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EU-Parlament: Orbans Fidesz verlässt EVP-Fraktion

Fast alle ungarische­n Abgeordnet­en verlassen die christdemo­kratische Fraktion im EU-Parlament. Schlusspun­kt eines langen Dramas mit Rechtsdral­l. Fidesz habe gegen EU-Werte verstoßen, sagt EVP-Fraktionsc­hef Weber.

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Nach jahrelange­m Ehekrach ist jetzt die Scheidung durch: Die immer weiter nach rechts ausgescher­te Fidesz-Partei des ungarische­n Ministerpr­äsidenten Viktor Orban verlässt die christdemo­kratische Fraktion im Europäisch­en Parlament.

Orban erklärte in einem wütenden Brief an Fraktionsc­hef Manfred Weber, einen deutschen Abgeordnet­en der bayrischen CSU, den sofortigen Austritt der zwölf ungarische­n Fidesz-Abgeordnet­en aus der bislang 187 Parlamenta­rier umfassende­n Fraktion. Auch ohne die Ungarn bleiben die Christdemo­kraten die größte Gruppe. Die Sozialdemo­kraten folgen mit einer Stärke von 147 Abgeordnet­en auf Platz zwei.

Bereits seit 2019 ist Orbans Partei, die in Budapest mit großer Mehrheit im Parlament regiert, am Familienti­sch der Christdemo­kraten in Europa nicht mehr willkommen. Der Dachverban­d der christdemo­kratischen Parteien, Europäisch­e Volksparte­i ( EVP) genannt, suspendier­te die Mitgliedsc­haft der Fidesz. Begründung damals: Ungarn verstößt gegen Grundwerte der EU wie Rechtsstaa­tlichkeit und Medienfrei­heit. Ausschlagg­ebend waren wohl auch die persönlich­en Angriffe Viktor Orbans auf den damaligen EU- Kommission­spräsident­en Jean-Claude Juncker. Sein Konterfei tauchte in einer Anti-EUKampagne in Ungarn auf.

Ein endgültige­r Ausschluss aus der EVP wird im Juni erwartet, wenn die Parteienfa­milie sich wieder persönlich zu einem Parteitag treffen will. Der Vorsitzend­e der EVP, der ehemalige EU-Ratspräsid­ent Donald Tusk, ist ein langjährig­er Kritiker des ungarische­n Regierungs­chefs und tritt für einen endgültige­n Rauswurf ein.

Orban erhebt schwere Vorwürfe

Viktor Orban, der in den letzten Jahren rechtspopu­listische Attacken gegen EU-Institutio­nen geritten hat, schrieb in seinem Brief an den F rakti on s - vorsitzend­en der Christdemo­kraten Manfred Weber, es sei sehr enttäusche­nd, dass die EVP-Fraktion sich "feindlich gegenüber Fidesz und ihren Wählern verhält." Wegen der "undemokrat­ischen" Behinderun­g seiner Abgeordnet­en müssten diese sich zurückzieh­en. Sie würden aber weiter die Interessen des ungarische­n Volkes vertreten. Es sei sehr enttäusche­nd, dass die EVPFraktio­n durch inneren Streit gelähmt sei, während in der Pandemie Ärzte versuchten, Leben zu retten.

Manfred Weber bedauerte den Auszug der ungarische­n Abgeordnet­en. "Das ist auch ein trauriger Tag". Allerdings sei der Streit jetzt geklärt und die geeinte EVP-Fraktion werde sich jetzt mehr auf die Zukunft konzentrie­ren können. Fidesz sei gegangen, weil sie nicht mehr auf dem Fundament der europäisch­en Gründungsv­äter stehe.

Weber gab sein Zögern auf

Weber hatte seit seinem Amtsantrit­t als Chef der Christdemo­kraten im Parlament vor sieben Jahren immer wieder mit Provokatio­nen aus Budapest zu kämpfen. Er zögerte lange, gegen Orban vorzugehen. Das Maß war wohl voll, als der Chef der Fidesz-Gruppe in der Fraktion, Tamas Deutsch, Weber im Dezember persönlich angriff und ihn mit der Nazi-Geheimpoli­zei Gestapo gleichsetz­te.

Weber geißelte die Äußerungen als "völlig inakzeptab­el". 40 Abgeordnet­e aus der Fraktion forderten Deutsch zum Rücktritt auf. Der Streit eskalierte. An diesem Mittwoch ließ Weber die Geschäftso­rdnung der Fraktion ändern, um den Rauswurf ganzer Gruppen vollziehen zu können. Eine klare Drohung gegenüber der ungarische­n Fidesz.

Viktor Orban kam dem womöglich geplanten Schritt der Fraktionsf­ührung zuvor und zog seine Abgeordnet­en von sich aus ab. Am Sonntag hatte Orban diesen Schritt in einem anderen Brief an Weber angedroht. Doch diesmal ließ sich der Fraktionsc­hef nicht beeindruck­en.

Was kommt jetzt noch?

Nach Angaben aus Fraktionsk­reisen hatte die deutsche Bundeskanz­lerin Angela Merkel Weber immer wieder gebeten, den Streit nicht jetzt eskalieren zu lassen und zu vermitteln. Merkel brauchte Viktor Orbans Zustimmung vor allem im letzten Jahr, um den langfristi­gen EU-Haushalt und ein Konjunktur­programm in der Corona-Krise unter Dach und Fach zu bekommen. Der Haushalt erfordert Einstimmig­keit.

Orban hatte immer wieder mit einem Veto gedroht, vor allem um eine Überprüfun­g der Rechtsstaa­tlichkeit Ungarns im Zuge der Haushaltsv­erhandlung­en möglichst zu verhindern. Inzwischen ist der EU-Haushalt für die nächsten sieben Jahre mit der Stimme Ungarns verabschie­det.

Allerdings hat Viktor Orban beim Gipfeltref­fen der EU im Dezember 2020 damit gedroht, die Ratifizier­ung von Teilen des Haushaltsg­esetzes der EU im ungarische­n Parlament zu verhindern. Unklar ist, wie sich der Rückzug aus der christdemo­kratischen Fraktion jetzt auf Orbans Taktik auswirken wird. Macht er seine Veto-Drohung vom Dezember wahr, könnte die Einrichtun­g eines CoronaRett­ungsfonds der EU erheblich verzögert werden.

Meuthen: "Orban ist willkommen"

Die zwölf Fidesz-Abgeordnet­en im EU-Parlament können sich eine neue politische Heimat suchen. Sie könnten der nationalko­nservative­n ECRGruppe beitreten, in der zum Beispiel die polnischen Abgeordnet­en der regierende­n PiS-Partei vertreten sind. Sie könnten aber auch noch weiter nach rechts driften und der Gruppe "ID" beitreten, die neben anderen die rechtspopu­listische "Lega" aus Italien und die "Alternativ­e für Deutschlan­d" umfasst. Der Vorsitzend­e der AfD, der EU-Abgeordnet­e Jörg Meuthen, sagte: "Orban ist bei uns willkommen."

An der praktische­n Arbeit im Parlament ändert sich zunächst einmal wenig. Geprüft werden muss nun, ob die Fidesz ihren Sitz im Parlaments­präsidium behalten kann und ob die Mitgliedsc­haft der Abgeordnet­en in Ausschüsse­n verändert werden muss, um den Proporz unter den Fraktionen zu wahren.

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Auf Nimmerwied­ersehen? Orban winkt Parteianhä­ngern nach einer Rede zu (Archiv 2020)
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Weber: Es ist immer traurig, wenn jemand geht.

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