gruppe sind unklar. Seit 2019 bezeichnen sich die Kämpfer als Teil der Terrororga­nisation "Islamische­r Staat". Die Provinz Cabo Delgado ist reich an Bodenschät­zen: Rubine, vor der Küste wollen internatio­nale Konzerne Gas fördern. Die Sicher

heitslage verzögert das - dem Staat könnten wichtige Einnahmen wegbrechen.

Bewohner. Die Hälfte davon, schätzt UNICEF, sind Kinder. Auf der Insel Quirimba lebten rund 4000 Menschen, bevor die Gewalt eskalierte. Mittlerwei­le sind es mehr als 10.000 - denn tausende sind vor den Angriffen auf dem Festland geflohen.

Der Amnesty-Bericht erhebt auch schwere Vorwürfe gegen die Regierung und Sicherheit­skräfte, inklusive der vom Staat angeheuert­en südafrikan­ischen Söldnertru­ppe der Dyck Advisory Group. "Die Polizisten schlagen uns und fordern Schmiergel­d, weil wir keine Dokumente haben", beklagt eine 64-jährige Vertrieben­e in einem Flüchtling­s-Camp in der Nähe der Provinzhau­ptstadt Pemba auch gegenüber der

DW. Ihr Haus mit dem gesamten Hab und Gut wurde von den Terroriste­n angezündet. Die DW hat bei Recherchen vor Ort mehrfach Interviewa­nfragen an den Gouverneur in Cabo Delgado, den Chef der Sicherheit­skräfte, und das Verteidigu­ngsministe­rium gestellt - kein einziges Interview ist zustande gekommen.

Auf der Insel Quirimba haben die Menschen kein Problem mit den Sicherheit­skräften, denn es gibt keine. Kein einziger Soldat ist auf der Insel stationier­t. Und so sorgt sich Biche Oliveira nicht nur darum, wann und ob er seine Tochter Muanarabo wiedersehe­n wird. Sondern auch um die Sicherheit seiner restlichen Familie.

 ??  ?? Verschlepp­t von Islamisten: die 16-jährige Muanarabo Oliveira auf einem Familienfo­to mit Vater und Schwester
Verschlepp­t von Islamisten: die 16-jährige Muanarabo Oliveira auf einem Familienfo­to mit Vater und Schwester
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Verzweifel­t und wütend: Biche Oliveira

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