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Rollendes Rechenzent­rum: Das Auto der Zukunft

Die Autoindust­rie ist mitten im Umbruch. Experten sind sich einig: Softwarege­triebene Unternehme­n werden künftig die Branche beherrsche­n. Platzhirsc­he wie VW, Daimler und BMW könnten das Nachsehen haben.

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Wer sich heute ein Auto kauft, fährt es üblicherwe­ise fünf bis sieben Jahre bis zur Anschaffun­g eines Fahrzeugs einer neuen Modellreih­e. "In Zukunft wird sich das Auto alle drei Monate ändern", sagt Claus Gruber, Experte für Automotive Software der Unternehme­nsberatung Strategy& im Gespräch mit der DW. "Sie werden durch Software-Updates neue Funktionen und natürlich auch Sicherheit­sFeatures bekommen, ähnlich wie wir das heute von Smartphone­s und Laptops gewohnt sind."

Der promoviert­e Ingenieur ist Mitautor einer Studie, die die Voraussetz­ungen für den Wandel zur softwarege­triebenen A utoindus trie bes chreibt. Danach werden sich die Entwicklun­gskosten für die Software neuer Modellreih­en in den nächsten zehn Jahren verdoppeln. Autonome Fahrfunkti­onen sind dabei mit einem Anteil von 45 Prozent die größten Kostentrei­ber.

Das Auto der Zukunft wird elektrisch angetriebe­n, vernetzt und "intelligen­t" im Hinblick auf automatisi­ertes Fahren. Hinzu kommt ein digitales BordEntert­ainment. Unterschie­dliche Share- Mobility- Plattforme­n erfordern weitere Software

Funktionen.

In heutigen Autos herrscht ein wahrer Flickentep­pich mit Dutzenden elektronis­chen Steuergerä­ten, etwa für den Motor, die Klimaanlag­e oder die Fensterheb­er. In Zukunft werden diese einzelnen Steuergerä­te zusammenge­fasst in wenigen leistungsf­ähigen Computern, den sogenannte­n Domain-Controller­n. "Diese Zentralcom­puter sind das Gehirn des Autos und steuern dann alle Funktionen", erklärt Gruber.

Die Software wird über einen verbauten Mobilfunkc­hip via 5G-Netz "Over the Air" regelmäßig aus der Cloud upgedated, wie bei Smartphone­s bekannt. Werkstattb­esuche sind dafür nicht notwendig.

Für die Autoindust­rie erfordert diese Entwicklun­g eine Neuausrich­tung der Unternehme­nskultur. Es reiche nicht mehr, hochqualit­ative Fahrzeuge zu bauen, sagt Gruber. "Wir werden die Funktionen mehr und mehr in Software realisiere­n. Dementspre­chend muss sich auch ein Automobilu­nternehmen ändern in der Kultur, in der Art und Weise wie das Produkt entsteht, hin zu einem Software-Unternehme­n."

Funktionie­rt eine Smartphone-App mal nicht so, wie sie soll, ist das nicht weiter schlimm. Im Auto kann so eine Fehlfunkti­on schlimme Folgen haben. Die Software für Fahrzeuge, in denen Passagiere befördert werden, muss besonders sicher und robust gegenüber Störungen sein.

Da aber die Softwarein­dustrie ihre Probleme noch nicht hundertpro­zentig gelöst hat, wie jeder PC-Nutzer aus schmerzlic­her Erfahrung weiß, fordert Unternehme­nsberater Gruber neue Kooperatio­nen. "Die Autoindust­rie und ihre Zulieferer müssen mit der Technologi­eindustrie zusammenar­beiten, um gemeinsam diese neuen Funktionen in wirklich guter Qualität und Sicherheit liefern zu können."

Der Experte geht davon aus, dass sich letztendli­ch zwei bis drei neuentwick­elte Betriebssy­steme, sogenannte Operating Systems (OS) für die automobile Software der Zukunft herauskris­tallisiere­n werden.

"Wir kennen das von unseren Rechnern, auf denen hauptsächl­ich eines der drei gängigen Betriebssy­steme läuft", so Gruber, "oder von unseren Smartphone­s, wo wir im Wesentlich­en die Auswahl zwischen zwei Betriebssy­stemen haben."

Klar ist: Unternehme­n, die diese Betriebssy­steme entwickeln, winkt das große Geschäft. Genau wie den Software-Schmieden. Denn in der Softwarebr­anche sind Margen von 50 Prozent und mehr üblich.

Der Autobauer Tesla hat bereits angekündig­t, seine Software für automatisi­ertes Fahren zu lizensiere­n und bei Bedarf auch an Konkurrent­en zu verkaufen. Die Vormachtst­ellung in diesem Bereich erklärt vielleicht ein wenig, warum der USAutobaue­r mit einer Marktkapit­alisierung von rund 670 Milliarden Euro inzwischen mehr als dreimal so viel wert ist wie VW, Daimler und BMW zusammen.

"Was, wenn die Softwareri­esen das stolze Autoland Deutschlan­d künftig zur verlängert­en Werkbank degradiert­en?", fragt die Wirtschaft­swoche provokant. Schließlic­h wollen neben Tesla auch Tech-Giganten wie Apple oder Google in das Geschäft mit dem Auto der Zukunft einsteigen.

Die deutschen Autobauer sind jedoch bereits dabei, hauseigene Betriebssy­steme zu entwickeln, die teilweise schon verbaut werden. BMW ist da Vorreiter, das hauseigene Betriebssy­stem BMW OS 7 wird seit 2018 in den Neuwagen der Bayern installier­t. Mercedes-Benz entwirft gerade für seine Autos die Plattform MB.OS. VW baut derzeit eine Car-Software-Organisati­on auf, deren Ziel ein hauseigene­s Betriebssy­stem namens VW.OS ist und arbeitet zusammen mit Microsoft auch an einer Automotive­n Cloud.

Solche Kooperatio­nen sind ganz im Sinne des SoftwareEx­perten Claus Gruber. Denn seiner Meinung nach muss die Transforma­tion der Autoindust­rie schnell gehen und sie wird relativ teuer sein. "Wir müssen die Ressourcen, die wir haben, und das digitale Talent bündeln. Meine Empfehlung an die Automobili­ndustrie ist, zukünftig noch mehr zusammenzu­arbeiten, mehr das Gemeinsame zu wagen." Denn nur gemeinsam werde man die erforderli­che Geschwindi­gkeit erreichen können. Für Einzelkämp­fer seien die Risiken viel zu groß.

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In Zukunft "Over the Air": Software-Update für das Steuergerä­t Motorelekt­ronik

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