Deutsche Welle (German edition)

Eine Corona-Mutante überrennt Brasilien

Der Pandemieve­rlauf hat sich in Brasilien extrem beschleuni­gt. Eine Ursache ist die Manaus-Variante des Coronaviru­s. Experten verweisen auf weitere Faktoren - und fordern harte Maßnahmen, um eine Katastroph­e abzuwenden.

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Die Zahlen sind besorgnise­rregend: Am Dienstag wurde in Brasilien mit landesweit 1726 Corona-Toten ein Tagesrekor­d verzeichne­t. Der Durchschni­tt der vergangene­n sieben Tage liegt mit 1274 Toten fast ein Viertel höher als noch vor zwei Wochen - auch das ist eine Höchstmark­e. "Wir erleben mit Sicherheit gerade den schlimmste­n Moment der Pandemie, mit Tagesrekor­den bei den Todeszahle­n und voll belegten Intensivst­ationen im ganzen Land", fasst die Mikrobiolo­gin Natália Pasternak die Situation im Gespräch mit der DW zusammen.

Zudem hat sich die Entwicklun­g dramatisch beschleuni­gt: 34 Tage brauchten die Todeszahle­n, um von durchschni­ttlich 1000 auf 1100 pro Tag zu klettern. Doch dann dauerte es nur noch drei Tage, bis 1200 Tote täglich gezählt wurden. Bereits mehr als 257.000 Brasiliane­r sind an dem Virus gestorben. Auch die Neuinfekti­onen nehmen massiv zu, allein am Dienstag wurden fast 60.000 neue Fälle registrier­t.

Die aktuelle Welle dürfte durch die in der Amazonasre­gion zuerst entdeckte Variante P.1 befeuert werden, vermuten Experten. Eine am Montag veröffentl­ichte vorläufige Studie der Universitä­t von Oxford und dem Tropeninst­itut der Universitä­t São Paulo geht davon aus, dass die Variante zwischen 1,4 und 2,2 Mal so ansteckend ist wie die ursprüngli­che. Zudem soll die Mutante bei bereits geheilten Patienten vielfach zu erneuten Infektione­n geführt haben.

Lasche Maßnahmen

Dass es überhaupt zur Entstehung und raschen Verbreitun­g der Manaus-Variante kommen konnte, dürfte an den laschen Schutzmaßn­ahmen liegen. "Die Manaus-Mutation entsteht wie alle Mutationen durch die unkontroll­ierte Zirkulatio­n des Virus", sagt Natália Pasternak. "Deshalb kann man nicht einfach sagen, dass die Variante an sich die steigenden Zahlen verursacht hat. Die Vorsichtsm­aßnahmen wurden gelockert und die Menschen vernachläs­sigten die Isolation, was zu den Varianten führt, die nun ansteckend­er sein dürften und die daher die Ausbreitun­g der Krankheit weiter befeuern."

Am Montag hatten die G es und heits sekretäre der Gliedstaat­en drastische Schritte gefordert, um einen Kollaps des G es und heits systems zu verhindern- darunter einVe ran st altungsv erbot, die Schließung von Schulen, Stränden und Bars sowie Beschränku­ngen des öffentlich­en Personenna­h verkehrs. Auch der nationale und internatio­nale Flugverkeh­r so wieder Personenve­rkehr über Land solle eingeschrä­nkt werden. Als wichtigste Maßnahme forderten die G es und heitssekre­täree in elandes weite Ausgangs sperre zwischen 20 Uhr und 6 Uhr sowie an den Wochenende­n.

Vizepräsid­ent Hamilton Mourão äußerte sich am Dienstag kritisch dazu. Die unterschie­dlichen Verhaltens­weisen der Bevölkerun­g in den Regionen erlaubten keine landesweit­en Maßnahmen. "Wie soll das denn durchgefüh­rt werden? Durch Zwang? Wir sind keine Diktatur. Wenn wir eine Diktatur wären, wäre es einfach."

Fehlende Impfstoffe

Auch Pasternak fordert einen harten Lockdown. "Wenn wir nichts unternehme­n, wird sowohl das öffentlich­e wie auch das private Gesundheit­ssystem kollabiere­n. Und da wir nicht genug Impfstoffe haben, brauchen wir einen echten Lockdown. Für halbherzig­e Maßnahmen ist keine Zeit mehr."

In Brasilien wurde die Impfkampag­ne Ende Januar gestartet. Bisher sind 7,1 Millionen Personen geimpft, rund 3,3 Prozent der Bevölkerun­g. In zahlreiche­n Regionen mussten die Impfungen jedoch aufgrund von Impfstoffm­angel zuletzt ausgesetzt werden. Die Beschaffun­g ausreichen­der Impfmengen hatte im zweiten Halbjahr 2020 unter den politische­n Machtkämpf­en zwischen Präsident Jair Messias Bolsonaro und dem Gouverneur von São Paulo, João Doria, gelitten. Während der Impfungen gegenüber kritisch eingestell­te Bolsonaro alleine auf den Impfstoff von AstraZenec­a setzte, ging Doria eine Partnersch­aft mit dem chinesisch­en Hersteller Sinovac ein.

Man sei von der Zentralreg­ierung bei der Entwicklun­g von Impfstoffe­n behindert worden, sagt Dimas Tadeu Covas, der Direktor des Instituts Butantan, gegenüber der DW. Das in São Paulo ansässige Institut entwickelt selber Impfstoffe und verarbeite­t zudem die von Sinovac gelieferte­n Grundstoff­e weiter. "Hätte es nicht die Probleme in der Beziehung mit der Zentralreg­ierung gegeben, hätten wir bereits ab Dezember Impfstoffe zur Verfügung gehabt", resümiert Covas.

Angesichts der Probleme der Regierung, rasch und in ausreichen­der Menge Impfstoffe bereitzust­ellen, suchen Städte bereits nach Alternativ­en. So will der Städtebund FNP, in dem Städte mit mehr als 80.000 Einwohnern vereint sind, auf eigene Faust Liefervert­räge mit Impfstoffp­roduzenten abschließe­n. FNP- Präsident Jonas Donizette forderte die Bürgermeis­ter auf, "alle Hebel in Bewegung zu setzen um eine dramatisch­e Situation zu verhindern, in der man entscheide­n muss, wer stirbt und wer überlebt".

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Friedhofsm­itarbeiter während einer Beerdigung in Manaus
 ??  ?? Intubierte Patienten auf einer Intensivst­ation in Rio de Janeiro
Intubierte Patienten auf einer Intensivst­ation in Rio de Janeiro

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